Der ADVANCE (Accelerating Deployment of Versatile, Advanced Nuclear for Clean Energy) Act, der am 18. Juni 2024 vom US-Senat verabschiedet wurde, ist eine parteiübergreifende Gesetzesinitiative zur Förderung der Entwicklung und Einführung neuer Nukleartechnologien. Das Gesetz ist Teil umfassenderer Bemühungen, den Klimawandel dadurch zu bekämpfen, dass die Rolle der Kernenergie bei der Dekarbonisierung der USA gestärkt wird. Das Gesetz hat aufgrund seiner Auswirkungen auf die Umwelt, die Wirtschaft und die Sicherheit erhebliche Diskussionen und Bedenken ausgelöst.
Seit vielen Jahren weist die Rosa-Luxemburg-Stiftung in New York auf die vielen Gründe hin, warum wir glauben, dass Kernenergie unser Klima nicht retten wird. 2018 veröffentlichten wir einen umfassenden Bericht von Tim Judson, Executive Director des Nuclear Information and Resource Service (NIRS), in dem der renommierte Kernenergieexperte die vielen Mythen entlarvte, mit denen die Lobbyisten der Atomindustrie die Technologie gegenüber anderen, wissenschaftlich fundierteren, nachhaltigeren und wirtschaftlicheren Energiequellen durchsetzen wollen. In dieser Studie lieferte Judson eine klare Bewertung der Faktoren, die belegen, dass die Kernenergie gegenüber erneuerbaren Energiequellen wie Wind und Sonne in keiner Weise im Vorteil ist und daher nicht als praktikable Alternative für die dringend benötigte Energiewende weg von fossilen Brennstoffen angesehen werden kann.
Im vergangenen Jahr führte NIRS zusammen mit anderen Befürwortern des Ausstiegs aus der Kernenergie eine zivilgesellschaftliche Kampagne an, um die Senatorinnen und Senatoren davon zu überzeugen, gegen die Verabschiedung des Gesetzes zu stimmen. Sie wiesen auf vier Hauptprobleme im Zusammenhang mit der Gewinnung, Produktion und Lagerung von Kernenergie hin: Umwelt- und Gesundheitsrisiken, Gerechtigkeit für Strahlenopfer, wirtschaftliche Kosten und nationale Sicherheitsrisiken.
Judson wies bezüglich der Umweltbedenken bereits 2018 darauf hin: „Im Gegensatz zu erneuerbaren Energiequellen wie Wind- und Solarenergie ist die Stromerzeugung aus Kernenergie mit erheblichen, langanhaltenden Umweltauswirkungen und Schäden an natürlichen Ressourcen verbunden.“ Bei der Gewinnung, Verarbeitung und Anreicherung von Uran entstehen große Mengen radioaktiver Abfälle, für die es noch keine praktikable Lösung gibt. Die Kontamination von Boden, Luft und Wasser sowie die Belastung der Trinkwasserquellen durch die Kühlsysteme der Anlagen reichen aus, um diese Technologie als Ersatz für fossile Brennstoffe ungeeignet zu machen. Der Mythos der kohlenstofffreien Technologie wurde ebenfalls von Judson und vielen anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern entlarvt, die zeigen, dass der Bau und die Wartung von Kernkraftwerken wichtige Quellen von Kohlenstoffemissionen sind.
Häufig sind arme Menschen, People of Color und indigene Völker von den Gefahren der Nuklearindustrie am stärksten betroffen, da zahlreiche Uranabbau- und Nuklearprojekte dort angesiedelt werden wo sie leben. Diese Communities sind aber auch oft von den Arbeitsplätzen in den Minen abhängig. Darüber hinaus wirken sich die Kosten für indigene Völker nicht nur auf ihre Gesundheit und Umwelt aus, sondern fordern auch einen kulturellen Tribut, da ihre traditionellen Gebiete und heiligen Stätten durch diese Energieprojekte zerstört und kontaminiert werden.
Die USA müssen den Schaden, der den Strahlenopfern zugefügt wurde, noch beheben. Der Kongress hat es versäumt, den Radiation Exposure Compensation Act zu erneuern, ein Bundesgesetz aus dem Jahr 1990, das im Juli 2024 ausläuft. Das bedeutet, dass die Politiker die Entschädigung für Strahlenschäden verweigern, was die historische Ungerechtigkeit für die Opfer noch vergrößert. Das ADVANCE-Gesetz würde diese Situation noch verschlimmern, indem es die Wahrscheinlichkeit potenzieller Freisetzungen und Expositionen gegenüber radioaktiven Stoffen erhöht, die alle mit Steuergeldern finanziert werden.
In einer Pressemitteilung zur Verabschiedung des ADVANCE-Gesetzes weist der Nuclear Energy Information Service (NEIS) auf die üblichen Argumente hin, mit denen die Befürworter des Gesetzes ihre Position verteidigen: „Kernenergie ist sauber und grün, wird zur Bekämpfung der Klimakrise benötigt, schafft Arbeitsplätze und ist überreguliert.“ Das Argument, dass die Kernenergie für die Bekämpfung der dringenden Klimakrise unverzichtbar ist, fällt in sich zusammen, wenn wir die wirtschaftlichen Kosten und die Zeit, die mit diesen Projekten verbunden sind, analysieren. Die Kernenergie kann keine effiziente Lösung für den Klimawandel sein, da die Kosten für die Entwicklung und den Betrieb von Kernreaktoren um ein Vielfaches höher sind und es viel länger dauert, bis sie ans Netz gehen können als andere Energiequellen. Dies wird besonders deutlich, wenn man bedenkt, dass die Marktpreise für Strom aus Wind-, Solar- und Wasserkraft in den letzten zehn Jahren erheblich gesunken sind und dieser Abwärtstrend voraussichtlich anhalten wird.
Die enormen wirtschaftlichen Ressourcen, die für die Entwicklung der fortschrittlichen Technologien benötigt werden, die durch diese neue Gesetzgebung gefördert werden, bedeuten, dass die Gelder dann bei echten Antworten auf den menschengemachten Klimawandel fehlen werden. Die erheblichen staatlichen Subventionen und finanziellen Anreize, die zur Unterstützung der Atomindustrie erforderlich sind, könnten besser in erneuerbare Energiequellen investiert werden, die sicherer und kostengünstiger sind. Angesichts von Projekten im Bereich der erneuerbaren Energien, die auf den Netzanschluss warten und mit den vorhandenen Technologien die Kapazität des Netzes verdoppeln könnten, erscheint der Vorstoß für die Kernkraft ineffizient und fehlgeleitet.
Nationale Sicherheitsexperten warnen, dass das ADVANCE-Gesetz die Verbreitung von Atomwaffen durch den Export von gefährlichen radioaktiven Materialien und Technologien beschleunigen könnte. Das Gesetz erlaubt auch ausländisches Eigentum an US-Atomanlagen. Darüber hinaus ändert das Gesetz den Auftrag der Nuclear Regulatory Commission (NRC) von der Regulierung zur Förderung, was das Risiko einer regulatorischen Vereinnahmung und von Sicherheitsmängeln wie bei der Fukushima-Katastrophe 2011 erhöht. Die Bestimmung des Gesetzes, die die NRC zwingt, dem Potenzial der Kernenergie zur Verbesserung des Allgemeinwohls Vorrang vor Sicherheitsbedenken einzuräumen, könnte zu Regulierungsversagen und rechtlichen Anfechtungen führen. Diese Änderung könnte gegen die Verpflichtung der USA aus dem Übereinkommen über nukleare Sicherheit von 1994 verstoßen, das die Trennung von Regulierungs- und Förderfunktionen vorschreibt.
Wie der Experte für nukleare Sicherheit Dr. Ed Lyman von der Union of Concerned Scientists bereits im Juni erklärte: „Es geht nicht darum, das Genehmigungsverfahren für Reaktoren effizienter zu gestalten, sondern darum, die Sicherheitsaufsicht generell zu schwächen – ein langjähriges Ziel der Industrie. Die Änderung des NRC-Auftrags führt dazu, dass die Behörde bei jeder Anlage, die sie in den Vereinigten Staaten beaufsichtigt, nur noch ein Minimum an Vorschriften durchsetzt. Kombiniert man diesen geschwächten Regulierungsrahmen mit den Risiken, die sich durch die zunehmenden extremen Wetterereignisse ergeben, steigt das Potenzial für nukleare Katastrophen auf ein neues Niveau. Die menschlichen und wirtschaftlichen Kosten könnten immens werden.
Das ADVANCE-Gesetz lenkt nicht nur wichtige Ressourcen von nachhaltigen Energielösungen ab, sondern untergräbt, wie Kritikerinnen und Kritiker betonen, auch die Sicherheit und fördert Industrieinteressen auf Kosten der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit. Die hohen ökologischen und sozialen Kosten der Kernenergie – und ihre Überschneidung mit der Klimagerechtigkeit – sind so hoch und langanhaltend, dass sie Grund genug sein sollten, diese Technologie hinter sich zu lassen. Die Demontage der wenigen vorhandenen Sicherheitsvorkehrungen zugunsten privater Interessen, die auf falschen Informationen beruhen, ist schon viel zu lang eine der Lieblingsmethoden neoliberaler Staaten. Um das Überleben der Menschheit und unseres Planeten zu sichern, müssen wir uns weiterhin organisieren und gegen diejenigen kämpfen, die den Profit über den Menschen stellen.
Mariana Fernández ist Projektmanagerin bei RLS-NYC mit den Schwerpunkten Frieden und Sicherheit, Abrüstung und Abschaffung der Atomkraft.
Foto: Ein Blick auf die Zerstörungen im Inneren des SL-1-Reaktorkerns (in Idaho Falls, ID), nachdem dieser am 3. Januar 1961 durch eine nukleare prompt-kritische Exkursion beschädigt worden war.
Credits: Idaho National Engineering and Environmental Laboratory, INEEL 81-3966, gemeinfrei, über Wikimedia Commons