Am 10. Juli konnten wir Sukayna El-Zayat in unserem Büro zum zweiten Teil unserer Reihe „Jüdisches und muslimisches Leben in Deutschland neu denken“ begrüßen.
Sukayna El-Zayat arbeitet derzeit als unsere Kollegin in der Zentrale der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin. Sie hat in den Niederlanden Internationale Beziehungen studiert, war in der Muslimischen Jugend Deutschland aktiv und arbeitet im Forum der europäischen muslimischen Jugend- und Studentenorganisationen als Anti-Islamophobie-Beauftragte.
Das Gespräch begann mit einer kurzen Einführung in die Geschichte der Musliminnen und Muslime in Deutschland, beginnend im 18. Jahrhundert während der Zeit des Osmanischen Reiches, über das „Gastarbeiterprogramm“ der Bundesrepublik Deutschland in der Nachkriegszeit bis hin zur letzten großen Einwanderungswelle nach dem Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs Mitte der 2010er Jahre. Heute sind schätzungsweise 6 bis 8 % der deutschen Bevölkerung Musliminnen und Muslime, von denen die meisten in größeren Städten im Westen des Landes sowie in Berlin leben. Die meisten haben türkische Wurzeln, aber Berlin beherbergt auch die größte palästinensische Diaspora in Europa.
Die Situation im östlichen Teil des Landes ist anders als im Westen. Die Umfragen und Wahlergebnisse der letzten Jahre haben gezeigt, dass dort rechte Politik stärker unterstützt wird als im Westen des Landes und es einen höheren Anteil an einwanderungsfeindlichen Einstellungen gibt. Das Sicherheitsgefühl für eine sichtbar muslimische Person ist in diesem Teil des Landes noch geringer.
Unser Gespräch wandte sich dann der Gegenwart zu. Wir erfuhren, wie sich der Krieg in Gaza, der Rechtsextremismus und antimuslimische Vorurteile auf das tägliche Leben von Millionen von Menschen in Deutschland auswirken. Derzeit werden jeden Tag durchschnittlich fünf Vorfälle von antimuslimischer Diskriminierung gemeldet, was einen Anstieg von 114 % gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Sukayna brachte eine interessante Perspektive ein, indem sie erklärte, warum sie es vorzieht, den Begriff „Islamophobie“ für diese Vorfälle nicht zu verwenden, da er eine greifbare Angst impliziert, die Hass und Diskriminierung gegen muslimische Menschen nicht korrekt beschreibt.
Seit dem Ausbruch des Krieges im Gazastreifen im vergangenen Jahr hat sich die Situation für Musliminnen und Muslime erheblich verschlechtert. Während die Solidarität mit den Palästinenserinnen und Palästinensern schon immer Teil der politischen Aktivitäten von Menschen mit arabischen Wurzeln in Deutschland war und ihre öffentlichen Aktionen in der Vergangenheit schon stark von der Polizei überwacht wurden, hat dies bei Pro-Palästina-Demonstrationen, aber auch kulturellen Veranstaltungen deutlich zugenommen. Hand in Hand mit dieser verstärkten Polizeipräsenz gab es mehr Vorfälle von staatlicher Gewalt und polizeilicher Brutalität, die sich gegen muslimische wie auch jüdische Demonstrantinnen und Demonstranten in Berlin richteten, berichte Sukayna.
Die Bundesregierung betrachtet die Sicherheit Israels als Teil der deutschen Staatsräson. Das hat auch Konsequenzen darauf, wie die palästinensisch-israelischen Konflikte in Deutschland diskutiert werden. In den Medien wird – im Vergleich zur Berichterstattung in den USA – oft nicht über das gesamte Ausmaß des Krieges informiert. Dieses Ungleichgewicht lässt zu wenig Raum für die Trauer um die palästinensischen Opfer. Sukayna beschrieb dies als eine Erfahrung, die zur Entfremdung von ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern führt.
In diesem Klima ist auch der interreligiöse jüdische und muslimische Dialog, der auf eine lange Tradition zurückblicken kann, in den letzten Monaten immer schwieriger geworden. Jüdische Aktivistinnen und Aktivisten haben sich jedoch Seite an Seite mit ihren muslimischen und arabischen Freundinnen und Freunden an die Spitze der Antikriegsproteste gestellt und verteidigen diese gemeinsamen Räume.
Wir haben auch darüber gesprochen, wie sich unsere muslimischen und arabischen Kolleginnen und Kollegen als Teil einer linken deutschen Stiftung in dieser Zeit gefühlt haben. Die Einsamkeit, die sie in unseren Diskussionen empfanden, hat zu Spannungen und Enttäuschungen geführt. Für muslimische Linke in Deutschland gab es angesichts des Unterschieds zwischen Teilen der deutschen Linken und der internationalen Linken einen Verlust des Zugehörigkeitsgefühls. Dies alles hat zu Ängsten und Unbehagen darüber geführt, wie das Thema angegangen wurde.
Im Ergebnis unseres Gesprächs fanden wir, dass die deutsche Geschichte unser Land zu einer konsequenten Haltung gegen die Verfolgung von Gruppen von Menschen führen sollte. „Nie wieder“ und die Erinnerungskultur in Deutschland insgesamt müssen stärker mit praktischem Handeln verbunden werden, das uns in Gegenwart und Zukunft leitet.