August 16, 2021

Der Stand der progressiven Kräfte nach den Vorwahlen in New York City

John Tarleton

Eric Adams setzte sich am 22. Juni bei den Vorwahlen der Demokraten durch, indem er unter anderem den City-Council-Distrikt 9 in Harlem für sich entschied. Damit wird er wohl der nächste Bürgermeister von New York City werden.

Zugleich wählten die Menschen in Harlem Kristin Richardson Jordan, eine demokratische Sozialistin, zu ihrer Vertreterin im City Council. Richardson Jordan will den Haushalt der Polizei um 50 Prozent kürzen, mit dem Ziel, die Polizei eines Tages ganz abzuschaffen.

„Es ist so bizarr“, sagte Richardson Jordan in einem Interview mit der Zeitschrift The Nation: „Sie haben für jemanden gestimmt, der dafür ist, das Budget der Polizei aufzustocken, der mehr Polizisten einstellen will und selbst aus dem Polizeidienst kommt. Zugleich haben sie jemanden wie mich gewählt, eine ausgesprochene Abolitionistin.“

Adams, der wohl konservativste unter den acht demokratischen Kandidat*innen, die sich parteiintern um die Nachfolge des derzeitigen Bürgermeisters Bill de Blasio (der demnächst aus dem Amt scheiden wird) bewarben, gewann auch im Wahlbezirk 40 in Flatbush (Brooklyn). Das Gleiche gilt für Rita Joseph, die dort für den Stadtrat kandidierte. Die an einer öffentlichen Schule tätige Lehrerin fordert unter anderem, das beim New York City Police Department (NYPD) eingesparte Geld Organisationen zugutekommen zu lassen, die Jugendlichen helfen, nach der Schule Fuß zu fassen und nicht kriminell zu werden. Adams gewann auch in dem von Sozialsiedlungen geprägten Distrikt 22 im Westen von Queens, genauso wie eine weitere Demokratin namens Tiffany Cabán, die sich zum Sozialismus bekennt.

Wie kommt es zu solchen widersprüchlichen Wahlergebnissen in denselben Stadtteilen? Der Triumph eines demokratischen Kandidaten im parteiinternen Rennen um das Bürgermeister*innenamt, der lautstark gegen links auftritt, und parallel dazu die Siege von überzeugten Linken in der Wahl um den Stadtrat spiegeln die unterschiedlichen strukturellen Herausforderungen wider, denen sich die Kandidat*innen in einer Stadt mit 8,8 Millionen Einwohner*innen stellen müssen. Der Kampf darum, wer neue*r Bürgermeister*in wird, erhält viel mehr öffentliche Aufmerksamkeit und ist mit viel höherem (finanziellen) Einsatz verbunden als der eher lokal begrenzte Wettbewerb um Sitze im Stadtrat. Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass die meisten Wähler*innen nicht unbedingt nach ideologischen Kriterien entscheiden, sondern für Kandidat*innen stimmen, von denen sie annehmen, diese hätten Verständnis für ihre Lebensumstände und würden sich, wenn sie gewählt werden sollten, für ihre Belange einsetzen.

Im Kampf um das Amt des Bürgermeisters hat sich Adams bislang als äußerst geschickt erwiesen. Zum einem betont er seine Identität als Schwarzer und seine Herkunft aus der Arbeiterklasse, zum anderen erhält er reichlich finanzielle Unterstützung von ultrareichen New Yorker*innen, die von ihm wiederholt zu hören bekamen, er werde, wenn er denn gewählt würde, die Stadt nach ihren Vorstellungen regieren.

Mit dem Versprechen, seine 22 Jahre Erfahrungen im Polizeidienst zu nutzen, um entschlossen gegen Kriminalität vorzugehen, hat Adams eine siegreiche „Regenbogenkoalition“ hinter sich bringen können. Sie setzt sich zusammen aus älteren und tendenziell eher konservativen schwarzen, hispanischen und weißen Wähler*innen aus den Außenbezirken von Brooklyn, Queens und der Bronx, also weit weg vom kosmopolitischen Zentrum Manhattans.

In der Nacht der demokratischen Vorwahlen sprach Adams zu seinen Unterstützer*innen und hob hervor: „Nicht die sozialen Medien suchen einen Kandidaten aus, Menschen auf Sozialhilfe suchen einen Kandidaten aus.“

Personalisierte Wahlen

Adams ging als Spitzenkandidat der Demokraten ins Rennen um den Bürgermeisterposten, nachdem er fast 30 Jahre lang in der Öffentlichkeit gestanden hatte. Er verweist dabei immer wieder auf seine eigene Lebensgeschichte: Er ist als mittelloser Schwarzer in einer ärmlichen Ecke von Queens aufgewachsen und als Jugendlicher von der Polizei verprügelt worden. Später entschied er sich dann gezielt für eine berufliche Karriere beim NYPD, um seiner Community zu dienen. In den 1990er Jahren machte er sich erstmals einen Namen als mutiger Polizeibeamter, der seine Vorgesetzten öffentlich dazu aufforderte, etwas gegen den unverfrorenen Rassismus in der Polizeibehörde zu unternehmen.

Auch Adams‘ ideologische Einstellung schwankte in diesem Jahrzehnt. Im Jahr 1994 outete er sich noch als Fan von Louis Farrakhan, dem Anführer der separatistisch ausgerichteten afroamerikanischen Organisation Nation of Islam und einem bekennenden Antisemiten. Während der zweiten Amtszeit von Rudy Giuliani als Bürgermeister von New York City (1997 bis 2001) ließ sich Adams als Mitglied der Republikaner registrieren. 2006 schied er aus dem Polizeidienst aus und bewarb sich auf dem demokratischen Ticket erfolgreich für einen Sitz im Senat des Bundesstaates New York und anschließend für das Amt des Bezirkspräsidenten von Brooklyn. Dies ist eine politisch weitgehend einflusslose Funktion, die aber sein öffentliches Profil stärkte und ihm viel Zeit für die Planung seiner Kandidatur als Bürgermeister ließ.

Adams wird offiziell von einigen der größten und mächtigsten Gewerkschaften in der Stadt unterstützt. Das erlaubt ihm, sich in den Außenbezirken als der Kandidat der lokalen Schwarzen und lateinamerikanischen Bevölkerung zu präsentieren. Zu diesen Gewerkschaften zählen: DC 37, die das Gros der städtischen Angestellten vertritt, Transit Workers Union Local 100, Hotel and Motel Trades Council und 32BJ, in der viele Beschäftigte organisiert sind, die jeden Tag nach Manhattan pendeln, um dort in gehobenen Geschäfts- und Wohngebäuden als Sicherheitskräfte für Ordnung und den Schutz der meist wohlhabenden Nutzer*innen zu sorgen.

Adams hat noch eine weitere wichtige Basis: das berühmte ein Prozent. Er erhielt großzügige Unterstützung von einflussreichen Immobilien- und Finanzunternehmen sowie von Milliardären, die sich für Charter Schools einsetzen, privat geführte Schulen, die allerdings öffentliche Mittel erhalten. Anders als die meisten Lehrer*innen und Beschäftigten in öffentlichen Schulen sind deren Mitarbeiter*innen nicht unbedingt gewerkschaftlich organisiert. Weniger als sechs Wochen vor den Vorwahlen investierten diverse Finanzmogule Millionen US-Dollar in ein sogenanntes Super-PAC, um Adams Kandidatur noch einmal zu pushen. Zu den größten Spendern gehörte Kenneth Griffin, dessen Penthouse in Manhattan mit einem Kaufpreis von knapp 240 Millionen US-Dollar die teuerste Privatwohnung der Stadt ist.

Bürgermeister Bill de Blasio war 2013 noch als Verfechter der Interessen der großen Mehrheit der New Yorker*innen angetreten, die keinen Platz mehr für sich in der von seinem Vorgänger, dem Milliardär Michael Bloomberg, angepriesenen „Luxusstadt“ gesehen hatten. De Blasios größte Errungenschaft ist und bleibt die Einführung eines allgemeinen Vorschulunterrichts für alle Vierjährigen, doch das geschah bereits in seinem ersten Amtsjahr. Danach widmete er sich vor allem seinen wenig aussichtsreichen Ambitionen auf das Präsidentenamt und forderte nur selten die Wirtschaftselite der Stadt heraus, die weiterhin ihre Vormachtstellung genießt. Allerdings verzichtete er darauf, sich bei ihr einzuschmeicheln, was einige ihrer Vertreter*innen ihm sehr übelnahmen. Adams hingegen versprach, sich alle Mühe zu geben, ihre Weltanschauung und die von ihnen gewünschten Politik nach außen gut zu verkaufen.

Ein neuer Krieg gegen das Verbrechen

Während die herrschende Klasse im Rathaus, der City Hall, eine vollständige Restauration anstrebt, verlieh Adams seinem Wahlkampf eine besondere emotionale Schlagkraft, indem er sich die Angst in der Bevölkerung vor wieder steigender Kriminalität, insbesondere vor einer Zunahme von Schießereien und Morden, zunutze machte.

Eric Adams, Bezirkspräsident von Brooklyn, im Gespräch mit den Medien am 24. Juni 2021, New York City. Adams gelang es, mit seinem programmatischen Schwerpunkt auf innerer Sicherheit die Vorwahlen der Demokraten um das Bürgermeisteramt mit einem Vorsprung von fast 10 Prozent vor der Anwältin und progressiven Aktivistin Maya Wiley zu gewinnen. (Foto von Spencer Platt/Getty Images)

Zwischen 2019 und 2020 ist die Zahl der Morde in New York City von 319 auf 462 angestiegen, das ist eine Zunahme um 45 Prozent. Die Mordrate von 2021 liegt jedoch unter dem Wert von 2020, da die Menschen nach einem Jahr Lockdown und den damit verbundenen Belastungen wieder ein etwas normaleres Leben führen konnten. Es sei zudem daran erinnert, dass noch 1990 ganze 2.245 Morde in New York City verzeichnete wurden und dass die 462 Morde aus dem Jahr 2020 in etwa der Mordrate aus dem Jahr 2012 entsprechen, als Michael Bloomberg die Stadt regierte. Dieser war damals für seine besonderen Errungenschaften bei der Verbrechensbekämpfung gelobt worden.

Auch die New York Post, die dem politisch rechtsstehenden Milliardär Rupert Murdoch gehört, unterstützt Adams. Immer wieder wartet sie mit reißerischen Titelgeschichten zu Gewalt und Verbrechen auf und versucht der lokalen Bevölkerung einzureden, die Stadt brauche einen knallharten und versierten Polizisten an ihrer Spitze. Die Lokalberichterstattung hat in New York City den letzten 20 Jahren rapide an Umfang und Bedeutung verloren. Die New York Times hat ihre Metro-Seiten eingestellt, und die Auflage der New York Post und der Daily News, einem weiteren Boulevardblatt, ist ebenso wie ihr Einfluss dramatisch zurückgegangen. Beide sind den amtierenden Bürgermeister Bill de Blasio seit dessen erster Kandidatur im Jahr 2013 immer wieder scharf angegangen, was ihm allerdings kaum geschadet hat. Aber manchmal können die großen Boulevardzeitungen immer noch die politische Stimmung und Agenda der Stadt mitbestimmen. 2021 war ein solcher Moment.

Um ihre These, die Stadt sei außer Kontrolle geraten, zu unterstreichen, richtete die New York Post ihren Hass auf den Washington Square Park, ein beliebtes Ausflugsziel in Lower Manhattan für Musiker*innen und feierwillige junge Menschen aus der ganzen Stadt, überwiegend People of Colour. Viele von ihnen hatten im zurückliegenden Jahr besonders stark unter dem strikten Lockdown und dem Massensterben in der Stadt gelitten. Ältere Weiße, die Wohnungen im Wert von mehreren Millionen US-Dollar mit Blick auf den Park besitzen, beschwerten sich über die jungen Partygänger*innen. Das NYPD reagierte mit der Einführung einer Ausgangssperre ab 22 Uhr am Wochenende. In der Nacht des 5. Juni wurden 23 Personen im Washington Square Park verhaftet, nachdem ein Versuch der Polizei, die Ausgangssperre durchzusetzen, zu Zusammenstößen zwischen Feiernden und der Polizei geführt hatte.

Woher kommt also die überzogene Angst vor Kriminalität, wenn man bedenkt, dass diese in der Tat derzeit eine vergleichsweise geringe Bedrohung darstellt?

Hochpreisige bzw. Luxusimmobilien sind für New York City das, was Erdöl für Saudi-Arabien ist. Arbeiter*innenviertel oder arme Gegenden zu gentrifizieren und in attraktive Wohnviertel für Wohlhabende von außerhalb zu verwandeln, verspricht maximale Profite. Jeder Anflug von sich ausbreitender Kriminalität bedroht das Projekt der Immobilienbranche, einen möglichst großen Teil der Stadt in einen Wohnort für die gehobene Mittel- und Oberschicht zu verwandeln. Der Tourismus ist ein weiterer wichtiger lokaler Wirtschaftszweig, dessen Vertreter*innen die Aussicht, New York könne erneut als eine unsichere Reisedestination wahrgenommen werden, erschaudern lässt.

Gleichzeitig sind viele ältere New Yorker*innen noch traumatisiert von den Hochzeiten der Kriminalität in den 1970er und 1980er Jahren, als sie andauernd Angst davor haben mussten, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden. Jedes Anzeichen, es könne einen Rückfall in diese „schlechten alten Zeiten“ geben, löst bei ihnen Panik aus. Damals wie heute war die Gewaltkriminalität in den überwiegend von People of Colour bewohnten Vierteln am schlimmsten, in denen Adams heute eine überwältigende Mehrheit der Stimmen erzielen konnte. Viele der Menschen dort beklagen sich über die (rassistischen) Polizeiübergriffe, von denen ihre Communities regelmäßig betroffen sind. Das bedeutet jedoch noch nicht zwangsläufig, dass sie für die Abschaffung der Polizei sind oder andere Forderungen unterstützen, wie sie nach dem Mord an George Floyd während der Massenproteste von etlichen politischen Aktivist*innen erhoben wurden.

Als Adams öffentlich verkündete, nur er könne die Gewaltkriminalität in der Stadt eindämmen, richtete er sich damit sowohl an seine Unterstützer*innen aus der Elite als auch aus der Arbeiter*innenklasse.

Die strauchelnde Linke

Die Linke hatte der Bürgermeister*innenwahl in New York City zunächst überaus hoffnungsvoll entgegengesehen. Denn in den vergangenen drei Jahren konnte sie innerhalb der Demokratischen Partei und bei Wahlen auf Stadt- und Landesebene eine Reihe von beeindruckenden Siegen erringen:

  • die Abwahl eines seit 1998 im US-Kongress amtierenden Demokraten und seine Ersetzung durch die berühmteste Kongressabgeordnete der USA: Alexandria Ocasio-Cortez;
  • der Einzug von Jamaal Bowman, einem linken Pädagogen, in das US-Repräsentantenhaus, wo er einen demokratischen Abgeordneten ablöste, der seit 1989 den Bundesstaat New York vertrat und für seine engen Beziehungen zu Israel und zur Rüstungsindustrie bekannt ist;
  • die Wahl von Tiffany Cabán zur Bezirksstaatsanwältin von Queens (2,6 Millionen Einwohner*innen) mit einem Vorsprung von 55 Stimmen. Das Büro der Staatsanwaltschaft ist für die Strafverfolgung zuständig. Cabán, die von Beruf aus Pflichtverteidigerin ist, sprach ganz offen über Überlegungen, Polizei und Gefängnisse zu einem späteren Zeitpunkt ganz abschaffen zu wollen.

Dass die Linken bei den oben genannten (Vor)Wahlen so erfolgreich waren, hat nicht zuletzt mit Umständen und Bedingungen zu tun, über die sie beim Kampf um das Bürgermeister*innenamt in New York City nicht verfügten. Das Erste, was fehlte, war das Überraschungselement. Das Establishment der Demokraten und ihre Geldgeber waren 2021 fest entschlossen, sich nicht noch einmal so einfach von den Linken „überrumpeln“ zu lassen.

Zweitens fanden die oben genannten Siege der Linken bei Wahlen in geografisch begrenzten Gebieten statt, wo massenhaft freiwillige Wahlhelfer*innen mobilisiert werden können, um die Wählerschaft persönlich von den linken Kandidat*innen zu überzeugen. Zudem ist New York City aufgrund der extrem hohen Kosten ein schwieriges Pflaster für Fernsehwerbung. Selbst für die finanzstärksten Amtsinhaber wäre es absoluter Luxus, in einzelnen Wahlbezirken mit TV-Werbespots für sich zu werben. An dieser Stelle helfen militärische Begrifflichkeiten weiter, um den Unterschied zu illustrieren: Kompetitive Wahlen, bei denen die Kandidat*innen in einzelnen Bezirken gegeneinander antreten, sind vergleichbar mit einem Nahkampf, bei dem die Seite mit dem entschlossensten Fußvolk im Vorteil ist, während ein stadtweiter Wahlkampf eher einem Luftkrieg gleicht, bei dem diejenige Seite die Oberhand behält, die die meisten Bomben – in diesem Fall Fernsehspots – zum Einsatz bringen kann.

Der Kandidat mit den besten Aussichten auf das Bürgermeister*innenamt war aus Sicht der Linken Jumaane Williams, Public Advocate der Stadt, der sowohl bei vielen Schwarzen Wähler*innen als auch bei weißen Progressiven recht beliebt ist. Als Williams sich dafür entschied, auf seinem derzeitigen Posten zu bleiben, teilte sich die Unterstützung der Linken auf drei weniger aussichtsreiche Kandidat*innen auf: City Comptroller Scott Stringer, Anwältin Maya Wiley, die für den amtierenden Bürgermeister tätig war, und Non-Profit-Managerin Dianne Morales, die alle versuchten, ihr Bestes zu geben.

Stringer war der Stärkste der drei Kandidat*innen. Über einen Zeitraum von 30 Jahren hat er verschiedene Stufen auf der politischen Karriereleiter erklommen: Er war Abgeordneter im Landesparlament und danach Bezirkspräsident von Manhattan, bevor er zum obersten Rechnungsprüfer der Stadt avancierte. Er war der einzige von denen, die sich auf dem doch etwas vollen Bewerbungsfeld tummelten, der schon einmal eine stadtweite Wahl gewonnen hatte. Kurzfristig sah es so aus, als könnte es ihm ein weiteres Mal gelingen, ein erfolgreiches Wählerbündnis hinter sich zu bringen. Er konnte sich auf die Stimmen der Älteren in der Wähler*innenschaft stützen, die ihn über die Jahre hinweg begleitet hatten. Neben Adams war er zudem derjenige, der am meisten gewerkschaftliche Unterstützung für sich reklamieren konnte. In den vergangenen Jahren war er auf elegante Weise stärker nach links gerückt, nachdem er jahrzehntelang eher ein klassischer Kandidat des Parteiestablishments gewesen war.

Zur Kandidatur Stringers bekannten sich schon frühzeitig Politiker wie Bowman und junge linke Abgeordnete wie Jessica Ramos, Julia Salazar, Alessandra Biaggi und Yuh-Line Niou. Als City Comptroller war Stringer für die Prüfung der Ausgaben der Stadt verantwortlich. Er nutzte diese Erfahrung, um seinen Ruf als jemand zu schärfen, dem man zutraut, eine Stadt im Griff zu haben. Diese Art von Kompetenz steht gerade bei Liberalen aus den oberen Klassen, die selbst im Management arbeiten, hoch im Kurs. Leider erwies sich Stringer dann aber als ein eher langweiliger und schwerfälliger Wahlkämpfer, dessen Versprechen, „die Stadt auf Teufel komm raus wieder in Ordnung zu bringen“, die Bevölkerung, die noch immer unter der Corona-Pandemie leidet, nicht wirklich begeisterte.

Wiley und Morales kandidierten beide zum ersten Mal für ein öffentliches Amt und waren zunächst keinem größeren Publikum bekannt. Was ihre Wahl für Liberale, denen Identitätsfragen besonders wichtig sind, attraktiv machte, war die Aussicht darauf, eine Frau und dazu noch eine Woman of Colour zum 110. Bürgermeister der Stadt zu küren. Wiley hatte als Rechtsberaterin von Bürgermeister Bill de Blasio gearbeitet und sich vor allem als Kommentatorin des Nachrichtensenders MSNBC, der bei Anhänger*innen der Demokratischen Partei recht beliebt ist, einen Namen gemacht. Morales hatte eine große gemeinnützige Organisation geleitet, die im Bereich Soziales tätig ist. Sie zog die Sympathie etlicher linker Aktivist*innen auf sich, als sie sich der Forderung anschloss, den Jahreshaushalt des NYPD um 50 Prozent zu kürzen – was sowohl Stringer als auch Wiley ablehnten. Ihre Glaubwürdigkeit als Linke litt jedoch enorm, als herauskam, dass sie seit vielen Jahren gute Verbindungen zur Charter-School-Lobby unterhält und 2018 „vermutlich“ für den konservativen demokratischen Gouverneur Andrew Cuomo stimmte, als dieser in einer Vorwahl von links herausgefordert wurde.

Alle drei progressiven Kandidaten lagen in den Umfragen monatelang zurück. Mitte April begann Stringer schließlich, an Boden zu gewinnen. In einer Umfrage rückte er nahe an Adams heran, zugleich kündigten die einflussreiche Working Families Party, sowie die United Federation of Teachers, die große Lehrer*innengewerkschaft, an, ihn zu unterstützen. Auch das Endorsement der New York Times, das bei ihren hochgebildeten Leser*innen in New York City, von denen sich viele an Vorwahlen der Demokraten beteiligen, eine wichtige Rolle gespielt hätte, rückte zwischenzeitlich in Reichweite. Die Times hatte Stringer bereits bei seiner Kandidatur für das Amt des City Comptroller unterstützt. Die ihn auszeichnende Kombination aus Managementerfahrung und praktischem Progressivismus schien denNerv der Zeit zu treffen.

Stringers Kampagne implodierte jedoch am 28. April, als die Lobbyistin Jean Kim Stringer beschuldigte, sie vor 20 Jahren begrapscht und gewaltsam geküsst zu haben. Sie hatte damals als Freiwillige an einer seiner Wahlkampfkampagnen teilgenommen. Es gab keine direkten Zeug*innen für das von Kim behauptete Fehlverhalten und sie legte auch keinerlei erhärtende Beweise, wie E-Mail-, Textnachrichten, Aussagen von Familienangehörigen oder Freund*innen vor, denen sie sich damals anvertraut haben könnte. Es ist inzwischen üblich geworden, solche Belege heranzuziehen, um die Glaubwürdigkeit von Anschuldigungen wegen angeblicher sexueller Übergriffe einzuschätzen. Es stellte sich zudem heraus, dass Kims Anwältin, Patricia Pastor, eine Gruppe von gewerkschaftsfeindlichen Baufirmen vertritt, die zuvor mit Stringer wegen seiner Unterstützung von gewerkschaftlich organisierten Arbeiter*innen bei Hudson Yards – einem Mega-Immobilien-Projekt, das Milliarden an öffentlichen Subventionen erhalten hatte – aneinandergeraten waren.

Stringer beteuerte seine Unschuld und veröffentlichte Informationen, wonach Kim sich nur an seiner Kampagne 2013 beteiligt hatte, weil sie sich davon einen Job erhofft hatte. Es half nichts. Seine hochkarätigen Millennials-Anhänger*innen und eine Reihe von progressiven Organisationen zogen ihre Unterstützung nur wenige Tage nach dem Bekanntwerden der Anschuldigungen zurück. Die Kampagne erholte sich nie wieder. Jeglicher Impuls, den sie noch hatte, wurde Anfang Juni ausgelöscht, als eine weitere Frau, Teresa Logan, die ebenfalls von Pastor vertreten wird, Stringer beschuldigte, auch sie 1992 sexuell belästigt zu haben. Damals hatte sie in einer Bar gearbeitet, die dem Beschuldigten gehörte. Stringer landete schließlich unter ferner liefen auf Platz fünf in den Primaries der Demokraten.

Morales‘ Kampagne war die nächste, die strauchelte. Sie wurde daraufhin von der Linken in der Luft zerrissen. In ihrem Fall waren es bezahlte Mitarbeiter*innen ihres Wahlkampfteams, die sich gegen, aus ihrer Sicht, unfaire Arbeitspraktiken auflehnten und weniger als vier Wochen vor den Vorwahlen versuchten, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Das Bild von Morales‘ eigenen Mitarbeiter*innen, die vor ihrem Büro in Midtown Manhattan protestierten und ihre Chefin anprangerten, zerstörte all ihre Glaubwürdigkeit als linke Bürgermeisterinnenkandidatin.

Bei den diesjährigen Vorwahlen der Parteien in New York City für das Bürgermeister*innenamt kam zum ersten Mal stadtweit ein sogenanntes Ranglistensystem zum Einsatz. Die Wähler*innen konnten für insgesamt fünf Kandidat*innen stimmen und eine Reihenfolge nach ihrer Präferenz festlegen. Erhält kein(e) Kandidat*in mehr als 50 Prozent der Erstwahlstimmen, wird in Runden ausgezählt. In jeder Runde scheidet die/der Kandidat*in mit den wenigsten Stimmen aus. Etliche fortschrittliche Organisationen, Gewerkschaften und gewählte Beamte nutzten die Gelegenheit, um entsprechenden Rangempfehlungen abzugeben. Dies hat gegenüber dem alten System den Vorteil, dass man sich mehrere Optionen aufrechterhält, wenn die/der am meisten favorisierte Kandidat*in verliert. Eine Gruppe, die sich bei der Bürgermeistervorwahlwahl der Demokraten völlig enthalten hat, ist die New Yorker Ortsgruppe der Democratic Socialists of America. Sie beschloss, sich auf die Wahlen zum City Council in einigen ausgewählten Distrikten zu konzentrieren (siehe unten) und mithilfe der Mobilisierung von Hunderten Freiwilligen entscheidenden Einfluss auf deren Ausgang zu nehmen.

Nach dem Ausfall von Stringer und Morales versuchten die Progressiven, sich um Wiley zu scharen, wobei Ocasio-Cortez (die dazu neigt, sich erst spät in Rennen einzumischen) eine wichtige Unterstützung bot. Wileys Umfragewerte schossen in die Höhe, nachdem sich immer mehr jüngere und hochqualifizierte Wähler*innen für sie aussprachen. Aber diese Unterstützung erwies sich als zu spät. Adams siegte am 22. Juni mit 31 Prozent der Stimmen vor Wiley mit 22 Prozent. Kathryn Garcia, ehemals in der Verwaltung zuständig für New Yorks Stadtreinigung und eine zentristische Technokratin, deren Umfragewerte gestiegen waren, nachdem sich die New York Times für ihre Wahl ausgesprochen hatte, kam nach der ersten Auszählung der Stimmen in der Wahlnacht auf 19 Prozent.

Am letzten Wochenende vor der Abstimmung hatte sich Garcia noch mit dem am Ende Viertplatzierten, Andrew Yang, zusammengeschlossen, der seine Anhänger*innen dazu ermutigt hatte, Garcia an zweiter Stelle auf ihrer Liste zu platzieren. Die drei progressiven Kandidat*innen der Demokrat*innen haben es dagegen nicht geschafft, solche Allianzen zu bilden. Bei der endgültigen Auszählung der Stimmen zog Garcia dann noch an Wiley vorbei und landete nur ganz knapp hinter Adams, was zeigt, was für ein polarisierender Kandidat er ist.

Für die Linke war dies der letzte Akt in einer Aufführung voller verpasster Chancen und selbstzugefügter Wunden. Da New York eine stark demokratisch geprägte Stadt ist, muss Adams bei den Wahlen im November wohl keine wirkliche Opposition befürchten. Die Linke wird bei der erwartbaren Bestätigung seines Sieges damit leben müssen, dass einer ihrer größten politischen Gegenspieler für die nächsten vier Jahre die Führung im Rathaus übernimmt. Dass vier der letzten fünf Bürgermeister von New York City die Macht ihres Amtes außerdem dafür nutzen konnten, ein zweites Mal gewählt zu werden, macht das Ganze nur noch schlimmer.

Siege der Linken bei untergeordneten Wahlen

Die Linke schnitt bei anderen Lokalwahlen in New York City dagegen wesentlich besser ab. So folgte Brad Lander, ein Linker, der bereits im Stadtrat saß, Stringer und wurde zum neuen City Comptroller gewählt. Alvin Bragg, der für eine Reform des Strafsystems eintritt, wurde als erster Afroamerikaner zum Bezirksstaatsanwalt von Manhattan gewählt. Er könnte, wenn er wollte, damit ein starkes Gegengewicht zu Adams und dessen demagogischer Neigung bilden, die Angst in der Bevölkerung vor Kriminalität politisch zu instrumentalisieren.

Vier Demokraten, die sich selbst als Sozialist*innen bezeichnen – Kristin Richardson Jordan, Tiffany Cabán, Alexa Aviles und Charles Barron – sind diesen Sommer in den City Council, dem insgesamt 51 Mitglieder angehören, eingezogen. Dazu kommt ein gut Dutzend weiterer Linker, darunter einige, die führende Rollen in sozialen Bewegungen hatten. Sandy Nurse organisierte den Widerstand auf der Straße im Rahmen der Bewegung „Occupy Wall Street“ und gründete später ein Nachbarschaftszentrum in einem Arbeiter*innenviertel im Norden Brooklyns, dessen Bewohner*innen sie daraufhin als ihrer Vertreter*in in den Stadtrat entsandten. Chi Osse führte letztes Jahr die Black-Lives-Matter-Proteste in Brooklyn an. In diesem Jahr besiegte die 23-jährige queere Schwarze Community-Organizerin einen vom Parteiestablishment unterstützten Kandidaten mit einem 14-prozentigen Vorsprung und gewann damit einen Sitz im Stadtrat. Der neue City Council zeichnet sich durch eine nie dagewesene ethnische Diversität aus. Zum ersten Mal sind dort außerdem mehr Frauen als Männer vertreten.

New York City hat ein Kommunalsystem, in dem das Bürgermeisteramt über viel Macht im Verhältnis zur Legislative verfügt. Zugleich ist die Stadt in vielerlei Hinsicht von der Landesregierung, die ihren Sitz in Albany hat, abhängig. Diese kontrolliert alles: vom Verkehrssystem über Mieterschutzgesetze und der Möglichkeit, neue Steuern zu erheben, bis hin zur Installation von Kameras zur Überwachung von Verkehrssünder*innen. Der kürzlich zurückgetretene Gouverneur Andrew Cuomo ließ kaum eine Gelegenheit aus, Bürgermeister De Blasio öffentlich zu demütigen und ihn daran zu erinnern, wer in der Beziehung der beiden das Sagen hatte. Adams dürfte mit der neuen Gouverneurin Kathy Hochul deutlich besser fahren. Sie hat versprochen, eng mit anderen Politiker*innen in verantwortungsvollen Positionen im Bundesstaat New York zusammenzuarbeiten. Zudem wird sie sich sicherlich um Adams‘ Unterstützung bemühen, wenn im nächsten Jahr die Gouverneurswahl ansteht.

Es bleibt abzuwarten, was ein linker Block im Stadtrat von New York City wird ausrichten können. Adams sollte zumindest darauf gefasst sein, dass die linken Council-Angehörigen entschlossen für mehr Umverteilung und einen Ausbau des geschwächten sozialen Sicherheitsnetzes in der Stadt eintreten werden. Der Druck auf den neuen Bürgermeister, sinnvolle Veränderungen zugunsten der diversen Arbeiter*innenklasse der Stadt anzustoßen, dürfte groß sein, selbst wenn dies seinen gutbetuchten Unterstützer*innen und Finanziers kaum gefallen wird.

John Tarleton ist Mitbegründer und Chefredakteur von The Indypendent, einer in New York City kostenlos verteilten progressiven Zeitung, und der gleichnamigen, seit 2000 existierenden Website.


Verbunden