Interview mit Vince Warren, Geschäftsführer des Center for Constitutional Rights in New York.
Die US-amerikanische Rechte bereitet seit geraumer Zeit einen Werkzeugkasten mit repressiven Instrumenten vor. Das neueste Tool ist HR 9594, das von NGOs und Linken auch als „nonprofit killer bill“ bezeichnet wird. Dem Senat liegt es zur Abstimmung noch nicht vor. Welche Rolle könnte es spielen?
Es ist das Ergebnis eines von langer Hand geplanten Vorstoßes der Rechten und zielt auf die Ausschaltung von Linken und linken Perspektiven ab. Dem Entwurf zufolge geht es um die Markierung gemeinnütziger US-Organisationen als Unterstützer von Terroristen oder terroristischer Aktivitäten. Sorgen soll dafür das US-Finanzministerium, das ihnen anschließend den steuerfreiten Status als gemeinnütziger Organisationen aberkennen würde. Praktisch bedeutet das für Organisationen wie das Center for Constitutional Rights oder Jewish Voice for Peace, also Organisationen, die sich stark für palästinensische Menschenrechte einsetzen, dass sie ohne Anhörung und ohne rechtliches Verfahren als terroristische Organisationen eingestuft werden können und ihre Finanzierung über Spenden sehr stark eingeschränkt wäre. Besonders besorgniserregend ist, dass die neue Trump-Regierung und ihre Gefolgsleute im Kongress unser Recht auf Kritik an der Regierung, die Beihilfe zum Völkermord lautet, mit Unterstützung von Terrorismus zusammenrühren. Anders ausgedrückt: Aus der Forderung, die USA sollten den israelischen Völkermord nicht unterstützen, hören die Rechten Hamas-Unterstützung heraus. Wir sind sehr besorgt, dass das Recht, nicht mit der offiziellen US-Politik übereinzustimmen, von einer rechten Regierung als pro-terroristische Rhetorik ausgelegt werden könnte. Das gefährdet uns alle.
HR 9495 wurde am 21. November von einer Mehrheit im Repräsentantenhaus unterstützt, darunter auch von 15 Demokraten. Warum haben sie mit den Republikanern gestimmt?
Man kann diese Frage auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Ein Vorläufer dieses Gesetzesentwurfs war im April 2024 vom republikanisch kontrollierten Repräsentantenhaus eingebracht und mit überwältigender Mehrheit, auch vieler Demokraten, befürwortet worden. Nur zehn Demokraten stimmten damals dagegen. Aber dann kamen die Wahlen im November, und Vieles veränderte sich. Seitdem überschwemmen die Republikaner das Repräsentantenhaus mit allen möglichen extremistischen Gesetzen, und die Demokraten stimmen – nicht zuletzt aufgrund des Widerstands von Menschen- und Bürgerrechtsorganisationen – dagegen. Es ist zwar problematisch, dass doch noch Demokraten für HR 9495 gestimmt haben. Aber die Tatsache, dass es im November viel weniger demokratische Dafür-Stimmen gab, stellt einen Schritt nach vorne dar. Einschränkend ist allerdings auch zu sagen, dass viele demokratische Abgeordnete mit der Repression von palästinensischen Organisationen und Ansichten einverstanden sind, während sie andererseits HR 9495 für ein zu großes Machtinstrument für die neue Trump-Regierung halten. Einer der Gründe für die Weigerung vieler Demokraten, sich für die Menschenrechte aller Menschen, insbesondere der Palästinenser, einzusetzen, ist der große Einfluss des American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) im Kongress. Es gibt nicht nur Geld aus und arbeitet hinter den Kulissen, um Politiker und ihre Mitarbeiter zur Unterstützung Israels zu bewegen, sondern hat auch im jüngsten Wahlzyklus mit großen Summen eingemischt.
Müssen sich auch US-NGOs, die nichts mit Gaza zu tun haben, Sorgen machen?
Sicherlich, einige sollten das, ja. Ich denke, dass die Trump-Regierung dieses Gesetz als eine von vielen Einschüchterungstaktiken verwenden wird. Letztere hat ja auch schon die Biden-Regierung eingesetzt. Unabhängig von HR 9495 ist das Finanzministerium beispielsweise heute befugt, Einzelpersonen und Gruppen als Terroristen zu bezeichnen und die Personen und Einrichtungen, die ihnen „materielle Unterstützung“ gewähren, strafrechtlich zu verfolgen. Die Regierung hat auch die Befugnis, Protestanführer und gemeinnützige Organisationen, die Spenden für Protestbewegungen sammeln, strafrechtlich zu verfolgen, wenn sie es versäumen, sich beim Justizministerium als „Vertreter eines ausländischen Auftraggebers“ zu registrieren. Das würde einen Verstoß gegen den sogenannten Foreign Assets Registration Act darstellen. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Anders als die drastischen strafrechtlichen Maßnahmen kann HR 9495 linke Stimmen auf die Schnelle eiskalt zum Verstummen bringen. Denn die Kosten und Mühen, die die verfassungsrechtlichen Schutzvorkehrungen des Verfahrensrechts mit sich bringen würden, fallen weg. Es würde der Bundesregierung im Grunde die Möglichkeit, politisch Andersdenkenden einen Maulkorb zu verpasssen, in die Hand geben. Zusammen mit den umfangreichen Strafverfolgungsmaßnahmen, die die USA nach dem 11. September 2001 eingeführt haben, wäre es viel einfacher, die Linke rechtlich in die Knie zu zwingen.
Nur die Linke, oder auch weitergehend?
Das Gesetz schüchtert potentiell auch Geldgeber und Unterstützer von gesellschaftlichem Wandel generell ein. Stiftungen und Stiftungsfonds können in der Regel nur an gemeinnützige Organisationen spenden, die von der Bundessteuer befreit sind. Wenn dieser Status einem ihrer Empfänger entzogen wird, können sie ihn nicht mehr finanzieren. Wenn eine Gruppe, die sich gegen rassistische Diskriminierung oder für Geschlechtergerechtigkeit einsetzt, eine Erklärung zur Unterstützung des Waffenstillstands in Gaza abgibt – oder sich nicht einmal öffentlich von einer Gruppe distanziert, die dies tut -, könnten eine solche Gruppe und ihre Geldgeber möglicherweise der Willkür des Finanzministers ausgesetzt sein. Auch Umweltgruppen stehen seit Jahrzehnten im Visier der Rechten und müssen sich große Sorgen machen. Wir vom Center for Constitutional Rights vertreten die Männer, die immer noch in Guantanamo festgehalten werden, und arbeiten gegen ihre illegale Inhaftierung durch die Vereinigten Staaten. Das hat nichts mit Israel oder Palästina zu tun. Aber diese Arbeit kann in einem Gesetzentwurf wie HR 9495 schwer beeinträchtigt werden. Darüber hinaus könnten muslimische, arabische und südasiatische Vereinigungen in den Vereinigten Staaten gefährdet sein, wenn sie sich für ihre Rechte als Community einsetzen und sich gegen Überwachung, Razzien usw. wehren. Wenn die Rechte behauptet, dass NGOs, die muslimische Communities in den USA unterstützen, dasselbe sind wie die Unterstützung muslimischer Terroristen irgendwo auf der Welt, dann gibt ihnen dieses Gesetz ein echtes Druckmittel in die Hand. Das Problem ist, dass es keine Richtlinie, kein begrenzendes Prinzip für HR 9495 gibt.
Einige Gewerkschaften haben Israel kritisiert und zu einem Waffenstillstand aufgerufen, etwa die United Auto Workers. Besteht für Gewerkschaften die Gefahr, dass sie als Unterstützer von Terrorismus ins Visier genommen werden?
Dieses spezielle Gesetz würde nicht für Gewerkschaften gelten, da sie keine gemeinnützigen Organisationen im Sinne der Steuerrichtlinie 501C3 sind. Ich denke jedoch, dass die Rhetorik der Rechten hier wirklich gefährlich ist, und zwar noch mehr als der Mechanismus. Das Gesetz wird höchstwahrscheinlich im kommenden Jahr verabschiedet werden. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass der Plan, die Linke auf der Grundlage von angeblicher Terrorismuntertstützung zum Schweigen zu bringen, auf gemeinnützige Organisationen beschränkt wäre. Diejenigen von uns, die an vorderster Front stehen und in gemeinnützigen Organisationen tätig sind, sind durch das Gesetz sicherlich am stärksten bedroht. Aber auch größere Organisationen, wie Gewerkschaften, Hochschulen und Universitäten sowie private Stiftungen, werden wahrscheinlich davon betroffen sein. Ich bin fest davon überzeugt, dass Gewerkschaftsführer, Universitätspräsidenten und Stiftungsleiter vor den Kongress gezerrt und aufgefordert werden, entweder einen Keil zwischen sie und die palästinensischen Menschenrechtsagenda zu treiben oder eben die Konsequenzen tragen zu haben, Das haben wir in dem Jahr seit dem 7. Oktober bereits erlebt. Und es wird wieder geschehen, sobald die Republikaner die Kontrolle übernehmen. Die Mechanismen der Unterdrückung in einem autoritären Kontext sind vielfältig. Aber dahinter verbirgt sich ein zentrales treibendes Narrativ, und das sehen wir auch in den USA.
Eine Blaupause für die extreme Rechte ist das „Project 2025“. Bekannt ist es seit Monaten. Wie kommt es, dass NGOs relativ unvorbereitet auf den Angriff von rechts sind?
Project 2025 ist ein enormes Problem. Ich kann nicht für alle NGOs sprechen, aber das CCR und eine Reihe von Organisationen, mit denen wir zusammenarbeiten, befassen sich seit fast einem Jahr damit. Project 2025 fordert den Abbau der staatlichen Infrastruktur und die Verlagerung der Rolle der verschiedenen Behörden, um eine andere Machtdynamik herzustellen. Ein wichtiges Beispiel ist für uns die Zeit nach dem 11. September 2001, als die Bush-Regierung das Department of Homeland Security ins Leben rief. Wir hielten das für erschreckend, weil darin das gesamte Strafverfolgungssystem im Bereich der Einwanderung sowie die Terrorismusbekämpfung in einer riesigen Einheit zusammengefasst wurden. Project 2025 will das auflösen, was manche jetzt für eine gute Idee halten. In Wirklichkeit ist es aber eine noch schlechtere Idee. Denn das Heimatschutzministerium soll abgebaut werden zugunsten von noch mehr Macht für die Durchsetzung der Einwanderungsgesetze, also für Massenabschiebungen. Für Nichtregierungsorganisationen gibt es also in Bezug auf den Kongress und die Regierung einiges für den Schutz der institutionellen Infrastruktur zu tun. Was unsere Linken angeht, so denken sie vielleicht, dass der Schutz der institutionellen Infrastruktur das Schlimmste sei, was man tun kann. Denn die Infrastruktur funktioniert nicht in unserem Sinne, sie sorgt für die Überwachung Schwarzer und Brauner Communities, für Inhaftierungen, für Abschiebungen. Warum sollten wir also in die Infrastruktur investieren? Ich denke aber, Trump lässt uns in gewisser Weise keine andere Wahl. Denn ohne ein Mindestmaß an Schutz für die Infrastruktur wird die Exekutivgewalt des Präsidenten unberechenbar und gerät außer Kontrolle. . Wir müssen deshalb für Hürden einstehen. Da Project 2025 zudem jegliche Bezugnahme auf rassistische Diskriminierung in der Bundesgesetzgebung und -politik abschaffen will, ist unsere Arbeit weitgehend defensiv ausgerichtet. Wir haben es mit einem Frontalangriff auf die multiethnische Demokratie zu tun, die wir in den USA seit 250 Jahren aufzubauen versuchen. Es handelt sich um eine der größten Bedrohungen für dieses Werk zu unseren Lebzeiten.
Machen Sie sich Sorgen um das Center for Constitutional Rights?
Ja, aber ich bin der Meinung, dass ein Center for Constitutional Rights keinen Sinn macht, wenn wir uns mehr Sorgen um unseren Fortbestand machen müssen als um den Kampf gegen die Rechten, die eine Gefahr für die Menschenwürde darstellen, und für eine Welt, wie wir sie uns vorstellen. Ehrlich gesagt, können und sollten wir lieber kämpfend abtreten, statt im Geschäft zu bleiben, wenn es angesichts der Dämonisierung von NGOs nur noch um den eigenen Organisationsbestand geht.
Was muss konkret getan werden?
Zunächst einmal müssen wir davon ausgehen, dass die US-Regierung mithört und alles über unsere Arbeit und Pläne weiß. Das erfordert, dass wir die Aktivisten und die Organisatoren, mit denen wir zusammenarbeiten, schützen, das heißt alles dafür tun, dass die digitale Sicherheit verbessert wird. Wir müssen in ständiger Kommunikation mit den Organisatoren und Aktivisten bleiben, wenn sie vor Ort bedroht werden. Wir errichten Netzwerke von Anwälten, um Menschen zu vertreten, die Opfer rechter Politik werden. Das ähnelt der Arbeit des CCR in den 1970er und 1980er Jahren. Zweitens stellen as Center for Constitutional Rights und andere eine Gruppe von Anwälten zusammen, die alles, was mit Project 2025 zu tun hat, anfechten werden. Wir wissen, dass viele Bundesrichter von Trump ernannt worden sind, wir uns auf die Gerichte also nicht verlassen können. Wir müssen in der Lage sein, diesen Kampf zu führen. Drittens müssen die NGOs mit Regierungsstellen in Verbindung bleiben und sie herausfordern – sicherlich nicht mit leitenden Amtsträgern in der Trump-Regierung, denn die ist nutzlos. Aber es gibt in der Exekutive weiterhin Menschen in Verwaltungsjobs gibt, die in der Lage sind, die schlimmsten Vorhaben zu bremsen oder sogar aufzuhalten. Dieser Ansatz hat in der ersten Trump-Regierung funktioniert, und vielleicht ist so etwas auch in der zweiten möglich.
Die rechtlichen Hindernisse sind also nicht neu…
Ich würde sogar noch weiter zurückgehen. Wir stehen 2024 vor ähnlichen Herausforderungen wie 1974, als die USA für FBI- und CIA-Ermittlungen im Rahmen von COINTELPRO und anderen Programmen Überwachung, Fehlinformation, Einschüchterung und Spitzel einsetzte. Das Weihnachtsgeschenk der Rechten ist dieses Jahr eine 60 Jahre alte Destabilisierungsstrategie, nur in neues Geschenkpapier eingewickelt. Das alte Weihnachtspaket hieß „Studenten, Gewalt und Kommunisten“, heute steht „Studenten, Gewalt und Terroristen“ drauf.
Aber nicht alle NROs denken so radikal wie die CCR…
Richtig. Manche meinen, wenn sie nur einen Fall vor das Oberste Gericht bringen können, oder wenn sie nur einen Gesetzesvorschlag im Parlament anstoßen, dann werden sie gewinnen. Mit diesem Ansatz kommen sie in freundlich gewogenen Regierungen und Gerichten vielleicht durch. Aber tatsächlich ist es heute so, als würden sie eine Sandburg zu nah am Meer bauen. Eine Grundlage für den dauerhaften Wandel, den wir uns wünschen, entsteht so nicht. Nichts davon wird mit der neuen Trump-Regierung funktionieren. Die Organisationen müssen ihre politischen und methodischen Differenzen beiseite legen. Wir brauchen nicht in allem übereinstimmen. Nur in einem Punkt sollten wir uns einig sein: Wir sind in den nächsten vier Jahren alle gemeinsam gefährdet, wenn wenn wir nicht gemeinsam gegen die Bedrohung vorgehen.
Interview von Max Böhnel. Max ist freiberuflicher Journalist in New York. Er arbeitet für deutschsprachige Medien.
Foto: MANDEL NGAN (Getty Images)