So sind wir wieder in den Aufwind gekommen. Von Ines Schwerdtner und Jan van Aken
Als wir im Sommer für den Parteivorsitz kandidierten, schien die Situation hoffnungslos: Das BSW hatte sich abgespalten, wir schlitterten in die ostdeutschen Landtagswahlen. Nur ein halbes Jahr später haben wir am vergangenen Sonntag bei der Bundestagswahl knapp 8,8 Prozent erreicht. Das war kein Zufall.
Schon der Parteitag in Halle leitete den Umbruch ein. Die Stimmung war grandios, ein Aufbruch kündigte sich an: noch zaghaft und zuerst in den Kreisverbänden. Mit dem Aus der Ampelregierung und den angekündigten Neuwahlen befanden wir uns plötzlich mitten im Wahlkampf. Wir erlebten eine Partei, die so geschlossen und diszipliniert war wie lange nicht. Die «revolutionäre Freundlichkeit» griff um sich, gepaart mit guter Laune und sehr viel Energie.
Beim Comeback der Linken spielten sicher auch glückliche Umstände eine Rolle, aber es war vor allem Ergebnis eines durchdachten strategischen Prozesses in der Partei – ein Prozess, der lange vor unserer Zeit als Parteivorsitzende begann. Dadurch haben wir uns die Fähigkeit erarbeitet, flexibel auf die sich stetig wandelnde gesellschaftliche Situation zu reagieren. Wir wollen zeigen, was dafür aus unserer Sicht entscheidend war.
Im Oktober wurden wir zu Parteivorsitzenden der Partei Die Linke gewählt. Zu diesem Zeitpunkt lag unsere Partei in den Umfragen bei nur drei Prozent. Zweieinhalb Wochen später platzte die Ampelkoalition – und aus einem knappen Jahr bis zur Bundestagswahl wurden weniger als vier Monate.
Ein Wiedererstarken schien zunächst unmöglich. Doch während wir totgesagt wurden, spürten wir bei unseren Gesprächen mit Kreisverbänden in ganz Deutschland: In unserer Partei war neues Leben entfacht. Anfangs glaubte uns kaum jemand, als wir beteuerten, Die Linke ist lebendig. Doch einige entscheidende Stellschrauben waren gedreht und das Fundament für den Aufbruch gelegt.
Die gesellschaftlichen Bedingungen dieses Wahlkampfs spielten natürlich eine Rolle: Viele, vor allem junge Menschen, waren nach drei Jahren Ampelregierung frustriert und resigniert. Das Paktieren von Friedrich Merz mit der AfD belebte die Bewegung gegen rechts neu – und Die Linke blieb als einzige Kraft standhaft. So sind wir für viele zum Hoffnungspol einer solidarischen Alternative geworden. Doch das gelang nur, weil wir als gesamte Partei in den Monaten zuvor einiges richtiggemacht hatten.
Das Rezept für die Wiederbelebung
Das Erfolgsrezept für das Wiedererstarken der Linken in den vergangenen Monaten lässt sich so zusammenfassen: Wir haben es als Partei geschafft, uns auf einen gemeinsamen strategischen Plan zu einigen und in kurzer Zeit große Schritte im Parteiaufbau und in der organisierenden Arbeit zu machen. Mit einem gemeinsamen Projekt (dem Vorwahlkampf) haben wir einerseits handlungsfähige Strukturen aufgebaut, um in den wenigen Monaten maximale Aktivität zu entfalten. Andererseits sind wir so wirklich in Kontakt mit unseren (potenziellen) Wähler*innen getreten. Durch den Fokus auf sehr konkrete und lebensnahe Forderungen wie den Mietendeckel, die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel und eine Vermögenssteuer ist es uns gelungen, unser Profil als soziale Opposition wiederaufzubauen. Durch eine Kommunikationsstrategie mit klarer «Wir-gegen-Oben»-Position haben wir die Gemeinsamkeiten der Klasse ins Zentrum gerückt und deutlich gemacht, wofür wir als Linke stehen und für wen wir Politik machen. Zusätzlich haben wir mit konkreten Hilfsangeboten wie dem Mietwucher-Rechner oder unserem Heizkosten-Check bewiesen, dass wir nicht nur reden, sondern handeln. Und nicht zuletzt sind wir das erste Mal seit Jahren wieder geschlossen aufgetreten – und vor allem: Wir haben gemeinsam wieder Spaß!
Zehn Zutaten zum Erfolg
Die Stärke unserer Partei sind unsere Mitglieder. Doch durch jahrelangen Streit war unsere Partei geschrumpft, viele unserer Kreisverbände waren geschwächt und teils kaum noch aktiv. Daher stand in den letzten eineinhalb Jahren die Gewinnung von Mitgliedern und der Parteiaufbau im Mittelpunkt. Die folgenden zehn Zutaten waren dafür wichtig – entscheidend war dabei, dass alle diese Zutaten aufeinander abgestimmt waren und in ihrer Gesamtheit ein gemeinsames, stimmiges Bild ergeben haben.
- Neue Aktive gewinnen und die Kreisverbände stärken: Nach jahrelangen Richtungskämpfen waren unsere Strukturen ausgedünnt und überlastet. Mit einer Kampagne haben wir es im Herbst 2023 geschafft, tausende neue Mitglieder zu gewinnen. Viele von ihnen haben ihre Kreisverbände neu aufgebaut und sind Kernaktive geworden. Entscheidend war, dass erfahrene mit neuen Mitgliedern zusammengearbeitet haben. Umso hoffnungsvoller stimmt uns, dass in den letzten Wochen viele neue Genoss*innen zu uns gestoßen sind. Im Sommer und Herbst 2024 wurden etwa einhundert Kreisverbände im ganzen Land im Rahmen einer Kreisverbands-Tour vor Ort besucht, umfassend in Organizing-Methoden geschult und weiter eng begleitet. So konnten wir neue Handlungsfähigkeit aufbauen, um linke Politik vor Ort systematisch zu verankern.
- Die größte Organizing-Kampagne der Parteigeschichte: Seit Frühjahr 2024 fand innerhalb der Partei auf allen Ebenen eine Debatte um unseren Weg zur Bundestagswahl statt («Fahrplan25»). Herzstück war die große Befragung – unser «Vorwahlkampf». Ziel war es, bis Ende Februar an 100.000 Haustüren zu klopfen und die Menschen, um die es uns geht, einzubeziehen. Der Vorwahlkampf basierte auf einer systematischen Datenanalyse, die uns ermöglichte, in die Gebiete zu gehen, in denen Menschen mit wenig Geld und Nichtwähler*innen leben. Genau diese Menschen wollten wir wieder erreichen. Aus den Gesprächen leiteten wir als Partei unsere Wahlkampf-Schwerpunkte ab, sodass jedes Gespräch und jeder Beitrag von Aktiven entscheidend für das neue Profil der Linken war. Ebenfalls hat der Erfolg von Team Nam Duy deutlich gemacht, welches Potenzial wir freisetzen können, wenn wir Haustürgespräche und die Erschließung unserer Nachbarschaften im großen Stil angehen. Das haben wir bei der Bundestagswahl dann nochmals weiter ausgebaut und konnten mit groß angelegten Organizing-Kampagnen in Lichtenberg, Treptow-Köpenick, Neukölln, Leipzig II und Erfurt-Weimar ein Direktmandat für die Linke gewinnen. Am Ende haben wir bis zum Wahltag an 638.123 Haustüren geklopft: Das war die größte Organizing-Kampagne der Linken bisher.
- Im Konkreten den Unterschied machen: Eine linke Kraft ist immer dann stark, wenn sie im Leben der Menschen einen Unterschied macht. Uns ist klar, dass das nicht sofort funktioniert. Dennoch konnte Die Linke diesen Anspruch mit einigen Aktionen einlösen und so praktisch beweisen, wofür wir stehen. Sei es der Mietwucher-Rechner oder unser Heizkosten-Check: Die Kampagnen hatten einen echten Nutzen für die Menschen. So konnten wir viele erreichen, mit denen wir sonst nicht ins Gespräch gekommen wären. Die Linke hat in drei Monaten mehr für die Mieter*innen im Land getan, als die Ampelregierung in drei Jahren. Auch konnten wir mit begleiteten Mieter*innen-Versammlungen erste Erfahrungen machen, wie sich das in einen gemeinsamen Kampf für Verbesserungen übersetzt.
- Themen priorisieren: Wir haben uns auf wenige Kernforderungen und Themen fokussiert, die wir unablässig betonen – so, wie wir es bereits zur Gründung der Linken getan haben. Das heißt nicht, dass wir nicht in einer Vielzahl von Fragen Haltung gezeigt und Position bezogen haben. Aber durch die Fokussierung auf den Mietendeckel, die hohen Preise und die Vermögenssteuer, ist es uns gelungen, ein erkennbares Profil zu entwickeln und mit unseren Themen wieder durchzudringen. Nach kurzer Zeit wussten die Menschen wieder, wofür wir stehen.
- Wir hier unten gegen die da oben: Die Linke hat den Klassenkonflikt in den Mittelpunkt gestellt und damit deutlich gemacht, welche gesellschaftlichen Auseinandersetzungen für uns wichtig sind, für wen wir kämpfen und wer unsere gemeinsamen Gegner sind. Und wir haben gezeigt, wie wir die Gesellschaft verändern können: wenn wir uns zusammenschließen und gemeinsam für unsere Interessen einstehen.
- So sprechen, dass wir verstanden werden, so kommunizieren, dass wir von vielen gehört werden: Wir haben die Kommunikation der Linken neu ausgerichtet, indem wir eine gemeinsame Erzählung sowie eine direkte und mobilisierende Sprache entwickelt und in die gesamte Partei getragen haben. Grundlage sind die geteilten Werte der Menschen, die wir erreichen wollen. So begannen die Menschen wieder zu verstehen, wofür wir als Linke stehen, und fingen an, sich mit uns zu identifizieren. Keine komplizierten Erklärungen oder belehrenden Botschaften mehr. Von den Kreisverbänden bis zur Bundesebene haben wir die gleiche Erzählung verwendet, die gleichen Sätze gesagt und einfach sowie verständlich kommuniziert.
- Starke Social-Media-Arbeit: Auf allen Ebenen der Partei ist unsere Social-Media-Arbeit professioneller geworden. Wir haben angefangen, zielgruppenspezifisch und auf der Höhe der Zeit zu kommunizieren. Damit haben wir vor allem jüngere Menschen viel besser erreicht. Das war ein wichtiger Grund, warum Die Linke wieder sichtbar wurde.
- Lernend voranschreiten: Die politische Lage bleibt dynamisch und unübersichtlich. Wir müssen Ziele und einen Plan entwickeln und uns daran messen. Das haben wir im Wahlkampf getan, ohne aber alles am Reißbrett zu entwerfen. Wir haben ausprobiert und fortgeführt, was funktioniert hat. Dadurch hat unsere Kampagne eine starke Dynamik entwickelt und wir konnten erfolgreich auf politische Gelegenheiten reagieren.
- Eine klare Haltung: wir haben gezeigt, dass wir Haltung bewahren, auch wenn alle anderen weiter nach rechts gehen. So konnten wir zu einem Ort der Hoffnung für alle werden, denen der Rechtsruck Angst macht und die für eine solidarische Politik eintreten.
- Neuer Zusammenhalt: Das erste Mal seit Jahren sind wir als Partei wieder als Team aufgetreten. Lange war es nicht einfach, Linke zu sein. Nicht alles ist Strategie – ohne die richtige Stimmung ist alles nichts. Wir wissen, dass wir in unserer Partei weiter um wichtige Punkte ringen – weil es bei uns ans Eingemachte geht, mit voller Kraft und ganzem Herzen. Doch in den letzten Monaten ist eine neue Kultur des Miteinanders gewachsen. An die Stelle von Frust und Streit kamen Teamgeist, Freude an der politischen Arbeit und gemeinsames Gestalten. Wir alle haben in den letzten Wochen gespürt, welche Kräfte das freisetzt. Möge das Prinzip der revolutionären Freundlichkeit auch weiterhin unser Leitbild sein.
Den eingeschlagenen Weg weitergehen
Natürlich gibt es noch große Baustellen. Natürlich haben wir auch Fehler gemacht, und natürlich liegen große Aufgaben vor uns. Aber wir als ganze Partei haben in den letzten Monaten sehr viel erreicht – und darauf sind wir unheimlich stolz. Wir sind stolz auf die gemeinsam gegangenen Schritte und auf jede einzelne Genossin und jeden Genossen – und jene, die es noch werden könnten –, die daran mitgewirkt haben. Das ist erst der Anfang.
Die Linke ist nicht angetreten, um nur ein gutes Ergebnis bei der Bundestagswahl zu erzielen. Wir wollen diese Gesellschaft verändern. Viele haben in den letzten Wochen wieder Hoffnung in uns gesetzt und der Linken einen Vertrauensvorschuss gegeben. Wir sind entschlossen, sie nicht zu enttäuschen. Das bedeutet, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen, die Linke neu zu verankern und zu einer Kraft zu machen, die etwas zum Besseren verändern kann. Das betrachten wir als unseren Auftrag. Wir können uns nichts Schöneres vorstellen.
Ines Schwerdtner und Jan van Aken sind seit Oktober letzten Jahres die Bundesvorsitzenden der Linken und werden als neu gewählte Abgeordnete dem nächsten Bundetag angehören.
Dieser Artikel wurde ursprünglich auf rosalux.de veröffentlicht.
Foto: Flickr / Die Linke