August 17, 2017

Gerechte Mobilität: Postfossile Konversion und kostenloser öffentlicher Nahverkehr

Michael Brie

Die automobilisierte Gesellschaft befindet sich in einer Sackgasse: Die wichtigste Ressource der Automobilität, das Öl, geht langsam, aber unerbittlich zur Neige. Gleichzeitig wächst die Zahl der zugelassenen Fahrzeuge, und der Ausstoß von Kohlendioxid steigt weiter an, was die globale Erderwärmung und damit den Klimawandel massiv verstärkt.

Wie sieht die Zukunft der Mobilität, insbesondere in den Städten und Metropolen, aus? Die Automobilindustrie verfolgt diesbezüglich zwei Strategien. Die erste, dominante, setzt schlicht weiter auf den Individualverkehr, also auf ein business as usual, und hofft auf die wachsenden Märkte in Asien. Fest steht allerdings: Wenn lediglich auf Wachstum gesetzt wird, werden die Megastädte absehbar unter dem damit verbundenen, erhöhten Verkehrsaufkommen kollabieren – und die Folgen für das Klima verheerende Ausmaße erreichen.

Da die Erkenntnis endlicher Ressourcen und der Grenzen des Mobilitätswachstums auch in der Industrie bekannt sind, verfolgen die Autokonzerne in den letzten Jahren zweitens eine Strategie des Umbaus in Richtung eines vermeintlich „grünen“ Kapitalismus. Mit Blick auf die Automobilproduktion bedeutet das in erster Linie den Bau von Elektroautos. Aus dem Blick gerät dabei, dass auch E-Autos Energie verschlingen, es aber nicht absehbar ist, woher diese Energie künftig herkommen soll. Hinzu kommt: Bereits heute gibt es im globalen Süden, aber auch in den OECD-Ländern, einen Kampf um Energie, der – über den Markt „reguliert“ – vorrangig über den Preis ausgetragen wird. Das bedeutet, dass Mobilität in zunehmendem Maße zu einer sozialen Frage wird.

Dabei ist die Alternative zu diesem Kampf um Zugang zu Energie und Mobilität bereits heute offensichtlich: die Errichtung eines freien öffentlichen Nahverkehrs. Denn ein solcher wäre eine solidarische Alternative zum ungleichen Verteilungskampf, da alle Mitglieder der Gesellschaft von ihm profitieren würden – nicht nur diejenigen, die so reich sind, dass sie den Preis für Energie ignorieren bzw. sich schon heute ein E-Auto leisten können.

Wie aber kommt man dahin? Eines jedenfalls ist klar: Die Verwirklichung der Utopie eines freien öffentlichen Nahverkehrs setzt ein Umdenken voraus, das mit dem dominanten Mobilitätsmodell radikal bricht. Denn nur der öffentliche Nahverkehr ist in der Lage, den Energieverbrauch – und damit auch den Ausstoß von Kohlendioxid – massiv zu senken. Nur der öffentliche Nahverkehr ist ein Angebot für alle, das niemandem von Mobilität ausschließt.

Klar ist aber auch: Dieser Transformationsprozess ist ein komplexes Unterfangen. Es wird auf massive gesellschaftliche Widerstände treffen – insbesondere seitens der Automobilindustrie, aber, zumindest potenziell, auch seitens der Beschäftigten. Auf Grund der kulturell bedingten Tradition des Individualverkehrs ist auch darüber hinaus mit gesellschaftlichen Widerständen zu rechnen.

Die Entwicklung einer politischen Strategie der Transformation steht deshalb vor gewichtigen Fragen: Was geschieht mit den Arbeitern in der Automobilindustrie, die sich strukturellen Veränderungen ausgesetzt sehen und Gefahr laufen, im Zuge dieses Umbaus ihren Arbeitsplatz zu verlieren? Lässt sich ein solcher Umbau im national beschränkten Kontext überhaupt bewerkstelligen? Welche Kräfte können für den Umbau mobilisiert werden, und wie? Kann es gelingen, die Trennung zwischen Umwelt- und Arbeiterbewegung zu überwinden und eine Allianz verschiedener Akteure zu schmieden, in die alle Betroffenen einbezogen sind? Schließlich: Inwiefern markiert dieses Modell den Einstieg in ein sozial-ökologisches Wirtschaftsmodell, einen „Grünen Sozialismus“?

Der folgende Text aus der Feder von Michael Brie und Mario Candeias vom Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa Luxemburg Stiftung ist die Grundlage ihres Vortrags auf der Jahrestagung der American Sociological Association über “Concrete Utopias. Emancipatory Projects, Institutional Designs, Possible Futures” in Denver, 17.-20. August 2012.


Verbunden