Juli 1, 2024

Die Niederlage von Jamaal Bowman: Ein Schlag für die Linke in den USA

Nick French

Nick French, Autor beim linken US-Magazin „Jacobin“, beschreibt für die Rosa-Luxemburg-Stiftung New York die Hintergründe und Folgen der Niederlage von Jamaal Bowman bei den Vorwahlen.

Am 25. Juni 2024 verlor der Abgeordnete Jamaal Bowman die Vorwahlen der Demokratischen Partei für den 16. Bezirk von New York gegen seinen Herausforderer George Latimer. Bowman erhielt 42 Prozent der Stimmen und Latimer 58. Im Jahr 2020 gewählt und gerade in seiner zweiten Amtszeit, gehört Bowman, der Mitglied der Demokratischen Sozialisten von Amerika (DSA) ist, zu den am weitesten links stehenden Abgeordneten im US-Kongress. Sein Wahlkampf wurde von den bekanntesten US-Linken, Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez, unterstützt.

Bowman ist zudem einer der wichtigsten Kritiker von Israels brutalem Krieg in Gaza. Daher ist sein Verlust auch ein Schlag für die Palästina-solidarische Linke in den Vereinigten Staaten. Aber seine Niederlage ist noch aus einer Reihe anderer Gründe bemerkenswert. Zum einen ist es sehr selten, dass Kongressabgeordnete in innerparteilichen Vorwahlen verlieren: Letztes Jahr stellte OpenSecrets fest, dass die Wiederwahlraten im US-Repräsentantenhaus nie unter 85 Prozent gefallen sind. (Bei den letzten Wahlen zum Repräsentantenhaus im Jahr 2022 wurden 94 Prozent der amtierenden Abgeordneten wiedergewählt). Zum anderen war das Rennen der teuerste Vorwahlkampf für das Repräsentantenhaus aller Zeiten. Das lag vor allem an den massiven 15-Millionen-Dollar-Ausgaben des American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) und seines Super-PAC*, United Democracy Project (UDP) zur Unterstützung seines Opponenten Latimer.

Bowman war nur einer von mehreren Kongressabgeordneten, die das AIPAC in diesem Wahlzyklus ins Visier genommen hatte. Andere Ziele waren seine Kolleginnen Alexandria Ocasio-Cortez, Cori Bush, Summer Lee, Ilhan Omar, Rashida Tlaib und Ayanna Pressley, aber auch der rechte Israelkritiker Thomas Massie. Viele dieser Abgeordneten ziehen seit Jahren den Zorn von AIPAC auf sich, weil sie Israel und die US-Politik gegenüber Israel und Palästina kritisieren. Neuerdings reicht aber auch schon die Forderung nach einem Waffenstillstand im Gazastreifen. Im letzten Herbst wurde berichtet, dass die AIPAC insgesamt 100 Millionen Dollar ausgeben wollte, um Abgeordnete aus dem Kongress zu bekommen.

Bowman ist der erste und bisher einzige Kongressabgeordnete bei dem dies gelang. AIPAC hat keinen Herausforderer für Rashida Tlaib, eine palästinensisch-amerikanische Abgeordnete, die von der DSA unterstützt wird und die wohl schärfste Kritikerin der US-Politik gegenüber Israel ist, gefunden. Und das, obwohl der demokratische Senatskandidat Hill Harper berichtete, dass die Gruppe ihm 20 Millionen Dollar angeboten hat, damit er sein Rennen aufgibt und stattdessen für Tlaibs Sitz kandidiert. Ayanna Pressley kandidiert ebenfalls unangefochten. Die AIPAC beschloss schließlich, kein Geld für die Unterstützung der Herausforderer von Ilhan Omar, AOC und Summer Lee auszugeben, die alle in ihren Vorwahlen siegreich blieben. Auch der rechte Abgeordnete Massie errang einen Sieg in den Vorwahlen, obwohl die Gruppe Hunderttausende von Dollar ausgab, um ihn zu verdrängen.

Die AIPAC investiert hingegen beträchtliche Summen gegen Cori Bush: Nach Angaben von AdImpact hatte das United Democracy Project bis zum 27. Juni bereits 2,5 Millionen Dollar für Anzeigenwerbung ausgegeben. Die gezielten Investitionen gegen Bowman und Bush deuten darauf hin, dass sich AIPAC und UPD auf vermeintlich verwundbare Abgeordnete konzentrieren, wie Politico letzte Woche berichtete.

Was machte Bowman zu einem leichten Ziel? Der vielleicht wichtigste Faktor hat mit der Zusammensetzung seines Wahlkreises zu tun, der nach seiner ersten Wahl im Jahr 2020 neu zugeschnitten wurde. Er wurde dadurch wohlhabender und weißer. Und gerade dort schnitt Bowman (der selbst schwarz ist) schlechter ab. In dem Teil seines Wahlbezirks in der Bronx, der eher von Arbeiterinnen und Arbeitern, von Afro- und Lateinamerikanerinnen und -amerikanern geprägt ist, schlug Bowman Latimer mit 84 zu 16 Prozent. Latimer gewann jedoch im wohlhabenderen Westchester County, das einen größeren Teil des Bezirks ausmacht. Berücksichtigt man die Zusammensetzung seines Wahlbezirks ist Bowmans Niederlage leicht zu erklären. Seine progressive Haltung und die offene Kritik an Israels Politik haben ihm bei den privilegierteren Wählerinnen und Wählern in den Vorstädten, die er für seinen Sieg brauchte, nicht geholfen. AIPAC konnte das ausnutzen.

Die Niederlage von Bowman ist ein großer Verlust für die Linke. Es ist das erste Mal, dass ein von der DSA unterstützter Kongressabgeordneter abgewählt wurde. Und es wird eine der stärksten Stimmen für Palästina im Kongress weniger geben. Es besteht die Gefahr, dass Bowmans Rennen von anderen, eher gemäßigten Progressiven als abschreckendes Beispiel genommen wird, die sich daraufhin scheuen könnten, Kritik an Israel zu äußern. Es ist wahrscheinlich, dass die Stimmen in der Demokratischen Partei gestärkt werden, die Israels Politik unterstützen, was angesichts der Brutalität des Krieges im Gaza-Streifen tragisch und gefährlich wäre. Sollte auch Cori Bush ihre Vorwahlen im August verlieren, könnten sich diese Rückschläge für die Bewegung, die sich für Palästina einsetzt, noch verschlimmern. (Eine Umfrage Ende letzten Monats ergab, dass sie Kopf an Kopf mit ihrem Gegner liegt.)

Anderseits darf die Niederlage von Jamaal Bowman auch nicht übertrieben werden. Obwohl die AIPAC den Sieg für sich reklamiert, deuten die Fakten über die Zusammensetzung des Wahlbezirks und die Unfähigkeit der AIPAC, ihre anderen Ziele erfolgreich herauszufordern, darauf hin, dass deren Millionenausgaben nicht die entscheidende Rolle gespielt haben und dass das Ergebnis keine generelle Revolte gegen progressive und pro-palästinensische Politik bedeutet. Das Wahlergebnis zeigt vielmehr, dass wohlhabende Vorstädte kein fruchtbares Terrain für Sozialisten und Progressive sind. Wie Matt Karp in Jacobin treffend formulierte: „Die gute Nachricht für Bowmans nationale Unterstützer ist, dass die Niederlage in Westchester gegen einen von der AIPAC finanzierten Zentristen keine bedeutende Niederlage für die amerikanische Linke darstellt. Jede echte Herausforderung für die Konzerndemokraten oder die Pro-Israel-Lobby muss von woanders kommen.“

Eine der größten Herausforderungen für die US-Linke ist es weiterhin, in den verschiedenen Communities von Arbeiterinnen und Arbeitern Fuß zu fassen. Hoffentlich motiviert Bowmans Niederlage, hier unsere Anstrengungen zu verdoppeln.


*Super-PACs (PAC = Political Action Committee) sind formal unabhängige Institutionen, mit deren Hilfe Spenden in unbegrenzter Höhe im Wahlkampf eingesetzt und damit gesetzliche Obergrenzen legal umgangen werden können. (Stefan Liebich)


Übersetzung: Stefan Liebich

Foto: AP Photo/Nathan Howard, File


Verbunden