Laut dem Internationalen Gerichtshof ist es die Verpflichtung der Staaten, die Produktion fossiler Brennstoffe zu regulieren
Vor sechs Jahren gründete eine Gruppe von 27 Jurastudent*innen im pazifischen Inselstaat Vanuatu eine Initiative, die gestern in einem Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) gipfelte. Wie Vishal Prasad von Pacific Islands Students Fighting Climate Change erklärte, brachten sie „das größte Problem der Welt vor das höchste Gericht der Welt“. Die Regierung von Vanuatu und andere pazifische Inselstaaten haben gemeinsam mit jungen Klimagerechtigkeitsaktivist*innen die Initiative angestoßen. Im Jahr 2023 ersuchte daraufhin die UN-Generalversammlung den Internationalen Gerichtshof (IGH) um ein Gutachten zu den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Staaten im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Die Hoffnung war, dass dies den Staaten im Kontext der fragmentierten internationalen Klimagesetzgebung Klarheit verschaffen würde. Nach mehr als zwei Jahren der Beratungen, darunter eine zweiwöchige Anhörung in Den Haag im Dezember 2024, hat das einstimmige Urteil nicht nur dies erfüllt, sondern sogar noch übertroffen.
In dem Gutachten stellten die 15 Richter*innen klar, dass jeder Staat, der seiner „(…) Verpflichtung zur Verhinderung von Umweltschäden, einschließlich Schäden am Klimasystem, nicht nachkommt, eine völkerrechtswidrige Handlung begeht (…)“. Darüber hinaus kamen sie zu dem Schluss, dass „das Versäumnis eines Staates, geeignete Maßnahmen zum Schutz des Klimasystems vor Treibhausgasemissionen zu ergreifen – einschließlich durch die Förderung fossiler Brennstoffe, den Verbrauch fossiler Brennstoffe, die Erteilung von Lizenzen für die Exploration fossiler Brennstoffe oder die Gewährung von Subventionen für fossile Brennstoffe – eine völkerrechtswidrige Handlung darstellen kann, die diesem Staat zuzurechnen ist“.
Gemäß dem Pariser Abkommen ist jeder Staat verpflichtet, detaillierte Pläne (sogenannte Nationally Determined Contributions oder NDCs) vorzulegen, wie er seine Treibhausgasemissionen im Einklang mit dem Pariser Abkommen, das die globale Erwärmung auf 1,5 °C begrenzt, reduzieren will. Laut dem IGH könnte ein Staat haftbar gemacht werden, wenn er seine vorgelegten NDCs nicht erfüllt oder wenn diese Verpflichtungen nicht ambitioniert genug sind – insbesondere wenn der Staat weiterhin die Produktion fossiler Brennstoffe unterstützt oder Subventionen für fossile Brennstoffe gewährt. Im November dieses Jahres ist jeder Staat verpflichtet, seine NDCs auf der COP30 in Belém vorzulegen. Dieses Gutachten des IGH ist ein wirksames Instrument, um Staaten für mangelnde Ambitionen und Umsetzung zur Rechenschaft zu ziehen.
In Bezug auf die Frage der Verantwortung von Staaten, die keine angemessenen Maßnahmen ergreifen, stellte das Gericht fest, dass diese für „die vollständige Wiedergutmachung gegenüber geschädigten Staaten in Form von Rückerstattung und Entschädigung (…) haftbar gemacht werden können, sofern die allgemeinen Voraussetzungen des Rechts der Staatenverantwortlichkeit erfüllt sind“. Gemeinden auf der ganzen Welt, insbesondere im Pazifikraum und im restlichen Globalen Süden, leiden bereits unter den Auswirkungen von Überschwemmungen, Dürren, Hitzewellen und Stürmen. Diese Auswirkungen von klimawandelbedingten Ereignissen werden noch häufiger und intensiver auftreten, wenn die Treibhausgasemissionen weiter steigen. Dies ist ein deutliches Signal dafür, dass Staaten verpflichtet sind, die fossile Brennstoffindustrie zu regulieren – andernfalls riskieren sie, für Schäden haftbar gemacht zu werden, die besonders betroffene Gemeinschaften erleiden. Das Gericht betonte zudem, dass die Reaktion auf den Klimawandel im Einklang mit dem Grundsatz der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortlichkeiten (Common but Differentiated Responsibilities, kurz CBDR) stehen muss. Dieser Grundsatz ist entscheidend, um die besondere Verantwortung der Länder des Globalen Nordens für die Bereitstellung von Klimafinanzierung an Länder des Globalen Südens widerzuspiegeln – sowohl für Klimaschutz und Anpassung als auch für den Umgang mit Verlusten und Schäden. Dabei berücksichtigt CBDR insbesondere den unterschiedlichen Anteil an den historischen und aktuellen Emissionen.
Obwohl nicht bindend, wird diese wegweisende Stellungnahme voraussichtlich weitreichende Folgen haben. Die wichtigsten Aussagen werden nicht nur in multilateralen politischen Bereichen, sondern auch in Rechtsstreitigkeiten zwischen Staaten nachhallen und darüber hinaus erhebliche Auswirkungen auf lokale und regionale Gerichtsverfahren haben, da die Bezirksgerichte bestrebt sein werden, die Feststellungen des IGH zu berücksichtigen und umzusetzen. Das Gutachten wird bereits als „bedeutendste Entscheidung für die Klimapolitik, die jemals von einem Gericht getroffen wurde“ gefeiert und läutet eine „neue Ära der Klimareparationen“ ein. In ihrer Auslegung machten die Richter*innen auch deutlich, dass Nichtvertragsstaaten eine Gewohnheitspflicht haben, was bedeutet, dass der Austritt aus dem Pariser Abkommen (wie es die USA Anfang dieses Jahres getan haben) einen Staat nicht von seiner Haftung nach internationalem Recht befreit.
Das Gutachten wird nun nach New York zurückgeschickt, um von der UN-Generalversammlung verabschiedet zu werden. In diesem Zusammenhang wird es besonders interessant sein, ob Deutschland für die Annahme stimmt, da es im Gegensatz zu den Klimaverhandlungen in der UN-Generalversammlung keinen Stimmblock mit der EU bildet. Und Deutschland hat viel zu verlieren. Als einer der größten Treibhausgasemittenten weltweit verfehlt Deutschland einige seiner Sektorziele, insbesondere bei den Emissionen im Bau- und Verkehrssektor. Das nationale Ziel Deutschlands in Bezug auf seinen fairen Anteil am globalen Kohlenstoffbudget wird als unzureichend bewertet, ebenso wie seine Beiträge zur internationalen Klimafinanzierung. Auch Deutschlands langjährige Unterstützung des Völkerrechts und des IGHs ist in zahlreichen Bereichen ins Wanken geraten, was zu einem Vertrauensverlust bei internationalen Partner*innen, insbesondere aus dem Globalen Süden, geführt hat. Die Frage ist nun, ob Deutschland seine Innen- und Außenpolitik mit dem Völkerrecht in Einklang bringen und sinnvoll und effektiv zusammenarbeiten kann, um die miteinander verknüpften Krisen der Gegenwart zu bewältigen.
Weitere Informationen zu den Pacific Islands Students Fighting Climate Change:
Eine detailliertere rechtliche Analyse:https://blogs.law.columbia.edu/climatechange/2025/07/24/the-icjs-advisory-opinion-on-climate-change-an-introduction/
Die Erklärung von Volker Türk, Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (OHCHR):
Direkte Zitate aus dem Englischen mit Deepl übersetzt.
David Williams leitet das Klimagerechtigkeitsprogramm der Rosa-Luxemburg-Stiftung in New York.



