Mai 22, 2024

Ein Gespräch mit Irene Runge in New York über jüdisches Leben in Berlin

Stefan Liebich

Am 20. Mai veranstaltete unser Direktor Stefan Liebich ein Gespräch mit Dr. Irene Runge unter dem Titel „Jüdisches Leben in Berlin neu denken“.

Irene Runge wurde als Tochter deutsch-jüdischer sozialistischer Eltern in New York City geboren. Erst nach dem Umzug ihrer Familie nach Ost-Berlin – sie war damals sieben Jahre alt – kam sie bewusst in Kontakt mit Jüdinnen und Juden in der DDR und schloss sich später jüdischen Gruppen an.

In den 1980er Jahren wurde Irene ein aktives Mitglied der jüdischen Gemeinde in Ost-Berlin und war an der Gründung des Jüdischen Kulturvereins Berlin beteiligt. Diese Organisation spielte während und nach der Vereinigung Deutschlands eine entscheidende Rolle, indem sie sich für jüdische Zuwandererinnen und Zuwanderer aus der Sowjetunion einsetzte und sie unterstützte. Die Gruppe setzte sich aktiv bei der DDR-Regierung dafür ein, Jüdinnen und Juden, die sich in der UdSSR unterdrückt fühlten, die Einwanderung zu ermöglichen. Diese Bemühungen führten zu einem bedeutenden Zustrom aus der damaligen Sowjetunion, der die jüdische Gemeinde in ihrer Größe und Zusammensetzung nachhaltig veränderte.

Doch es gab damals auch Widerstand. Zur allgemeine Fremdenfeindlichkeit in den neunziger Jahren in Deutschland kamen Bedenken in der jüdischen Gemeinschaft Westdeutschlands und aus Israel, dessen Selbstverständnis es war, der erste Zufluchtsort für Juedinnen und Juden zu sein. Trotz dieser Herausforderungen leistete Irenes Gruppe weiterhin wichtige Unterstützung für die neuen Einwanderinnen und Einwanderer und weitete ihre Hilfe auf diejenigen aus, die aus Ländern mit muslimischer und arabischer Bevölkerungsmehrheit kamen.

Irene hob hervor, dass Deutschland es versäumt hat, die Vielfalt innerhalb der jüdischen Gemeinschaft anzuerkennen. Sie kritisiert die Tendenz, jüdische Identitäten zu homogenisieren, wodurch säkulare Jüdinnen und Juden, die nicht an religiösen Gottesdiensten teilnehmen, oft übersehen werden. Diese Darstellung schränkt das breitere Verständnis und die Sichtbarkeit der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland ein.

Die Terroranschläge der Hamas vom 7. Oktober 2023 und der darauf folgende Krieg Israels in Gaza haben auch in Deutschland und Berlin ihre Spuren hinterlassen. Die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen haben zugenommen und auch unter den Jüdinnen und Juden in Deutschland gibt es ein breites Spektrum an Meinungen. Irene wies darauf hin, dass zudem für viele Menschen in Deutschland der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine deutlich näher ist und auch etliche Menschen im Land nicht mehr in der Lage und willens sind, die schrecklichen Nachrichten aus aller Welt aufzunehmen und zu verarbeiten.

Die Lebensgeschichte von Irene Runge unterstreicht die Komplexität und den Wandel der jüdischen Identität und Gemeinschaft in Deutschland. Ihr Engagement zeigt, wie wichtig es ist, die Vielfalt innerhalb der jüdischen Gemeinschaft anzuerkennen und anzunehmen, für eine breitere Repräsentation einzutreten und offene, integrative Diskussionen zu fördern.

Dr. Irene Runge im Gespräch mit Stefan Liebich am 20. Mai 2024 im Büro der RLS NYC.

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