Die historische Ernennung von Deb Haaland, einer amerikanischen Ureinwohnerin, zur Innenministerin der USA sowie die Aufstockung des Haushalts des Bureau of Indian Affairs von 3,2 auf 4,6 Milliarden US-Dollar im Jahr 2025 markierten den Beginn in einer neuen Ära in Sachen Entschädigungen und Indian Treaties (Verträge mit den indigenen Völkern, Anm. d. Übers.). Betrachtet man die geringen Budgetsteigerungen in den Vorjahren, so ist diese deutliche finanzielle Aufstockung der Behörde als eine Art Reparationsleistung zu verstehen und hat mit den eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen zu tun. Doch im Gegensatz zu der eher offenen Auseinandersetzung über finanzielle Wiedergutmachung für Sklaverei und Rassismus gegenüber der afroamerikanischen Community – 2024 hat ein Ausschuss des New Yorker Stadtrats eine diesbezügliche Untersuchung in Auftrag gegeben, während Kalifornien als erster US-Bundesstaat ein Gesetz dazu verabschiedet hat – hängen mit den Indian Treaties vielschichtige historische Verpflichtungen, rechtliche Präzedenzfälle und laufende Verhandlungen zusammen, die eine einfache finanzielle Kompensationslösung erschweren. Einerseits ist die Budgeterhöhung des Bureaus eine bürokratische Geste, mit der die Regierung in der Vergangenheit begangenes Unecht anerkennt, anderseits macht sie deutlich, wie kompliziert und wenig auf Augenhöhe die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und den indigenen Völkern Nordamerikas weiterhin sind.
Doch es gibt eine Vorgeschichte, auf die Ministerin Haaland aufbauen kann, und die liegt fast ein Jahrzehnt zurück. Die massiven Proteste von Native Americans gegen den Bau der Dakota Access Pipeline sowie die Black-Lives-Matter-Bewegung im Jahr 2016 waren in vieler Hinsicht ein Türöffner. Sie und weitere Formen eines neuen politischen Aktivismus unter Schwarzen, Indigenen und anderen People of Color führten zu etlichen «Ersternennungen» (Ämterbesetzungen mit Angehörigen sogenannter Minderheiten) und erzeugten bei den Kolonialregierungen eine gewisse Unruhe und einen erhöhten Handlungsdruck. Nicht länger konnten die Forderungen dieser marginalisierten Communities ignoriert werden, von denen viele weiterhin unter den Folgen von Genozid, Landraub sowie historischen und aktuellen Versuchen der Auslöschung zu leiden haben.
Weltweit erleben wir Schritte hin zu mehr staatlicher Verantwortungsübernahme für historisches Unrecht. Im Jahr 2024 gab es eine Reihe von staatlichen Wiedergutmachungsinitiativen, die traditionelle Narrative von der historischen Versöhnung infrage stellen. So drückte der belgische König Philippe dem Präsidenten der Demokratischen Republik Kongo sein «tiefstes Bedauern» aus und sprach fünf 80-jährigen kongolesischen Frauen, die während der Kolonialzeit die Qualen katholischer Internate überlebt hatten, jeweils eine Entschädigungszahlung von 50.000 Euro zu. In Kanada kam es zu einem Vergleich zwischen den First Nations und der Regierung, der für ein ganzheitlicheres Modell der institutionellen Aufarbeitung, Wiedergutmachung und Heilung steht. Kanada stellt 31,5 Milliarden Dollar für ein Entschädigungs- und Investitionsprogramm zur Verfügung, das indigenen Kindern und deren Familien, die in der Vergangenheit Opfer des rassistischen Kinder- und Jugendfürsorgesystems geworden waren, zugutekommen soll. Die laufenden Verhandlungen des japanischen Staats mit koreanischen Trostfrauen werden zwar durch diplomatische Spannungen belastet, aber auch diese zeigen, wie historische Traumata mit finanziellen und diplomatischen Mitteln bearbeitet werden können. Auch in Großbritannien haben die Diskussionen über Reparationen an karibische Staaten für das Unrecht der Sklaverei an Dynamik gewonnen. Erste Regierungskommissionen arbeiten an Vorschlägen, wie den Forderungen nach Entschädigung nachzukommen ist. Das jüngste Beispiel ist Holland. Hier ist ein nationaler Dialog zur Aufarbeitung der Rolle des Landes im transatlantischen Sklavenhandel und daraus resultierender finanzieller Verpflichtungen in Gang gekommen, der einen potenziell transformativen Ansatz zur Bewältigung des kolonialen Erbes verspricht. Diese unterschiedlichen und doch miteinander verbundenen Bemühungen stehen für einen bestimmten globalen Zeitgeist. Immer mehr Regierungen sehen sich derzeit gezwungen, sich mit den von ihren Staaten begangenen Verbrechen auseinanderzusetzen, und zwar nicht im Sinne von isolierten Vorfällen, sondern als Formen der systematischen Unterdrückung, die nuancierte und vielschichtige Ansätze der Anerkennung des Unrechts und der Wiedergutmachung erfordern.
«Von Versöhnung zu sprechen, finde ich manchmal etwas problematisch, denn Versöhnung legt nahe, dass eine Beziehung zu einem bestimmten Zeitpunkt gut war. Aber wir hatten nie wirklich eine gute Beziehung zur Bundesregierung», sagt Edgar Villanueva, Gründer des Decolonizing Wealth Project. Das Leiden von «Native Americans», die als Kinder zum Zwecke der Assimilation in den USA zum Besuch von Internaten unter christlicher oder staatlicher Leitung gezwungen wurden, erhielt 2024 endlich offizielle Anerkennung, aber nicht in Form einer finanziellen Entschädigung. In einer Rede nannte Präsident Biden die Indian Boarding Schools «einen Schandfleck in der Geschichte der USA» und entschuldigte sich für das staatliche Handeln in der Vergangenheit, das gewaltsame Familientrennungen, Misshandlungen und die Vernachlässigung von Kindern umfasst hatte und auf eine Auslöschung der indianischen Identität hinauslief.
Bei einer Pressekonferenz in der Air Force One im Oktober 2024 ging Ministerin Deb Haaland auf die Unterschiede zwischen dem Ansatz der Bundesregierung in Bezug auf Reparationen und dem ein, was die Indian Treaties vorgeben. «Ich möchte etwas zum Thema ‹Reparationen› klarstellen: Sie werden nie hören, dass ich diesen Begriff im Zusammenhang mit den Indian Treaties verwende, weil es sich bei dem Verhältnis zwischen der Bundesregierung und den 574 von ihr anerkannten Stämmen der Ureinwohner*innen um eine Beziehung zwischen Regierungen handelt», sagte sie und fügte hinzu: «Die Regierung der Vereinigten Staaten hat die Verpflichtung, die Treuhands- und Vertragszusagen gegenüber diesen Stämmen einzuhalten.»
Die Indian Treaties sind wie andere Verträge rechtlich bindend
Zwischen 1778 und 1871, einer Zeit, die auch als «Ära der Abkommen» bezeichnet wird, wurden sage und schreibe 400 Verträge mit den amerikanischen Ureinwohner*innen abgeschlossen und ratifiziert. Dies waren rechtsverbindliche Vereinbarungen zwischen souveränen Nationen, zunächst zwischen den indigenen Völkern und europäischen Nationen, später den Kolonien, Staaten und schließlich den USA. Sie regelten den Zugang zu Land, Jagd- und Fischereirechten und sicherten den Native Americans zudem das Recht auf Souveränität, eine eigene Rechtsprechung, Religionsfreiheit und Selbstverwaltung zu. «Das ist der Grund, warum es etwas anderes ist, über die Einhaltung von Verträgen als über ‹Wiedergutmachung› zu sprechen. Selbstverständlich steht uns eine Entschädigung für Völkermord und Landraub zu. Aber die Indian Treaties sind der Beweis dafür, dass wir Nationen mit legitimen rechtlichen Hoheitsansprüchen waren und immer noch sind», sagte Matthew Yazzie, Berater des Vorstands der Organisation Natives Rising. «Sie können uns nicht als primitive und barbarische indianische Wilde abtun, wenn es buchstäblich Hunderte von Abkommen gibt, die beweisen, dass sie mit uns auf Augenhöhe verhandeln mussten. Deshalb wollen sie diesen Teil der Geschichte lieber ignorieren und hoffen, dass auch wir dies tun und alle die Existenz dieser Verträge vergessen.»
Der Ausschluss aus dem Rechtssystem ist vielleicht die effektivste und perfideste Art und Weise, die Souveränität der indigenen Gemeinschaften anzugreifen und zu schwächen. Die meisten US-Amerikaner*innen sind vermutlich der Ansicht, dass die Indian Treaties nichts mit den rechtlichen Strukturen zu tun haben, die ihr eigenes Leben bestimmen. Ihre Unkenntnis dieser Verträge oder ihre bewusste Verleugnung, beides läuft auf eine Unsichtbarmachung der indigenen Gemeinschaften hinaus. Dabei sind die Indian Treaties genauso rechtlich bindend wie es zum Beispiel die Abkommen waren, die die US-amerikanische Regierung Ende des Zweiten Weltkriegs mit Deutschland und Japan schloss.
Vertreter*innen der Japanese-American Community haben kürzlich Präsident Biden dazu aufgefordert, die afroamerikanische Bevölkerung finanziell für in der Vergangenheit erlittenes Unrecht zu entschädigen. Sie selbst hatten 1948 eine Summe von 38 Millionen US-Dollar erhalten und 1988 hatte Präsident Reagan allen Japanese-Americans, die während des Zweiten Weltkriegs in den USA interniert worden waren, eine Entschädigung von 20.000 US-Dollar zugesprochen.
Die seltsamen Bettgenossen der Wiedergutmachung
Die USA und Deutschland stehen für zwei sehr unterschiedliche Modelle, wie Staaten mit ihrer Verantwortung für historische Verbrechen umgehen und mit welchen kulturellen und rechtlichen Mitteln nationale Traumata adressiert und bearbeitet werden. Während der staatliche Ansatz der USA nach wie vor fragmentiert ist und bei den Native Americans und Afroamerikaner*innen zwischen performativer Anerkennung und grundlegendem Widerstand schwankt, hat Deutschland ein strukturierteres, proaktives Modell für die historischen Versöhnung hervorgebracht. Die deutsche Wiedergutmachungspolitik in Bezug auf den Holocaust und das NS-Unrecht umfasste direkte finanzielle Entschädigungen der Opfer, institutionelle Reformen und umfangreiche Bildungsprogramme. Damit steht sie in deutlichem Gegensatz zu den eher zögerlichen Gesten der Vereinigten Staaten. Die Wiedergutmachung der NS-Verbrechen erschöpfte sich nicht in finanziellen Leistungen, der deutsche Staat verpflichtete sich vielmehr zu einem landesweiten und nachhaltigen Engagement, um die in der Vergangenheit begangenen Gräueltaten durch Bildungs- und Aufklärungsinitiativen, Gedenkstätten und juristische Schritte aufzuarbeiten. In den USA hingegen sind die Reparationsdiskussionen weitgehend theoretisch geblieben. Lange Zeit hatte man Eindruck, es werde alles getan, um die Themen Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den indianischen Ureinwohner*innen und Reparationszahlungen an die schwarze Community politisch in der Schwebe zu halten. Während Deutschland für den nationalen Prozess der NS-Vergangenheitsbewältigung und Aufarbeitung seiner kolonialen Verbrechen eigens Strukturen und Institutionen aufgebaut hat, streitet man in den USA weiterhin politisch über die Legitimität der Ansprüche der Opfer und ihrer Nachfahren und sind die hier bislang ergriffenen Maßnahmen nicht viel mehr als ein Flickwerk begrenzter staatlicher Initiativen und sporadischer juristischer Interventionen.
Wahrheitsfindung und Versöhnung
Obwohl die treuhänderische Verantwortung für die Einhaltung der Indian Treaties bei der Bundesregierung der USA liegt, können vor dem Hintergrund einer sich wandelnden geopolitischen Weltanschauung auch philanthropische Initiativen einen wichtigen Beitrag leisten, um die Forderung nach Einhaltung von Vertragsrechten und Wiedergutmachung Nachdruck zu verleihen. Humanistische Organisationen neigen dazu, sich auf einzelne ethnische Gruppen zu konzentrieren, aber es gibt auch solche, für die die emanzipatorischen Kämpfe der Indigenen und Schwarzen untrennbar miteinander verbunden sind. «Zuerst habe ich mich vor allem für Reparationsleistungen an die afroamerikanische Community engagiert. Doch dann habe ich festgestellt, dass es auch in den Communities der Native Americans Diskussionen um Reparationen vonseiten des Staates gibt. Aber in den meisten Fällen geht es den indigenen Communities eher um Wahrheitsfindung, Heilung und Versöhnung», sagte Edgar Villanueva vom Decolonizing Wealth Project. In Kanada gab es mit der 2007 eingerichteten Wahrheits- und Versöhnungskommission (Truth and Reconciliation Commission/TRC) bereits formellere Bemühungen zur Aufarbeitung historischer Sünden vonseiten des Staates. Bis 2015 stellte dieser 72 Millionen Dollar für die Arbeit der TRC bereit. Die kanadische Regierung hat vor Kurzem, wie bereits erwähnt, außerdem 31,5 Milliarden Dollar für ein Investitions- und Entschädigungsprogramm für die Opfer des rassistischen Kinder- und Jugendfürsorgesystems zugesagt. Es wird geschätzt, dass die Ämter in Kanada seit 1991 um die 115.000 indigenen Kinder aus ihren Familien gerissen und in sogenannte Residential Schools gesteckt haben. Damit kann das kanadische Modell der Wiedergutmachung Vorbild sein für andere Regierungen und NGOs.
Edgar Villanueva ist überzeugt davon, dass es auch in den USA eines umfassenderen Ansatzes bedarf: «Vertragsbrüche wie im Fall der Indian Treaties müssen Konsequenzen haben. Die Bundesregierung muss endlich dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Es geht nicht nur darum, dass wir etwas zurückbekommen, was man uns gestohlen hat. Wir wollen auch, dass sich der Staat zu seiner Verantwortung für begangenes Unrecht bekennt. Ich denke, dass es auch hier einen Prozess der Wahrheitsfindung und Versöhnung geben muss.»
Rassistischer Revanchismus und seelische Verletzungen
Die Rückkehr Donald Trumps auf die politische Bühne und seine chauvinistischen Hasstiraden haben die unter Konservativen bereits vorhandene Weltuntergangsstimmung und die Angst vieler Weißer, die Kontrolle über das Land zu verlieren, noch weiter verstärkt. Wir erleben einen politischen Backlash gegen die Ansprüche von Schwarzen, Indigenen und anderen People of Color, der in der offenen Forderung mündet, die weiße Vorherrschaft, koste es, was es wolle, wiederherzustellen – notfalls auch für den Preis einer galoppierenden Inflation. Selbst in weniger fanatischen rechten Kreisen greift man jedes Mal, wenn die Sprache auf begangenes Unrecht und den strukturellen Rassismus in der US-amerikanischen Gesellschaft kommt, zu einer bestimmten rhetorischen Strategie. Um keinerlei Verantwortung übernehmen zu müssen, stellen konservative und gemäßigte US-Amerikaner*innen rassistisch motivierte Verbrechen gern als weit entfernte historische Ereignisse dar, die nichts mehr mit der heutigen gesellschaftlichen Realität zu tun hätten. Konfrontiert man sie mit Beweisen für das anhaltende Wohlstandsgefälle und die weiter bestehenden Privilegien der Weißen, lenken diese Stimmen oft ab und unterstellen implizit, Schwarze und Indigene hätten sich ihre marginale soziale Position irgendwie selbst ausgesucht. Hier zeigt sich ein zutiefst problematisches Verständnis von struktureller Ungleichheit. Dieses Narrativ spiegelt eine Form der psychologischen Konditionierung wider, die W.E.B. Du Bois in weiser Voraussicht als «doppeltes Bewusstsein» bezeichnet hat. Demnach sind Afroamerikaner*innen in der schwierigen Situation, sich in einer komplexen psychologischen Konstellation zurechtfinden zu müssen. Sie müssen ein bestimmtes Rollenverhalten einüben und nach außen bzw. in der Öffentlichkeit so auftreten, dass von ihnen keine Bedrohung für die Weißen ausgeht. Nur im Verborgenen können sie ihr wahres Ich zeigen und sich den generationenübergreifenden Traumata stellen. Hierbei handelt es sich um keine individuellen Entscheidungen, sondern um einen ausgefeilten kollektiven Überlebensmechanismus, der aus einer jahrhundertelangen systematischen Unterdrückung herrührt und dazu dient, einen Umgang mir den vielfältigen psychologischen und epigenetischen Wunden der Sklaverei zu finden. Worauf diese Communities bis heute warten, ist eine förmliche Anerkennung ihres Leidens und Vorstöße der Regierung und der Gesellschaft, die zu einer tatsächlichen Versöhnung führen könnten.
Das Fehlen von solchen Vorstößen vonseiten der US-Regierung und ihre anhaltende Weigerung, die mit den indigenen Völkern eingegangenen Verträge zu erfüllen, hat tiefgreifende Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von Native Americans, da damit der Kreislauf von historischem Trauma und kollektiver Entrechtung aufrechterhalten wird. Der indigene Psychologe Eduardo Duran beschreibt dieses Phänomen als «seelische Verletzungen», die nicht heilen können, weil Wut und Trauer über Vertragsverletzungen und systematische Enteignung über Generationen hinweg weitergetragen werden und sich in hohen Raten von Depressionen, Drogenmissbrauch und Selbstmord in den indigenen Communities niederschlagen. Erfahrungen von struktureller Gewalt und Verstößen gegen ihr Selbstbestimmungsrecht genauso wie der anhaltende Raub von Land und anderen Ressourcen erschweren zudem eine kollektive Identitätsbildung und die Fähigkeit, bestimmte kulturelle Traditionen und Wissen an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben. Auch Eriksons Theorie der psychosozialen Entwicklung verweist auf die nachhaltigen Auswirkungen der Vertragsbrüche vonseiten der US-Regierung. Diese hätten das Vermögen der indigenen Communities geschwächt, einen Sinn für Generativität zu entwickeln, das heißt in künftige Generationen zu investieren und ein stabiles Erbe hervorzubringen. Stattdessen herrsche ein kollektives Gefühl der Verunsicherung und Verzweiflung vor. Die Erkenntnisse von Duran und Erikson beleuchten aus indigener und westlicher Perspektive den psychologischen Preis, den die Betroffenen für gebrochene Versprechen bezahlen müssen, und unterstreichen damit die Notwendigkeit von gerechter Wiedergutmachung, der Rückgabe von Land und der Erfüllung von Vertragsverpflichtungen. Nur so können die durch historische und andauernde Ungerechtigkeiten hervorgerufenen Verletzungen irgendwann einmal heilen.
Die Sorge, dass Forderungen nach Wiedergutmachung für historisches Unrecht und nach Anerkennung von Rassismus, Sklaverei und Völkermord rassistische Reaktionen und einen weiteren rechten Backlash befördern, wird auch von Progressiven geteilt. So erklärte etwa Bernie Sanders 2016, er schätze die Wahrscheinlichkeit, dass der US-Kongress Reparationsleistungen gegenüber der afroamerikanischen Community zustimmen würde, gleich null ein. Zudem würden solche Forderungen spalten und sollten durch andere Strategien zur Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit unter Schwarzen ersetzt werden.
In einer Zeit des vermeintlichen Fortschritts in Sachen Rassismus und Diskriminierung offenbaren die erschreckenden statistischen Realitäten die tiefgreifende wirtschaftliche Apartheid, die nach wie vor die US-amerikanische Erfahrung prägt. Sie verwandeln eher abstrakte Erzählungen über historisches Unrecht und strukturelle Benachteiligungen in eine nüchterne Anklage der strukturellen Ungleichheit anhand von nackten Zahlen. Um den heutigen Wohlstand weißer Haushalte zu erreichen bzw. um die bestehende Differenz aufzuholen, bräuchten schwarze Haushalte 228 Jahre, so das Institute for Policy Studies. Im Jahr 2000 verfügte ein durchschnittlicher indigener Haushalt über ein Vermögen von 8 Cents für jeden Dollar, den ein weißer Haushalt besaß. Diese Kluft hat sich nach Angaben des National Indian Council on Aging und der Bush Foundation in den letzten zwei Jahrzehnten noch vergrößert.
Daran wird die von Ministerin Haaland vorgenommene Aufstockung der Mittel für das Bureau of Indian Affairs wenig ändern können. Denn diese Mittel kommen in erster Linie den Reservaten und den dort lebenden Menschen zugutekommen, die allerdings nur 13 Prozent der gesamten indianischen Bevölkerung in den USA ausmachen. 87 Prozent der amerikanischen Ureinwohner*innen leben in Städten.
Amerikas Nachhaltigkeit als Erbsünde
Reparationsbefürworter*innen, von der Rechtswissenschaftlerin Kimberlé Crenshaw über den New Yorker Senator James Sanders bis hin zu Black Lives Matter, haben dazu beigetragen, dass in den USA eine gesellschaftliche Dynamik in Gang gekommen ist, die ein weiteres Ignorieren der Ansprüche der verschiedenen Communities unmöglich macht. Doch radikale Befürworter von Reparationen wie die Uhuru-Bewegung, eine unbewaffnete Version der Black Panthers, sind ins Visier des Staatsschutzes geraten. So werden ihre Sprecher*innen Omali Yeshitela und Penny Hess völlig zu Unrecht beschuldigt, russische Spione zu sein. Diese bereits bekannte Taktik, die Befürworter*innen von Reparationszahlungen zu delegitimieren und in diesem Fall gar zu kriminalisieren, ist zweifelsohne ein weiteres Ablenkungsmanöver der US-Regierung und sagt etwas über deren inneren Zustand aus.
Nachdem es Vizepräsidentin Kamala Harris gelungen war, für ihre Präsidentschaftskandidatur 2024 eine enorme Summe an Spendengeldern einzusammeln, wurden Forderungen laut, sie solle sich ähnlich intensiv um Spendengelder für Reparationszahlungen bemühen. Viele der Initiativen des Weißen Hauses zur Förderung der Rechenschaftspflicht und der verstärkten Repräsentation von sogenannten Minderheiten in Staat und Verwaltung, die Ernennung von 61 schwarzen Richter*innen, darunter 39 Frauen, und andere Maßnahmen können als Signale des antirassischen Fortschritts gedeutet werden oder aber auch als Ausdruck einer Verschleierungstaktik.
Seltsam ist unter anderem auch das Last-Minute-Engagement der Biden-Harris-Regierung für mehr erneuerbare Energien. Fast vier Jahr lang hatte sie eine der größten Bedrohungen der Welt mehr oder minder ignoriert. Dann genehmigte das Innenministerium plötzlich den Abbau von Lithium in Bundesstaaten wie Nevada, der empfindliche Ökosysteme durcheinanderbringen wird, Wasser vergiftet, die Gefahr von Erdbeben erhöht und die heiligen Stätten von indianischen Stämmen wie den Paiute und Shoshonen bedroht. Diese waren über die Pläne unterrichtet worden, es fand aber keinerlei ernsthafte Konsultation der in den Abbaugebieten lebenden Native Americans statt. Dies ist eine wenig überraschende politische Wendung, denn wie häufig in der Vergangenheit werden hier verschiedene Interessen gegeneinander ausgespielt. In diesem Fall wurden die vertraglichen Verpflichtungen gegenüber den amerikanischen Ureinwohner*innen der offiziellen Zielsetzung, erneuerbarer Energien zu fördern, untergeordnet. Der zyklische Charakter der Ressourcenextraktion – wobei Bemühungen vonseiten des Staates um eine angemessene Repräsentation und Mitsprache der vom Abbau Betroffenen immer wieder von machtvollen wirtschaftlichen Interessen und sogenannten Sachzwängen untergraben werden – offenbart eine tiefgreifende Kontinuität bei den geopolitischen Strategien im weltweiten Kampf um Ressourcen: Auf den ersten Blick transformative politische Gesten ändern nichts an den grundlegenden Machtverhältnissen, vielmehr können sie für die aus der Vergangenheit bekannten Mechanismen der systematischen Enteignung instrumentalisiert werden.
Ein weiteres Beispiel für diese alte Strategie, über diplomatische und politische Manöver eine extraktivistische und ausbeuterische Wirtschaftspolitik zu betreiben, ist der Staatsbesuch von US-Präsident Biden in Angola im vergangenen Jahr. Ähnlich wie bei Vertragsverhandlungen in der Vergangenheit, bei denen der eigentliche Zweck von diplomatischen Bemühungen die Absicherung des Zugangs zu ausländischen Märkten und Ressourcen war, zielte Bidens Afrikareise darauf ab, den Zugriff auf wichtige Mineralien zu erhalten, die in den USA für die Produktion von Batterien für Elektrofahrzeuge benötigt werden. Diese moderne Form der diplomatischen Intervention spiegelt frühere koloniale und siedlungskoloniale Strategien wider, bei denen mächtige Staaten vorgaben, den Zugang zu grundlegenden Wirtschaftsressourcen über diplomatische Kanäle in fairer Manier und unter Berücksichtigung beidseitiger Interessen auszuhandeln. Derzeit bemühen sich sowohl die USA als auch die europäischen Staaten um gute Beziehungen zu afrikanischen Regierungen, weil sie für den Ausbau ihrer grünen Technologie-Infrastruktur auf afrikanisches Lithium, Kobalt und Seltene Erden angewiesen sind. Das Ganze erinnert an die Logik der Vertragsverhandlungen mit indigenen Gemeinschaften in den USA, bei denen der diplomatische Diskurs die grundlegenden ökonomischen und extraktivistischen Imperative verschleiert und in denen sich historische Muster globaler Hierarchien sowie Macht- und Ungleichverhältnisse wiedererkennen lassen.
Aktuelle Wiedergutmachungsinitiativen in verschiedenen Ländern sind Ausdruck eines komplexen Zusammenspiels von teils gegensätzlichen Trends: Zum einen haben weltweite Kämpfe erreicht, dass sich Staaten ihrer Verantwortung für historisches Unrecht stellen müssen. Zum anderen sehen wir, dass strukturelle Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten weiterhin Bestand haben und die Auseinandersetzungen mit den Hinterlassenschaften von Kolonialismus und Ausbeutung in vielerlei Hinsicht noch gar nicht begonnen haben. Von Kanadas Entschädigungszahlungen für indigene Kinder und deren Familien bis hin zu Belgiens Eingeständnis der Gräueltaten im Kongo: In diesen Initiativen scheinen sowohl die Verheißungen als auch die Grenzen finanzieller und institutioneller Wiedergutmachung auf. Das Beharren von Innenministerin Deb Haaland auf die vertraglichen Verpflichtungen der Bundesregierung verweist auf eine Besonderheit des Verhältnisses zwischen den indigenen Communities und dem Staat in den USA. Hier geht es mehr um die Anerkennung von Souveränität und rechtlichen Verpflichtungen als um andere Formen der Wiedergutmachung. Die im Beitrag aufgezeigte Kluft zwischen symbolischen politischen Gesten und bedeutsamen strukturellen Veränderungen verdeutlicht die anhaltende Herausforderung, historisches Unrecht mit der heutigen Realität in Einklang zu bringen. Die gebrochenen Versprechen und die Logik des gewaltsamen Land- und Ressourcenraubs wirken ganz offensichtlich weiterhin fort.
Petala Ironcloud ist freier Autor und gehört der indigenen Gemeinschaft der Lakota an. Er schreibt zu Themen wie Kunst, Kultur, Technologie, Politik und indigene Angelegenheiten und hat Beiträge für Art in America verfasst. Zuvor war er im Vorstand des American Indian Cultural Center of San Francisco und arbeitete dort mit Bürgermeisterin London Breed an einem Konzept für den ersten American Indian Cultural District in den USA.
Foto: Flickr (Eingang zum Friedhof Wounded Knee in der Pine Ridge Reservation in South Dakota, wo das Massaker von Wounded Knee stattgefunden hatte und später Massengräber für die Opfer ausgehoben wurden)