„Das Gras, dieses saftige, weiche, üppige Gras! Es tut gut, in ihm zu liegen und sich lang auszustrecken, so dass es über einem zusammenschlägt. Vom Kanal her fährt der Wind über das Gras, von den Brückenköpfen am Strand, die noch immer die Trümmer der Invasion bedecken – Ausrüstungsgegenstände, die die Männer im Kampf von sich warfen, Bruchstücke deutscher Geschütze, zerschmetterte und verbogene Fahrzeuge. Zuweilen war es Sergeant Bing, als sei im Wind noch jener schwere, süßliche Leichengeruch zu spüren. Aber das war ja unmöglich – die Toten waren in den Dünen jenseits der Landungsstellen „Utah“ und „Omaha“ begraben.“
Stefan Heym. Kreuzfahrer von heute (The Crusaders). Little, Brown and Co., Boston 1948.
Vor 80 Jahren, am 6. Juni 1944, wurde endlich das letzte Kapitel des deutschen Nationalsozialismus aufgeschlagen. Am D-Day eröffnen die Alliierten mit der Landung in der Normandie die lang ersehnte zweite Front. Ein US-Soldat, der dabei war, war der deutsche Jude Helmut Flieg aus Chemnitz. Er konnte sich vor den Nazis in die USA in Sicherheit bringen, andere aus seiner Familie hatten dieses Glück nicht und kamen in den deutschen Vernichtungslagern um. Fliegs Vater beging Selbstmord. Helmut Flieg tritt 1943 der US-Armee bei und wird Sergeant für psychologische Kriegsführung. Unter dem Namen Stefan Heym veröffentlichte Flieg den Roman „The Crusaders“ (deutsch „Kreuzfahrer von heute“) über diese Zeit, der ein Weltbestseller wird. Ihm ist das vorangegangene Zitat entnommen.
Heym kehrt später nach Deutschland, in die DDR, zurück. Er legt sich sein Leben lang mit den Mächtigen an. „Ich habe mich immer eingemischt“, sagte er selbst. Als in Berlin für die PDS direkt gewählter parteiloser Abgeordneter des Deutschen Bundestages eröffnete Stefan Heym als Alterspräsident im November 1994 die Wahlperiode des Deutschen Parlaments. Sein Wahlkreis umfasste den Prenzlauer Berg, den ich von 2009 bis 2021 ebenfalls im Bundestag vertreten durfte. Es war mir immer eine große Ehre, diesem Befreier Deutschlands nachzufolgen.
Heute am 6. Juni denke ich an den US-Soldaten Stefan Heym und all jene, die damals in der Normandie dabei waren. Die gemeinsame Anstrengung aller Alliierten hat die Nazidiktatur in Europa beendet. Dafür: Thank you! Merci! Спасибо!
Foto oben: Der ostdeutsche Schriftsteller Stefan Heym in seiner Wohnung in Ost-Berlin am 2. August 1983. (AP Photo/Edwin Reichert)