November 9, 2022

Keine Rote Welle

Andreas Günther

9.11.2022 11.15 Uhr

Die angekündigte “Rote Welle” – nach der Parteifarbe der Republikanischen Partei – ist ausgeblieben. Einige Kommentare reden süffisant von einem Schwappen.

Angesichts der Ausgangslage ist das die Überraschung der Wahlnacht. Dass die Mehrheit sowohl im Senat als auch im Repräsentantenhaus zu dieser Zeit noch unklar ist, galt als nicht sehr wahrscheinlich. Es war klar, dass das Rennen im Senat knapp werden würde, aber der Sieg der Republikaner im Repräsentantenhaus galt als ziemlich sicher. Er ist noch immer wahrscheinlich, aber er steht eben noch nicht fest.

Trotz der Erfahrung, dass die Partei des Präsidenten in den Zwischenwahlen nach zwei Jahren seiner Amtszeit immer verliert, trotz Joe Bidens miserablen Zustimmungswerten, trotz der Sorge der Menschen in den USA um Inflation (insbesondere die Benzinpreise) und der angeheizten Angst vor Kriminalität hat es die Demokratische Partei geschafft, etliche umstrittene Mandate zu halten. Es ist sogar gelungen, in Pennsylvania einen hoch umstrittenen Senatssitz gegen einen von Trump massiv unterstützten Kandidaten zu gewinnen. Demokrat*innen konnten auch eine Reihe von Gouverneursposten verteidigen oder gewinnen, unter anderem wiederum Pennsylvania, Michigan und das zuletzt als umstritten geltende New York.

Detaillierte Analysen stehen noch aus, aber es scheint, dass die hohe Wahlbeteiligung, die sich aus dem polarisierten Wahlkampf speiste, der Demokratischen Partei zugutegekommen ist. Offenbar ist der Demokratische[1] Appell, dass die Demokratie selbst auf dem Spiel steht, bei deren Anhänger*innen nicht auf taube Ohren gestoßen. Er war angesichts der zahlreich zur Wahl stehenden Offiziellen, die über die Bestätigung eines Präsidentschaftswahlergebnisses 2024 zu entscheiden haben werden, auch nicht übertrieben. Kommentare merkten außerdem an das wohl auch gerade Trump Demokratische Wähler*innen zur Stimmabgabe gegen Republikanische Kandidat*innen motiviert hat.

Auch die Frage der Abtreibung, die der Demokratischen Partei nach dem Urteil des Obersten Gerichts im Sommer einen Auftrieb gegebenen hatte, scheint weiter eine größere Rolle gespielt zu haben als angesichts der wirtschaftlichen Probleme vermutet. Viele Demokratische Kandidat*innen hatten sie in den Vordergrund gestellt. In Michigan, Kalifornien und Vermont hatten Referenden Erfolg, die das Recht auf Abtreibung auf Bundesstaatsebene verankern, in Kentucky scheiterte eine Initiative, die das bestehende Verbot zementieren wollte.

Trotz allem wird ein Republikanisch dominiertes Repräsentantenhaus das politische Programm der Demokratischen Partei wirkungsvoll unterminieren. Präsident Biden wird dann politische Initiativen fast nur noch auf dem Verordnungsweg in Gang setzen können. Die Republikanische Partei hat bereits angekündigt, auf Einschnitte in den Sozialausgaben hinzuarbeiten. Klimagesetzgebung dürfte keine Chance mehr haben. Diverse Untersuchungen sind angekündigt.

Sollte die Demokratische Partei die Mehrheit im Senat halten können, könnten immerhin Gesetzesinitiativen der Republikanischen Partei blockiert werden. Außerdem wäre die Bestätigung der von Biden vorgeschlagenen Bundesbeamten und Richter*innen weiter möglich.

Interessant wird die Entwicklung in der Republikanischen Partei. Während die von Donald Trump unterstützten Kandidat*innen durchaus nicht überall den Zuspruch der Wählerschaft fanden, gewann sein innerparteilicher Rivale Ron DeSantis nicht nur überdeutlich eine weitere Amtszeit als Gouverneur, sondern sicherte der Partei auch 20 von 28 Sitzen Floridas im Repräsentantenhaus. Das mag in der zunehmend irrationalen Partei kein Entscheidungskriterium sein, als Argument in der innerparteilichen Debatte taugt es allemal.

Andreas Günther leitet das New Yorker Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung.


[1] Um deutlich zu machen, wann auf die Demokratische bzw. Republikanische Partei Bezug genommen wird, wird abweichend von der geltenden Rechtschreibung bei Adjektiven die Großschreibung verwendet.


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