Sozialist:innen im US-Kongress hatten keinen schönen Sommer. Ihre ohnehin spärliche Abgeordnetenzahl im House of Representatives, dem Unterhaus des Parlaments, halbierte sich. Der Abgeordnete Jamaal Bowman, ein New Yorker Demokrat, wurde im Juni bei den Vorwahlen der Demokraten aus dem Rennen geworfen. Mit ausschlaggebend dafür war eine große Geldspende der pro-israelischen Lobbygruppe American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) an seinen Konkurrenten. Dasselbe Schicksal ereilte Anfang dieses Monats die Abgeordnete Cori Bush, eine Demokratin aus Missouri. Auch sie verlor in der Vorwahl gegen einen Herausforderer, der von der AIPAC finanziell stark unterstützt wurde. Sowohl Bowman als auch Bush, beide Mitglieder der Democratic Socialists of America (DSA), waren ins Visier von AIPAC geraten, weil sie Israels brutale Kollektivbestrafung der Palästinenser:innen in Gaza scharf kritisiert hatten.
Aufgrund ihrer Niederlagen verbleiben nur noch zwei von DSA unterstützte Abgeordnete im Kongress, nämlich Rashida Tlaib aus Michigan und Alexandria Ocasio-Cortez (AOC) aus New York. (AOCs Kampagne für die Wiederwahl wurde dieses Jahr von der nationalen DSA-Führung nicht unterstützt, dafür aber von der Ortsgruppe New York City DSA). Welchen Einfluss die beiden zusammen mit nicht-sozialistischen Progressiven, etwa ihren „Squad“-Kolleginnen Ilhan Omar und Summer Lee, noch haben, falls die Demokraten aus den November-Wahlen siegreich hervorgehen und es zu einer Regierung von Kamala Harris kommt, ist unklar. AOCs Rede auf dem Parteitag der Demokraten zur besten Sendezeit und Harris‘ Wahl des progressiven Gouverneurs von Minnesota, Tim Walz, zu ihrem Stellvertreter, sind jedenfalls als ermunternde Gesten in Richtung des linken Parteiflügels zu verstehen – obwohl AOC in einer Rede zur großen Enttäuschung der pro-palästinensischen Linken fälschlicherweise behauptet hatte, Harris würde sich „unermüdlich um einen Waffenstillstand in Gaza bemühen“. Zudem führt Harris bisher einen eher auf die Mitte hin orientierten Wahlkampf. Ihre frühere Unterstützung für einen Green New Deal und eine staatliche Arbeitsplatzgarantie hat sie aufgegeben, und sie kündigt weitere Waffenlieferungen der USA an Israel an.
Gibt das sozialistische Projekt auf Bundesebene ein recht trauriges Bild ab, so verspricht ein Blick auf die Politik in den Städten und Einzelstaaten mehr. Auf diesen Ebenen baut DSA ihre Präsenz landesweit aus, nämlich dort, wo sich sozialistische Stadträte und Abgeordnete für einen besseren Schutz von Mieter:innen und Arbeitnehmer:innen, für mehr Mittel und den Ausbau öffentlicher Dienstleistungen sowie eine Reichensteuer einsetzen.
Freilich sind sozialistische Politiker:innen zu grundlegenden Veränderungen des wirtschaftlichen oder politischen Systems bisher nicht in der Lage. In gewisser Weise erinnern sie an die „sewer socialists“1 des vergangenen Jahrhunderts, denen Transparenz in der Amtsführung und der Ausbau der urbanen Infrastruktur, etwa Parks oder eben die Abwasserbeseitigung, wichtig war. Ob die heutige Linke in der Lage ist, auf der Stadt- und Einzelstaatsebene die Grundlage für ein landesweites politisches Projekt zu legen, das hegemonial werden könnte, bleibt abzuwarten. Ihren sozialistischen Vorgänger:innen war es damals nicht gelungen.
Sozialist:innnen in Ämtern einzelner Bundesstaaten
Was die einzelstaatliche Gesetzgebung angeht, haben die Sozialist:innen im Bundesstaat New York den mit Abstand größten Erfolg erzielt. Die DSA hat dort jetzt drei Senator:innen – Julia Salazar, Jabari Brisport und Kristen Gonzalez – und die fünf Abgeordneten Emily Gallagher, Phara Souffrant Forrest, Marcela Mitaynes, Zohran Kwame Mamdani und Sarahana Shrestha. Bald wird auch Claire Valdez in die Landesversammlung einziehen. Sie gewann die Vorwahlen der Demokratischen Partei im Juni dieses Jahres und tritt bei den allgemeinen Wahlen konkurrenzlos an.
AOC und Rashida Tlaib waren 2018 in den Kongress gewählt wurden. Als Salazar im selben Jahr gewählt wurde, begann DSA seine Präsenz in der Landesversammlung des Bundestaats New York aufzubauen. 2020 gelang den Sozialist:innen schließlich mit der Wahl von Brisport, Forrest, Mitaynes, Mamdani und Gallagher der Durchbruch. 2022 konnte die Gruppe mit Gonzalez und Shrestha weiter Fuß fassen. Die acht Abgeordneten koordinieren ihre gesetzgeberische Strategie und die Themensetzung in einem Gremium namens New York State Socialists in Office (SIO), zusammen mit Vertreter:innen aus ihren DSA-Ortsgruppen.
Seit 2018 setzen sich die gewählten sozialistischen Politiker:innen für progressive politische Anliegen ein. Mit Hilfe progressiver Verbündeter in der Legislative konnten sie einige Reformen durchsetzen. Dazu gehören eine deutliche Verbesserung des Mieterschutzes im Jahr 2019 sowie höhere Steuern für Reiche zur Finanzierung von COVID-19-Hilfsprogrammen und öffentlichen Schulen im Jahr 2021. Einer der bedeutendsten Erfolge des SIO war 2023 der Build Public Renewables Act, der der staatlichen New Yorker Stromversorgungsbehörde den Ausbau eigener erneuerbarer Energiequellen abverlangt. Damit soll der Staat bei seinem Ziel, aus der Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen auszusteigen, unterstützt werden. In einem Kommentar kritisierten Salazar und Shrestha im Juli 2024, die New Yorker Gouverneurin Kathy Hochul habe jedoch „so gut wie nichts unternommen, um dem Auftrag der Bevölkerung für eine staatliche Stromversorgung nachzukommen“. Ferner sei bislang „keine Verpflichtung für die hinreichende Erzeugung sauberer Energie zur Erreichung unserer Klimaziele [erfolgt], was laut Gesetz aber vorgesehen ist“.
In anderen Einzelstaaten außerhalb von New York haben Sozialist:innen keine vergleichbare Präsenz aufgebaut. Gleichwohl sind sie in einigen Landesparlamenten vertreten, etwa mit drei Sitzen im Senat des Bundesstaates Minnesota (Omar Fateh, Zaynab Mohamed und Jen McEwen) und zwei im Unterhaus (Athena Hollins und Samantha Sencer-Mura). Im Jahr 2023 legten Fateh und McEwen einen Gesetzentwurf zur Erhöhung der Löhne und zur Ausweitung des Arbeitnehmerschutzes für Uber- und Lyft-Fahrer:innen vor, der beide Kammern der Legislative passierte. Dagegen legte Gouverneur Tim Walz unter dem Druck von Unternehmen sein Veto ein. Allerdings unterzeichnete er Anfang dieses Jahres eine abgespeckte Version des Gesetzes.
In Pennsylvania ist der von DSA-unterstützte Nikil Saval seit 2020 Senator, Elizabeth Fiedler hat im dortigen Repräsentantenhaus seit 2019 einen Sitz inne. 2021 kam Rick Krajewski hinzu. Auch in den Landesparlamenten von Colorado, Michigan, Wisconsin, Vermont und weiteren Bundesstaaten sind Sozialist:innen vertreten.
Kommunaler Sozialismus im 21. Jahrhundert
Die erfolgreichste sozialistische Organisation in den Vereinigten Staaten war vor der DSA die Socialist Party of America (SPA), die in den 1910er Jahren ihren Höhepunkt erreichte. Laut Jack Ross, der für das Mapping American Social Movements Project schreibt, wurden „in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts mehr als 1.000 sozialistische Kandidat:innen in öffentliche Ämter gewählt. Darunter waren zwei Kongressmitglieder, Dutzende von Landtagsabgeordneten und mehr als 130 Bürgermeister“. Ihre stärkste Präsenz in Landesparlamenten hatte die Partei in den Jahren 1914 und 1915, schrieb Chris Maisano in Jacobin. Damals hatte Wisconsin mit neun Abgeordneten die meisten Sozialist:innen, gefolgt von Oklahoma mit sechs. Bei Wahlen auf Landes- und Bundesebene zieht DSA mit der damaligen SPA also ziemlich gleich.
Der „Abwassersozialismus“, der vor allem mit der Hochburg der Sozialistischen Partei in Milwaukee im Bundesstaat Wisconsin in Verbindung gebracht wird, war ein kommunales Phänomen. Auf dieser Ebene legt heute DSA ebenfalls zu. In New York City gibt es zwei von DSA unterstützte Stadträte; im Stadtrat von Minneapolis sitzen vier von DSA unterstützte Mitglieder; und Chicago führt mit sechs demokratischen Sozialist:innen im Stadtrat. Chicagos demokratisch-sozialistische Stadträte sind oft starke Verbündete des progressiven (aber nicht-sozialistischen) Bürgermeisters Brandon Johnson.
Auch außerhalb linker Hochburgen wie New York und Chicago konnten Sozialist:innen kommunale Ämter besetzen. 2021 gewann der von DSA unterstützte Kandidat Richie Floyd die Wahl in den Stadtrat von St. Petersburg in Florida – was nicht gerade eine radikallinke Bastion ist. Im Jahr 2023 wurde der Sozialist Jesse Brown in den Stadtrat von Indianapolis, Indiana, gewählt. Das Amt nutzt er zu scharfen Attacken auf die Republikaner, die das Landesparlament mit ihrer Mehrheit dominieren. Er fordert einen Waffenstillstand in Gaza. In Louisville im Bundesstaat Kentucky gewann J. P. Lynginer in diesem Jahr die Demokraten-Vorwahlen für den Stadtrat. In seinem Wahlkampf hatte er gefordert, Mittel aus dem Polizeihaushalt umzuschichten auf öffentliche Dienstleistungen, etwa Hortangebote für Kinder und Beschäftigungsprogramme. Er schlägt eine kommunal organisierte Nahrungsmittelversorgung mit entsprechenden Läden vor, um die Lebensmittelwüste in der Stadt zu bekämpfen.
Im Jahr 1912 hatte die Sozialistische Partei 78 Bürgermeisterämter in den USA inne. Den demokratischen Sozialist:innen von heute geht es weniger um Bürgermeisterämter, obwohl die von der DSA unterstützte Kandidatin India Walton landesweit Schlagzeilen machte, als es 2021 so aussah, als würde sie das Bürgermeisteramt in Buffalo gewinnen. In Richmond, Kalifornien, kämpft die Gruppierung Richmond Progressive Alliance (RPA) seit langem gegen den Einfluss des fossilen Brennstoffriesen Chevron, der eine Raffinerie in der Stadt besitzt, sowie gegen weitere lokale Umweltverschmutzer und einflussreiche Immobilienfirmen. Seit mehreren Jahren unterstützt der DSA-Ortsverband bei Stadtratswahlen RPA-Kandidat:innen. Die RPA stellt inzwischen eine Mehrheit im Stadtrat, einschließlich des Bürgermeisters Eduardo Martinez.
Die DSA hat nun Bürgermeisteramt in Sacramento, Kalifornien, im Blick, wo die progressive Aktivistin Flo Cofer eine echte Chance auf einen Wahlsieg im November hat. Und in New York City erwägt der sozialistische Abgeordnete Zohran Mamdani, im kommenden Jahr als Bürgermeister zu kandidieren.
Ein langer Marsch durch Stadt, Land – und auch Bund?
Das rege Engagement und die Erfolge bei Wahlen auf städtischer und einzelstaatlicher Ebene lassen eine sozialistische Linke erkennen, die viel mehr zu bieten hat als die Zahlen im Kongress es nahelegen, gerade nach den jüngsten, viel beachteten Niederlagen von Cori Bush und Jamaal Bowman. Es ist ein Zeichen dafür, dass der Sozialismus in den USA wirklich vorhanden ist und nicht so schnell wieder verschwinden wird.
Wie es um sozialistische Politik in Stadt- und Einzelstaatsregierungen zukünftig bestellt sein wird, bleibt unklar. An den meisten Orten bleiben Sozialist:innen eine winzige Minderheit, sowohl in der Wählerschaft als auch in der Legislative. Zudem tritt die große Mehrzahl von ihnen in Vorwahlen der Demokratischen Partei an oder wählt Demokrat:in als Selbstbezeichnung. Diese Bindung an eine unternehmensdominierte Partei stellt langfristig ein Problem dar, wenn ein Projekt mit gesellschaftlicher Breitenwirkung entwickelt werden soll, das auf der Grundannahme eines unüberbrückbaren Klassengegensatzes von Kapital und Arbeit beruht.
Festzuhalten ist ebenfalls, dass die Durchsetzung umfassender Reformvorhaben große politische Macht auf nationaler Ebene erfordert – Reformen, wie sie Bernie Sanders in den Mittelpunkt seiner Präsidentschaftskampagnen gestellt hatte: eine umfassende staatliche Krankenversicherung, eine staatliche Arbeitsplatzgarantie, kostenlose Universitätsausbildung und der vollständige Erlass von Studienkreditschulden. Dasselbe gilt für das sozialistische Fernziel, die grundlegende Demokratisierung der Wirtschaft. Zu hoffen bleibt, dass die sozialistische Linke mit wahlpolitischen und legislativen Erfolgen auf kommunaler und Landesebene eine solide Basis aufbauen und Wurzeln schlagen kann. Je kämpferischer parallel dazu die Gewerkschaftsbewegung wird, desto eher lassen sich Durchbrüche auf bundesweiter Ebene erzielen.
- „Abwasser-Sozialisten“; ein ursprünglich abwertender Begriff für sozialistische Kommunalpolitikt in Wisconsin, Anm. d. Ü. ↩︎
Nick French ist stellvertretender Redakteur bei Jacobin.