Juni 10, 2020

Zeit für einen New Deal im internationalen Finanzwesen

Leo Baunach

Am 23. März trat Weltbank-Präsident David Malpass an das virtuelle Rednerpult des Finanzminister-Treffens der G20. Das Ausmaß der Wirtschafts- und Gesundheitskrisen durch COVID-19 wurde deutlich. Malpass forderte die Geberländer der G20 nachdrücklich auf, einkommensschwachen Ländern einen bilateralen Schuldenerlass anzubieten, damit diese sich auf die Pandemie konzentrieren können. Er stellte richtigerweise fest, dass viele Länder mit niedrigem Einkommen eine „umfassende und gerechte“ Neuverhandlung der Schulden benötigen würden.

Was war die Weltbank bereit, als Antwort auf die Covid-19-Krise und den Wiederaufbau zu tun? Die Weltbank kündigte ein Hilfspaket von 14 Milliarden Dollar an und setzt es derzeit um. Vorgesehen sind dabei 6 Milliarden Dollar für die rasche Wiederherstellung öffentlicher Gesundheitssysteme und 8 Milliarden Dollar zur Verhinderung von Unternehmensschließungen und Arbeitsplatzverlusten im Privatsektor. Malpass merkte jedoch an, dass „die Länder Strukturreformen durchführen müssen, um die Zeit bis zur Erholung zu verkürzen“, einschließlich des Abbaus „übermäßiger Regulierung“ und der Förderung von Märkten. Trotz der sich entfaltenden Krise, die die Gefahren von Ungleichheit, prekärer Arbeit und unzureichend nachhaltiger Entwicklung offenbart, bleiben die Leitlinien unverändert.

Launch of the World Economic Outlook at IMF Headquarters in Washington, April 14, 2020. (IMF Photo/Cliff Owen)

Auf den Jahrestagungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank im Jahr 2019 gab es wegen der Wachstumsverlangsamung und des langen Arms der globalen Finanzkrise bereits Besorgnis über das Jahr 2020. In seinem Auf den Jahrestagungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank im Jahr 2019 gab es wegen der Wachstumsverlangsamung und des langen Arms der globalen Finanzkrise bereits Besorgnis über das Jahr 2020. In seinemversprach der IWF den Entwicklungsländern erhebliche Wachstumssteigerungen, wenn eine Reihe von Strukturreformen durchgeführt würden, einschließlich Änderungen im Arbeitsrecht zum Abbau des Beschäftigungsschutzes und der Privatisierung von Stromversorgung und Telekommunikation. Trotz der Deregulierungswelle der 1980er und 1990er Jahre argumentierte der Bericht, dass es Raum für mehr gäbe und dass ein politisch kluger Ansatz Rückschläge der Wähler*innen und politische Kehrtwenden vermeiden könnte. Undemokratischen Zynismus beiseite, diese versprochenen Wachstumsdividenden durch Sparmaßnahmen und Deregulierung sind selten eingetreten.

Der Chefökonom des IWF führte 2012 vor, dass die Annahmen des Fonds über die wirtschaftlichen Auswirkungen von Austerität die negativen Rückwirkungen unterschätzt hatten. Dennoch drängte der Fonds weiterhin auf rasche Sparmaßnahmen, die das Wachstum untergraben und gleichzeitig Tarifverhandlungen, Löhne und den öffentlichen Sektor angreifen. Die Ergebnisse sprechen für sich: Fünf Jahre nach der vom IWF unterstützten Deregulierung des Arbeitsrechts war die Arbeitslosenquote Spaniens doppelt so hoch wie vor der Krise, und die Verschuldung Griechenlands im Verhältnis zum BIP stieg von 126% im Jahr vor dem ersten IWF-Darlehen auf geschätzte 176% fünf Jahre nach der letzten Auszahlung. Die erdrückenden Bedingungen für arbeitende Menschen während der Kredite sind mit einem Mangel an längerfristigen Ergebnissen verbunden.

Die Reaktion der internationalen Finanzinstitutionen zur sofortigen Eindämmung der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Verwüstungen von COVID-19 ist dagegen lobenswert. Die schnellen Kreditmöglichkeiten des IWF, die weitaus weniger Bedingungen als reguläre Darlehen haben, und die Reaktionskredite der Weltbank haben schnell Geld in die Entwicklungsländer gebracht. Dies ist genau die Art von wirtschaftlicher Solidarität, die wir brauchen. COVID-19 veranschaulichte eindringlich, wie die Schicksale der Länder miteinander verflochten sind. Die Kommentare von Malpass im März und das Beharren des IWF darauf, dass sich die Entwicklungsländer mittelfristig auf eine Rückkehr zu Ausgabenkürzungen vorbereiten sollten, zeigen jedoch, dass die Politik, die die Gesundheits- und Wirtschaftssysteme der Welt vor COVID-19 fragil und ungleich gemacht hat, fortgesetzt wird. InDer erneute Vorstoß des IWF auf der Angebotsseite“ und „Marktfundamentalismus und die Weltbankgruppe“ untersucht der Internationale Gewerkschaftsbund den Triumph von Ideologie über Beweise und Notwendigkeiten, den Multilateralismus so zu reformieren, dass die Institutionen einen wirksamen Wiederaufbau nach COVID-19 unterstützen können.A New Multilateralism for Shared Prosperity“ des Global Development Policy Center und der UNCTAD sowie der UNCTAD-Bericht über Handel und Entwicklung2019 plädieren für ein neues globales Abkommen, in dessen Mittelpunkt die Nachhaltigkeit des Klimas und die Verringerung der Ungleichheit stehen. Zum Überdenken der Rolle des IWF und der Weltbank für einen Wiederaufbau nach COVID, können wir wertvolle Lehren aus der Geschichte des New Deal in Amerika ziehen und erfahren, wie er die Gründung der internationalen Finanzinstitutionen inspirierte, Jahrzehnte bevor diese von Reaganomics und den Interessen des Privatkapitals gekapert wurden.

Der Tennessee Valley Authority verkörperte den ehrgeizigen entwicklungspolitischen Geist des New Deal, der sich auf die Anhebung des Lebensstandards der arbeitenden Bevölkerung konzentrierte. Von zentraler Bedeutung waren auch Reformen, die die Wirtschaftsregeln änderten und oft das Ergebnis einer dynamischen Interaktion zwischen Basisbewegungen und staatlichen Maßnahmen von oben nach unten waren. Streikwellen und die Mobilisierung von Arbeiter*innen und Arbeitslosen übten Druck auf die beiden transformativsten Elemente des New Deal aus: Programme für öffentliche Arbeiten und den Schutz der Gewerkschaftsrechte. Die öffentlich geförderte Beschäftigung schuf unschätzbare Erleichterungen und wirtschaftliche Anreize, während die Schaffung eines Tarifverhandlungssystems einen Wiederaufbau mit geteiltem Wohlstand ermöglichte.

Auf der Finanzseite war die staatseigene Reconstruction Finance Corporation in den 1930er und 1940er Jahren wegweisend. Sie begann als bescheidener Versuch, die öffentlichen Finanzen zu nutzen, um größere private Bankaktivitäten zu fördern, und entwickelte sich schließlich zu einem Motor der Innovation und Rekonversion im Kampf gegen den Faschismus. Die öffentliche Körperschaft elektrifizierte durch die Finanzierung von Genossenschaften das ländliche Amerika jenseits des Tennessee-Tals. Es handelte sich um eine katalytische Entwicklungsaufgabe, für die der private Sektor zu nervös war. Louis Hyman schreibt: „Anstatt die private Initiative zu verdrängen, lieferte die Regierung ein Beispiel, das funktionierte“. Dies sollte eine Lehre für den „Maximizing Finance for Development“-Ansatz der Weltbank und die Country Private Sector Diagnostics sein, die bei der „Schaffung von Märkten“ beraten. Diese Empfehlungen der Bank stehen der öffentlichen Finanzwirtschaft und staatlichen Unternehmen weitgehend ablehnend gegenüber, trotz ihrer dynamischen Rolle bei der Schaffung neuer Bereiche für Arbeitsplatzwachstum im Privatsektor. Stattdessen rät die Bank zur Schaffung von Märkten für private Unternehmen durch Kannibalisierung der öffentlichen Infrastruktur, Bildung und Gesundheit.

Die amerikanische Delegation auf der Bretton-Woods-Konferenz, auf der der IWF und die Weltbank gegründet wurden, wurde von engagierten New Dealers geleitet, darunter Finanzminister Henry Morgenthau und Harry Dexter White. Letzterer schlug vor dass die Mitgliedschaft in der künftigen Weltbank die Zustimmung eines Landes zu einer „Bill of Rights der Völker der Vereinten Nationen“ voraussetzen sollte, um zu zeigen, dass die Institution über „kommerzielle Erwägungen“ hinausgeht und „der Beginn einer wirklich neuen Ordnung in einem Bereich ist, in dem es ihr bisher am meisten gefehlt hat—den internationalen Finanzen“. Die wichtigsten Architekten der Bretton-Woods-Institutionen stellten sich eine internationale Version des New Deal und seiner Institutionen vor.

Davon gibt es noch immer Spuren. Die Vertragsartikel des IWF beauftragen ihn mit der Förderung von Politiken zur Erreichung eines „hohen Beschäftigungs- und Realeinkommensniveaus“, und der ursprüngliche Arm der Weltbank, die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, soll Investitionen zur Anhebung „des Lebensstandards und der Arbeitsbedingungen“ fördern. Diese Ziele sind verloren gegangen oder verzerrt worden. Der IWF untergräbt häufig Tarifverhandlungssysteme, und die Bank setzt sich derzeit gegen die Zahlung von Mindestlöhnen für öffentliche Arbeiten nach einer Pandemie ein. Dafür gibt es historisch tiefe Wurzeln, angefangen mit der antikommunistischen Hysterie der amerikanischen Rechten, mit der sie versucht hat, den New Deal zu demontieren. Harry Dexter White und Tausende andere Beamte wurden ins Visier genommen. In der Zwischenzeit verschob sich mit der Eskalation des Kalten Krieges das Terrain, auf dem die Bretton-Woods-Konferenz einst stattfand.

In Übereinstimmung mit diesen reaktionären Zielen trat Präsident Ronald Reagan sein Amt mit einer Vision an, die die New-Deal-Ordnung entscheidend zunichtemachte. Sein Finanzministerium unter der Leitung von James Baker setzte diese Vision in der Weltwirtschaft um, indem es die internationalen Finanzinstitutionen auf die katastrophale Verhängung von Strukturanpassungen ausrichtete Die Narben sind in den Entwicklungsländern immer noch sichtbar.

Ob 1929 oder heute, der Internationalismus muss sowohl gegen den reaktionären Nationalismus, als auch gegen die globale wirtschaftliche Integration kämpfen, die von der spekulativen privaten Finanz dominiert wird. Der New-Deal-Geist von Bretton Woods kann als Inspiration dienen, die internationalen Finanzinstitutionen für einen Post-COVID-19-Wiederaufbau zurückzuerobern, um eine nachhaltige Weltwirtschaft mit Freiheit und Gerechtigkeit für die arbeitenden Menschen zu erzielen.

Leo Baunach ist der Direktor des Washingtoner Büros des Internationalen Gewerkschaftsbundes und der Global-Unions-Gruppe.


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