April 26, 2022

Das Expert*innennachwuchsprogramm des Forum on the Arms Trade

Interview des Büros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in NYC mit Jeff Abramson, dem Leiter des Expertennetzwerks Forum on the Arms Trade

Vor Kurzem ergab sich für das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung die Gelegenheit, mit Jeff Abramson, dem Direktor des Forum on the Arms Trade, über deren Nachwuchsförderprogramm „Emerging Experts“ zu sprechen. Es ist für Personen gedacht, die ein Interesse daran haben, „sich kritisch mit den humanitären, wirtschaftlichen und anderen Auswirkungen von Waffenlieferungen, Militär- und Polizeihilfen sowie dem Einsatz von Waffen zu befassen, und die sich in einem frühen Stadium ihrer beruflichen Karriere befinden“. Im Zuge der Corona-Pandemie, während derer sich so vieles in den virtuellen Raum verlagerte, richtete sich das „Emerging Experts Program“ international aus und erweiterte den Teilnehmendenkreis um Menschen aus ganz unterschiedlichen Ländern. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung gehört inzwischen zu den Hauptförderern dieses Programms.


Bitte erzählen Sie uns ein wenig mehr zu dem Programm „Emerging Experts“. Zunächst: Seit wann gibt es das Programm und wer hat es entwickelt? Und welches sind die Absichten dahinter?

Dazu gehe ich ganz kurz einen Schritt zurück in der Geschichte. Die Idee hinter dem „Forum on the Arms Trade“ war, Menschen auf der ganzen Welt zu vernetzen, die sich professionell mit dem Themenkomplex Rüstungs-, Militär- und Sicherheitspolitik und vor allem mit dessen humanitären und sonstigen gesellschaftlichen Implikationen beschäftigen. Das wichtigste Ziel des Netzwerks ist die Unterstützung von unabhängigen Fachleuten auf diesem Feld. Denn eins der größten Probleme dieser Art von Arbeit und Forschung ist, dass sie häufig isoliert stattfindet und dass sie nicht besonders gut bezahlt wird – zumindest verglichen mit dem, was die Leute verdienen, die mit Waffen handeln [lacht]. Es ging uns von Anfang an darum, eine Art Community aufzubauen.

Wir haben also gemerkt, dass es recht schwer sein kann, mit dieser Art von Arbeit und Forschungstätigkeit den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Es gibt viele Menschen, die sich, wenn sie von unseren Tätigkeiten und den damit verbundenen Herausforderungen erfahren, sehr für eine Mitarbeit interessieren. Aber sie fragen sich dann auch, wie sich das mit ihrer beruflichen Weiterentwicklung oder akademischen Karriere vereinbaren lässt. Bei dem Programm geht es also zu einem guten Teil um Nachwuchsförderung. Einige von uns sind schon seit Jahrzehnten in diesem Feld tätig. Wir haben erkannt, dass es notwendig ist, dass sich mehr Menschen mit den Themen Rüstungs- und Sicherheitspolitik professionell auseinandersetzen. Deswegen haben wir das Programm so aufgebaut, damit wir diese Menschen dabei praktisch unterstützen können.

Das Programm „Emerging Experts“ hat sich über die Zeit jedoch auch gewandelt. Die ersten Teilnehmer*innen kamen alle aus Washington D.C. und Umgebung, weil dort das Forum besonders stark vertreten war. Aber mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie [und der damit verbundenen Umstellung auf digitale Treffen und Kommunikation] gab es keine Notwendigkeit mehr, sich geografisch zu konzentrieren. Im ersten Jahr der Pandemie öffneten wir das Förderprogramm erstmals für alle Interessierten, unabhängig von dem Ort oder Land, in dem sie leben. Das ist also eine kurze Zusammenfassung davon, warum wir das Programm geschaffen haben: Wir wollen damit junge Wissenschaftler*innen oder Journalist*innen erreichen, die Interesse am Themenkomplex Waffenhandel sowie Militär- und Polizeihilfen haben oder zum Beispiel gerade ihre erste Stelle in diesem Bereich angetreten haben. Sie wollten wir gezielt unterstützen, etwa einfach dadurch, dass wir sie in Kontakt bringen mit der bereits bestehenden Scientific Community. So viel erst einmal zu den Anfängen und der Entwicklung des Programms.

Das Expert*innennachwuchsprogramm des Forum on the Arms Trade

Danke für diese Erläuterungen. Jetzt möchte ich noch einmal einen Schritt zurückgehen und Sie zu der zentralen Zielsetzung vom „Forum on Arms Trade“ befragen.

Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, den humanitären, wirtschaftlichen und sonstigen Auswirkungen von staatlichen Waffenlieferungen, Militär- und Polizeihilfen sowie dem Einsatz von Waffen nachzugehen und darüber aufzuklären. Uns gibt es jetzt seit acht Jahren, und im Laufe der Zeit sind wir immer größer geworden. Wir erfüllen zwei grundlegende Funktionen: Die eine, die externe, besteht darin, unser Wissen den Medien, anderen Expert*innen und politischen Entscheidungsträger*innen zur Verfügung zu stellen. Die andere ist die interne Funktion, bei der es darum geht, sich gegenseitig zu helfen, voneinander zu lernen und zusammen besser zu werden. Das Programm „Emerging Experts“ verbindet beides. Es dient zum einen dazu, die Community zu erweitern und zu festigen, zum anderen soll es den Nachwuchsexpert*innen helfen, ihr öffentliches Profil zu stärken. Auf unserer Website gibt es zum Beispiel eine Extraseite zum Programm „Emerging Experts“, auf der die Lebensläufe der Geförderten zu finden sind. Wir sind darüber hinaus bestrebt, Berichte und Hinweise zu deren Publikationen und Forschungsaktivitäten in unseren wöchentlichen Newsletter aufzunehmen. Wir bieten den Geförderten zudem an, Beiträge für unseren Blog zu verfassen.

Würden Sie sich als Anti-Kriegs-Initiative verstehen?

Das Forum selbst bezieht politisch keine Stellung. Dafür haben wir uns bewusst entschieden, um dem Forum die Möglichkeit zu geben, Expert*innen und Vertreter*innen von unterschiedlichen Organisationen zu fördern und mit diesen zusammenzuarbeiten, selbst wenn diese zu bestimmten Konflikten oder Fragen konträre Meinungen haben. Ganz allgemein könnte man sagen: Was die Angehörigen des Netzwerks miteinander verbindet, ist eine skeptische bzw. besorgte Haltung in Bezug auf den Waffenhandel und die Art und Weise, wie Waffen eingesetzt werden. Das Forum selbst versteht sich jedoch nicht als Teil der Friedensbewegung, aber viele unserer Expert*innen sehen sich sehr wohl in dieser Tradition.

Sie sagten, das Programm “Emerging Experts” habe einen Wandel durchlaufen. Können Sie das noch genauer ausführen?

Im Sommer 2020 haben wir uns einem internationalistischen Ansatz zugewandt und das Programm umgestellt, wobei uns die Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt hat. Sie förderte den zweiten Jahrgang von Stipendat*innen, die, die von 2021 bis 2022 unser Programm durchlaufen, also die, die aktuell noch im Programm sind. Wir beginnen unser Programm immer in der Jahresmitte, die Sommermonate sind vielerorts ein guter Zeitpunkt für den Start, weil viele Leute dann gerade ihr Studium abgeschlossen haben. Das passt besser in den akademischen Zeitplan als etwa ein Start im Januar.

Können Sie noch etwas zu Ihrem Hintergrund und zu Ihrer Rolle in Bezug auf das Programm sagen?

Ich bin Experte für Waffenhandel und arbeite zu diesem Thema bereits seit fast 20 Jahren. Vor meiner Tätigkeit für das Forum koordinierte ich die globale Kampagne von Control Arms für einen Vertrag über den Waffenhandel. Davor war ich für die Internationale Kampagne für das Verbot von Landminen und für die Arms Control Association aktiv. Ich kannte also bereits viele Leute aus einschlägigen Zusammenhängen und wollte diese zusammenbringen und eine Community schaffen, die über das Wirken von Individuen hinausgeht. Denn viele von uns waren eher Einzelkämpfer*innen.

Ich bin einer der Gründer des „Forum on the Arms Trade“. In den ersten drei oder vier Jahren arbeiteten ich und einige weitere Personen ehrenamtlich am Aufbau des Netzwerkes. Als wir dann vor einigen Jahren Mittel erhielten, bekam ich eine bezahlte Stelle. Seitdem arbeite ich als Leiter des Forums.

Es ist stark gewachsen. Inzwischen gehören ihm weltweit über 100 Expert*innen an. Über das Förderprogramm “Emerging Expert” sind noch einmal 30 weitere dazugekommen. Insgesamt sind im Forum offiziell über 140 Personen zusammengeschlossen, was großartig ist. Aber genau genommen liegt die Zahl weit darüber, den zu unserem Kooperationsmodell gehört dazu, dass die offiziell als Mitglieder des Forums gelisteten Personen wiederum mit entsprechenden Communities in ihrem Teil der Welt zusammenarbeiten und Netzwerke knüpfen. Von daher verstehen wir uns mehr als ein wichtiger Knotenpunkt zur Mehrung von Wissen und dem Austausch von Forschungsergebnissen und Informationen.

Ich bin zudem Senior Fellow der “Arms Control Association”, das Forum ist offiziell ein Projekt der “Arms Control Association”. Weitere wichtige institutionelle Partner des Forums sind “The Center for Civilians in Conflict” (CIVIC) and die Abteilung “Security Assistance Monitor” am Center for International Policy.

Wenn ich das richtig verstanden habe, ist „Emerging Experts“ zuallererst ein Schulungsprogramm. Welche Art von Schulungen bieten Sie an? Und wie sind diese Angebote auf die unterschiedlichen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Programmteilnehmer*innen abgestimmt?

Als das Forum im Jahr 2020 im Sommer das Programm wieder aufnahm, ging der Wunsch nach Schulungen sehr stark von den Stipendiat*innen selbst aus. Das finde ich besonders interessant. Der ursprüngliche Gedanke war: „Wir nehmen Nachwuchswissenschaftler in unseren Verteiler auf und ermöglichen ihnen so, neue Leute kennenzulernen.“ Die Programmteilnehmer*innen sagten aber: „Hey, wir würden nicht nur sehr gern mit bestimmten Leuten sprechen, sondern auch bestimmte Dinge lernen.“ So kam es sehr schnell zu dieser Schulungskomponente. Wir richten uns dabei stark nach dem, was von den Stipendiat*innen an Bedarf genannt wird. Dazu gehören zum Beispiel Medienschulungen – also, wir beraten zum Beispiel Wissenschaftler*innen in Bezug auf den Umgang mit Medien. Nachgefragt sind auch Weiterbildungen zum Thema Recherchen und Informationsfindung. Wir haben unter anderem eine Reihe von Schulungen dazu angeboten, wie man für die eigene Arbeit hilfreiche Datenbanken findet und sie sinnvoll nutzt. Unter dem letzten Jahrgang sind einige, die sich besonders für sogenannte Open-Source-Untersuchungstechniken interessieren, etwas, was überhaupt nicht zu meinem Fachgebiet zählt. Dankenswerterweise hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung einige zusätzliche Mittel bereitgestellt, damit wir Personal einstellen konnten, das sich mit Open Source Intelligence auskennt. Häufig beteiligen sich die von uns Geförderten aktiv an der Gestaltung solcher Schulungen, indem sie geeignete Referent*innen ausfindig machen. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie das Emerging-Expert-Programm funktioniert. Die Beteiligten wissen in der Regel genau, was sie brauchen, und übernehmen eine Leadership-Funktion.

Was für eine Art von Informationen suchen Forscher*innen mithilfe von Open Source-Intelligence?

Open Source Intelligence (OSINT) bedeutet für Menschen ganz unterschiedliche Dinge. Im aktuellen Ukraine-Krieg zum Beispiel suchen Wissenschaftler*innen, Journalist*innen oder Mitarbeiter*innen von NGOs gezielt Informationen, die über die sozialen Medien verbreitet wurden. Mit OSINT-Methoden sowie mithilfe von Google Maps und anderen Techniken kann man etwa nachprüfen, ob Anschläge, über die hier berichtet werden, tatsächlich an bestimmten Orten stattgefunden haben. Darüber hinaus lässt sich so manchmal auch feststellen, zu welcher Tageszeit und aus welcher Richtung Angriffe erfolgten. Open-Source-Untersuchung können also in vielerlei Hinsicht dabei helfen nachzuvollziehen, was tatsächlich passiert ist.

Außerdem kann man mit ihnen herausfinden, woher bestimmte Waffen stammen. Wenn man kreativ herangeht, sind damit zum Beispiel Transportrouten ausfindig zu machen, die Rückschlüsse auf die Herkunft von Waffen und deren Lieferwege zulassen. Auf diese Weise konnte zum Beispiel geklärt werden, aus welchen Ländern Waffenlieferungen in den Jemen-Krieg gelangt sind. Das sind Informationen, die manche Regierungen gerne zurückhalten würden. Als etwa über Schiffsladelisten bekannt wurde, dass solche Waffen über einen italienischen Hafen transportiert werden sollten, protestierten in diesem Hafen politische Aktivist*innen gegen die Beteiligung ihres Landes an diesem Krieg.

OSINT ist also ein wirklich interessantes Instrument der Informationsfindung und -überprüfung. Es funktioniert in der Regel nur mithilfe der Unterstützung einer kooperationsbereiten Community bzw. Öffentlichkeit. Und diese unglaublichen Möglichkeiten, die uns ein globales und vor allem global vernetztes System inzwischen bietet, können dann auch für politisches Handeln genutzt werden.

Welche anderen Schulungen und Weiterbildungsangebote haben Sie im Rahmen von „Emerging Experts“ entwickelt?

Der Jahrgang, den wir im letzten Jahr mit Mitteln der Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert haben, war sehr an Schreiben und Medienarbeit interessiert. So bildeten einige davon eine Gruppe, eine Art Schreibclub, in dem sie sich austauschten und gegenseitig unterstützten. Aufgrund dieses Interesses luden wir ausgewählte Expert*innen aus dem Forum ein, die Workshops dazu anboten, wie man Zeitungskommentare verfasst oder wie man eigene Beiträge und Positionen in Medien am besten platzieren und präsentieren kann. Dies nicht nur in schriftlicher Form, sondern zum Beispiel auch in Form von Podcasts usw.

So haben sich einige der jungen Forscher*innen zusammengetan und gemeinsam einen Beitrag verfasst, der den Auswirkungen des Aufstiegs der Taliban in Afghanistan auf islamistische Gruppierungen in Afrika nachgeht, was ein bisher wenig erforschter Bereich ist. Dabei erhielten sie Unterstützung von erfahreneren Expert*innen unseres Netzwerks. Diese halfen ihnen bei der Überprüfung der Fakten. Dies ist eine der vielen kleinen Erfolgsgeschichten, die es zu berichten gibt, Dinge, die sich eher organisch aus dem bestehenden Programm entwickelt haben. Es gehört jedoch explizit zu unserem Ansatz dazu, solche Kooperationen und organischen Entwicklungen zu fördern.

Gibt es noch andere Aspekte, die das Programm auszeichnen und die aus Ihrer Sicht erwähnenswert sind?

„Emerging Experts“ hilft den Teilnehmer*innen zudem bei der Arbeitssuche, treibt die Vernetzung in der Community voran und ermöglicht diverse Kontakte mit jüngeren und älteren Kolleg*innen.

Auf Anregung der letzten Jahrgänge haben wir inzwischen ein kleines Mentor*innen programm eingerichtet: Gut der Hälfte der Geförderten ist ein*e Mentor*in aus dem Netzwerk zugeordnet worden. Gemeinsam mit dieser Perosn kann an einem Projekt oder einer Fragestellung, die ihnen besonders wichtig ist, gearbeitet werden. Manche nutzen dieses Angebot, um mit einem auf ihrem Gebiet kenntnisreichen Professor*innen über die nächsten Schritte nach der Promotion zu sprechen und über die Aussichten einer Anstellung im Wissenschaftsbetrieb. Einige von ihnen nutzen es, um erste Publikationserfahrungen zu sammeln. Das sind einige der Erfolge des Programms, auf die wir verweisen können.

Aber wie bei jeder Netzwerkarbeit sind sowohl die kollektiven als auch die individuellen Anstrengungen und Leistungen zu würdigen. Das Forum bietet auf jeden Fall diverse Möglichkeiten, sich zu exponieren und sich gegenseitig zu stärken.


The Emerging Expert program will have an open call for applications starting in May 2022.


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