November 26, 2022

Bidens blaues Auge, Gegenwind für Trump

Andreas Günther und Stefan Liebich

Bei den Midterm Elections in den Vereinigten Staaten standen am 8. November die 435 Mitglieder des Repräsentantenhauses, ein Drittel der Senator*innen sowie die Mehrheit der Gouverneursposten und zahlreiche Parlamente der Bundesstaaten zur Wahl. Im Vorfeld dieser Zwischenwahlen war mit einem hohen Sieg der republikanischen Partei gerechnet worden, denn für gewöhnlich wird die Partei des Präsidenten zur Hälfte seiner Amtszeit von den Wähler*innen abgestraft. Hinzu kam noch, dass die Zustimmungswerte für Präsident Joe Biden im Keller und die Benzinpreise hoch waren. Und so hatte der Fraktionsvorsitzende der Republikaner im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, seine Siegesrede bereits für den Wahlabend angekündigt und der ehemalige Präsident Donald Trump durchblicken lassen, nur wenige Tage später – mit dem Rückenwind eines rauschenden Wahlerfolgs – seine erneute Kandidatur fürs Präsidentenamt verkünden zu wollen.

Aber es kam anders. Von der vollmündig angekündigten großen „Welle“ der Republikaner blieb nur ein leises Plätschern. In vielen Wahlkreisen waren die Ergebnisse so eng, dass der knappe Sieg der Partei im Repräsentantenhaus erst nach einer Woche feststand. Immerhin kontrolliert die „Partei Donald Trumps“ (Donald Trump jr.) damit wieder eine der beiden gesetzgebenden Kammern des Kongresses.

Zugleich bleibt der Senat in demokratischer Hand; sollte Raphael Warnock im Bundesstaat Georgia am 6. Dezember die Stichwahl gegen Herschel Walker gewinnen, kann die Partei des Präsidenten ihre knappe Mehrheit sogar um einen Sitz ausbauen. Auch bei den Gouverneurs- und bundesstaatlichen Parlamentswahlen erzielten die Demokraten insgesamt leichte Zugewinne. Die Partei des Präsidenten ist, so scheint es, mit einem blauen Auge davongekommen.

Die republikanische Agenda

Das blaue Auge wird den Präsidenten indes noch lange schmerzen. Denn die Republikaner sind alles andere als „normale“ Konservative, die eine anständige Oppositionspolitik machen. Ihnen geht es ausschließlich um Obstruktion der Gegenseite – mit allen Mitteln. Die Partei hat sich längst in eine rechtsradikale Trump-Sekte verwandelt. Republikanische Abgeordnete, die den Sturm des Kapitols vom 6. Januar 2021 kritisierten, wurden zugunsten von Kandidat*innen entmachtet, die in Trumpscher Manier den Sieg Bidens bei der letzten Präsidentschaftswahl abstritten. Selbst vor den offen verschwörungstheoretischen „QAnon“-Anhänger*innen schreckt man inzwischen nicht mehr zurück.

Im neuen Kongress besitzen rechtsradikale Abgeordnete so viel Einfluss wie nie zuvor. Dies liegt vor allem daran, dass die große Mehrheit der Wahlkreise in den USA so zugeschnitten ist, dass lange vor den Wahlen feststeht, wer dort gewinnen wird. In diesen sicheren Wahlkreisen entscheiden deshalb bereits die innerparteilichen Vorwahlen über die Abgeordneten – und da die Basis der Partei weit rechts steht, bevorzugt sie auch weit rechts stehende Kandidat*innen. Hinzu kommt, dass die Mehrheit der Republikaner diesmal so knapp ausfällt, dass deren Fraktionsführung auf fast alle ihrer Abgeordneten angewiesen ist – was den rechtsradikalen unter ihnen eine erhebliche Verhandlungsmacht in die Hände legt.

Für die nächsten zwei Jahre bedeutet dies, dass Joe Biden für jeden Cent, den er ausgeben will, auf die Zustimmung ebendieser Republikaner angewiesen ist. Schon in der Vergangenheit hat die „Grand Old Party“ die geteilte Macht im Kongress dafür genutzt, auf Ausgabenkürzungen insbesondere im Sozial- und Gesundheitsbereich zu drängen. Das hat sie auch diesmal angekündigt. Ihr wichtigstes Druckmittel liegt darin, dass sie die – in den USA regelmäßig erforderliche – Anhebung der Schuldenobergrenze schlicht verweigert. Auf diesem Weg kann sie Konzessionen erzwingen oder, durch die Verweigerung der Anhebung, Regierung und Verwaltung in einen „Shutdown“ zwingen. Falls es dazu kommt, werden alle „nichtessenziellen“ Bundesbehörden, vom Nationalpark bis zur Einwanderungsbehörde, geschlossen und die Angestellten in unbezahlten Urlaub geschickt.

Außerdem haben die Republikaner bereits eine Reihe von Untersuchungsausschüssen angekündigt, die sich mit allen möglichen Themen, von der Herkunft des Covid-19-Virus bis zu den Geschäftspraktiken des Präsidentensohns Hunter Biden, befassen sollen. Auch wenn sie dem Präsidenten kaum ernsthaft gefährlich werden dürften, werden sie das innenpolitische Klima weiter vergiften. In jedem Fall wird es für Joe Biden und die Demokraten künftig erheblich schwerer, ihre politischen Vorhaben umzusetzen.

Lichtblicke bei den Demokraten

Immerhin konnte die Demokratische Partei ihre Mehrheit im Senat verteidigen. Das bedeutet zum einen, dass die republikanische Opposition ihre Gesetzesinitiativen nicht durchsetzen kann. Zum anderen bleibt dem Präsidenten die Möglichkeit erhalten, weiterhin Richter*innen auf Bundesebene und die Leiter*innen der Bundesbehörden zu ernennen, denn dafür bedarf es lediglich der Zustimmung des Senats, nicht des Repräsentantenhauses.

Ein weiterer Lichtblick für die Demokraten ist die hohe Wahlbeteiligung, gerade unter jungen Leuten. Viele haben sich offenbar durch ihre Antipathie gegenüber Trump und die von ihm ausgehende Gefahr für die Demokratie mobilisieren lassen. Darüber hinaus haben Referenden, die das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in den Verfassungen von Bundesstaaten festschreiben, ebenso Mehrheiten errungen wie jene zur Legalisierung von Marihuana oder den Schutz der Mieter*innen. Aus progressiver Sicht besonders erfreulich ist das Abschneiden linker Kandidat*innen. Als Alexandria Ocasio-Cortez im Jahr 2018 das erste Mal für New York ins Repräsentantenhaus gewählt wurde und dort mit drei weiteren linken „Women of Color“ die sogenannte Squad bildete, war das eine Sensation. 2020 kamen dann zwei weitere Abgeordnete hinzu. Diesmal konnte der zweimalige Präsidentschaftsbewerber und Senator Bernie Sanders acht weiteren linken Abgeordneten zur Wahl gratulieren. Durch die Wahl dieser Abgeordneten, die sich voraussichtlich auch dem gemäßigt-linken Congressional Progressive Caucus anschließen werden, wird es ab Januar die fortschrittlichste demokratische Fraktion seit Jahrzehnten geben.

Trump oder DeSantis?

Donald Trump geht, das steht schon jetzt fest, erheblich geschwächt aus den Wahlen hervor, da etliche der von ihm unterstützten Kandidat*innen Niederlagen erlitten. Fast alle derer, die in umkämpften (also nicht sicheren) Wahlkreisen antraten, unterlagen der demokratischen Konkurrenz. Und anders als noch bei der letzten Wahl vor zwei Jahren erkannten die meisten von ihnen diesmal ihre Niederlage auch an – womit sie sich indirekt gegen Trumps big lie, die „große Lüge“ vom Wahlbetrug, stellten. All das ist auch den republikanischen Granden nicht entgangen.

Zugleich hat Ron DeSantis seine Wiederwahl äußerst überzeugend gewonnen. Der Gouverneur von Florida ist gesellschaftspolitisch erzreaktionär, hat sich in rechten Kreisen unter anderem mit knallharter Anti-Einwanderungs- und Anti-LGBT-Politik sowie durch das Schulverbot der „Critical Race Theory“ einen Namen gemacht. Sein hoher Sieg und – gerade im Vergleich zu Trump – vermitteltes Auftreten hat DeSantis zum neuen Hoffnungsträger der Republikaner gemacht. Auch wenn noch nicht absehbar ist, ob er sich in den Vorwahlen gegen Trump wird behaupten können, hat er bereits gewichtige Kräfte auf seine Seite ziehen können, darunter den australischen Verleger Rupert Murdoch, dem Fox News, „Wall Street Journal“ und „New York Post“ gehören.

Trump reagierte auf die neue Konkurrenz gewohnt dünnhäutig und ließ sich auch von der aufkommenden Kritik an seiner Person nicht davon abhalten, nur eine Woche nach der Wahl seine erneute Präsidentschaftskandidatur zu verkünden. Damit will er sich einen Vorteil verschaffen und mögliche Konkurrenten einschüchtern – nur zu gut erinnern sich alle an die Schlammschlacht, mit der er 2016 die Nominierung errang. Seine Ankündigung dürfte aber auch damit zu tun haben, dass er sich von ihr einen gewissen Schutz gegen die juristischen Ermittlungen verspricht, die derzeit gegen ihn laufen – auf diese Weise kann er diese als politisch motiviert zu diskreditieren suchen. Um diesen Vorwurf zu entkräften, setzte das Justizministerium umgehend einen unabhängigen Sonderermittler ein.

In der republikanischen Partei gibt es derzeit, anders als 2016 und 2020, wenig Begeisterung für eine Rückkehr Trumps. Dass die Partei drei Mal hintereinander (2018, 2020, 2022) ihre Wahlziele klar verfehlte, lasten inzwischen viele dem 76-jährigen an. An der Parteibasis hat der Ex-Präsident jedoch weiterhin eine treue Fangemeinde. Deshalb ist keineswegs auszuschließen, dass er aus den Vorwahlen erneut als Sieger hervorgeht. Aufgrund der Eigenarten der US-amerikanischen Vorwahlen („winner takes all“) wird viel davon abhängen, ob sich seine innerparteilichen Gegner auf eine Konkurrenzkandidatur verständigen können.

Sollte Trump jedoch in den Vorwahlen scheitern, ist nicht auszuschließen, dass er konkurrierend antritt und auf diese Weise das rechte Wählerpotenzial spaltet. Für die Demokraten wäre das ein Glücksfall.

Die Demokratie verteidigen

Das knappe Wahlergebnis zeigt, dass die Zukunft der US-Demokratie weiterhin an einem seidenen Faden hängt.

Oftmals wird übersehen, dass der Ausgang der amerikanischen (Präsidentschafts-)Wahl immense Folgen für Deutschland und Europa hat. Da ist etwa das US-Engagement in Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine; einige Republikaner hatten im Wahlkampf das Ende der Unterstützung für Kiew in Aussicht gestellt. Ein weiterer Faktor ist die deutsche Energieabhängigkeit, die die Bundesregierung von russischer Energie auf amerikanisches Fracking-Gas umgestellt hat. Nicht zuletzt wird Sicherheitspolitik für Europa und Deutschland meist nur im Rahmen der NATO gedacht – und die wird zu 90 Prozent aus den USA finanziert.

Kluge linke Außenpolitik sollte gegenüber Washington daher zwei Wege zugleich beschreiten. Zum einen gilt es, aus der Opposition heraus in aller Klarheit den „worst case“ für Deutschland und Europa zu beschreiben und von Berlin und Brüssel zu verlangen, sich darauf angemessen vorzubereiten, anstatt darauf zu hoffen, dass schon „alles gut“ werde. In den USA wird die Gefahr, dass das Land den Pfad der Demokratie verlassen könnte, längst offen diskutiert. Eine reformierte, demokratischere und sozialere Europäische Union muss daher in die Lage versetzt werden, im Ernstfall auch ohne die Unterstützung Washingtons bestehen zu können.

Die Wahlen vom 8. November haben allerdings gezeigt, dass der „worst case“, das Abrutschen des Landes in den Autoritarismus, noch vermieden werden kann. In diesem Sinnen müssen alle progressiven Kräfte von Bundeskanzler Olaf Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock verlangen, dass sie klar Stellung beziehen zu den autoritaristischen Anwandlungen der republikanischen Partei, die Wahlergebnisse nicht mehr anerkennt und den Putschversuch gegen eine gewählte Regierung schönredet. In diesem Kontext können auch die Abgeordneten, transatlantischen Institutionen und Medien mehr tun, indem sie bei Gesprächen mit Vertreter*innen der republikanischen Partei auch die Demokratiefrage ansprechen.

In der Entschlossenheit des Eintretens für Demokratie liegt naturgemäß ein Risiko; schließlich können wir nicht wissen, wer sich in den USA letztlich durchsetzen wird. Aber wer nur für Demokratie eintritt, wenn es nichts kostet, handelt wohlfeil. Es bedarf auch gegenüber der republikanischen Partei einer Brandmauer, wie sie in Deutschland gegenüber der AfD zumindest links von CDU/CSU und FDP noch besteht. Sie ist keine „normale“ Partei mehr und sollte daher auch nicht so beschrieben und behandelt werden. Denn wir wollen uns am Ende nicht vorwerfen müssen, nicht alles getan zu haben, um den Rechtsruck in den USA und der Welt zu verhindern.

Andreas Günther leitet das New Yorker Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Stefan Liebich war von 2009 bis 2021 Außenpolitiker für DIE LINKE im Bundestag und ist jetzt Fellow der Rosa-Luxemburg-Stiftung in New York City


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