Mai 10, 2022

Zehn Jahre Occupy: seine Stärken und Unzulänglichkeiten

Jenny Stanley

Im September 2021 wurde Occupy Wall Street zehn Jahre alt. Für etliche Organisator*innen stellt Occupy einen wichtigen Meilenstein und Grund zum Feiern dar. Andere winkten schon vorher ab und gaben sich erleichtert darüber, dass die Ära Occupy schon lange hinter ihnen liege.  Manche meinen, die Ausstrahlungskraft von Occupy werde überbewertet. Das mag stimmen. Unbestreitbar ist aber auch, dass die politische Linke in den Vereinigten Staaten in den letzten zehn Jahren zu einer echten Bezugsgröße geworden ist. Ohne Occupy wäre das nicht möglich gewesen.

Geteilte Meinungen über Occupy geben Anlass, sich über den Gesamtzustand der amerikanischen Linken Gedanken zu machen. Denn sie ist alles andere als ein Monolith. Vielmehr sind ihre Einzelteile durch ein Wertesystem lose miteinander verbunden. Dabei muss über konkrete Themenstellungen, Kampagnen und Forderungen, die in den Vordergrund treten sollen, jedes Mal aufs Neue Verständigung hergestellt werden. Diese Herausforderung wirft vielerlei Fragen auf, von der strategischen Orientierung über die angemessene inhaltliche Vermittlung bis hin zu taktischen Erwägungen.

Die Linke will in Amerika und darüber hinaus die Ursachen unserer gesellschaftlichen Probleme an der Wurzel packen. Deshalb ist dieses politische Projekt ein so gewaltiges Unterfangen. Die ideologischen Grundlagen und die zukunftsweisende Weltsicht, auf denen linke Ideen beruhen, sind unglaublich kraftgeladen – von den weltanschaulichen Fundamenten (zum Beispiel der Glaube an den Menschen statt an den Profit, öffentliches vor privatem Eigentum, Antiimperialismus, Abolitionismus und Indigene Befreiung) bis hin zu konkreten politischen Forderungen (zum Beispiel Medicare für alle, Besteuerung der Reichen und ein Green New Deal). Da das Ziel der transformative Wandel ist, lohnt sich der Einsatz darum.

Im zurückliegenden Jahrzehnt trat die Linke vielversprechend aus ihrem eigenen Schatten. Heute existieren ein stabileres Netzwerk aus Medien sowie vielfältige Organisationsräume und Ressourcen. Dadurch ist viel möglich geworden: linke Theoriebildung, Erfahrungsgewinn aus linker politischer Praxis sowie ein zeitgemäßes gesellschaftliches und politisches Sehvermögen. Zudem ergeben sich daraus Nähe und Zusammenhalt. Vor diesem Erfahrungshorizont konnten sich unverwechselbare Stimmen Gehör verschaffen. Es gibt kollektive Ausdrucksweisen und verbindende Symbole. Vieles weist seit Occupy auf eine größer werdende Bündnisbereitschaft und Kohärenz unter amerikanischen Linken hin.

Tatsächlich ist der Einfluß der US-Linken aber immer noch viel zu klein. Zahlreiche Kämpfe von 2011 trägt sie bis heute untereinander aus. Die gesellschaftlichen Missstände, die Occupy Wall Street so relevant machten, plagen uns nach wie vor. Die Parallelen sind frappierend – von der Wirtschafts- und Immobilienkrise über die sich verschärfende Einkommensungleichheit und einen demokratischen Präsidenten, der seine progressiven Wahlkampfversprechen nicht wirklich umsetzen konnte, bis hin zu einem erstarkenden rechtsextremen Bündnis. Dennoch steht heute sehr viel mehr auf dem Spiel als damals.

Obwohl die Bedeutung einer Massenbewegung manchmal erst Jahrzehnte später klar wird, liefert der Occupy-Jahrestag Anlass zu einer vorläufigen Bilanz. Ich habe genau das im Sommer zusammen mit dem Rosa-Luxemburg-Team in New York City getan. Wir produzierten eine Reihe von Podcastsfolgen, die zurückblickten. Gemeinsam mit den Macher*innen von Belabored, Economic Update, The Dig, The Nation und Upstream haben wir untersucht, was wir von der Bewegung lernen konnten und dies auch mit dem Blick in die Zukunft.

Als wir an dem Projekt arbeiteten, war ich auch gespannt darauf, wie sich andere US-amerikanische Linke zu diesen Jahrestag äußern würden. Ich ging davon aus, dass die Analyse der Berichterstattung und die Aufarbeitung linker Narrative zu strategischen Einsichten über die Aufgaben der Linken in der kommenden Dekade führen könnte. Ich fand gut 20 Artikel und Beiträge in linken und tendentiell linken US-amerikanischen und nicht-US-amerikanischen Publikationen, die sich dem Erbe von Occupy widmeten, und unterzog ihre Schwerpunktsetzungen einer quantitativen Analyse. Hier ist ein Überblick über die Ergebnisse.

Occupy-Wall-Street-Protest in New York am 17. September 2012, dem ersten Jahrestag der Bewegung, mit einem 99-Prozent-Button. (Foto: Stan Honda/AFP/GettyImages)

Doch bevor wir in die Tiefe gehen, möchte ich mein eigenes Verhältnis zu Occupy offenlegen: ich habe nicht aktiv teilgenommen. Diese Außenperspektive schützte mich vor Voreingenommenheit und vor nostalgischen Anwandlungen. Eines der Hauptthemen, das in diesen Medienbeiträgen durchscheint, ist die Rolle, die Occupy bei der Politisierung der Menschen nach links hin gespielt hat. Ironischerweise war die Arbeit an diesem Projekt ein entscheidender Faktor für meine eigene politische Orientierung. Die Beschäftigung mit Occupy und die Vertiefung in linke Analysen trugen zum besseren Verständnis von Theorie und Geschichte der amerikanischen Linken und zur Schärfung meiner eigenen politischen Ansichten bei. Wie vielen in den Vereinigten Staaten verhalf mir Occupy zum Einstieg in die Linke, nur dass es bei mir zehn Jahre später erfolgte. Nun zu dem, was ich gefunden habe:

Was empfanden US-amerikanische Linke positiv an Occupy?

    • Die Erschließung neuer politischer Kontexte und Möglichkeiten: Occupy erschloss demzufolge Raum für die Entwicklung neuer Beziehungen und für die Bildung von stabilen Netzwerken für neue Organizer, die aus Occupy für den Aufbau anderer Bewegungen lernten. In ihrem Artikel für The Nation bezeichneten Ruth Milkman, Stephanie Luce und Penny Lewis Occupy als „Geburtshilfe für eine neue Generation progressiver politischer Aktivist*innen.“ Viele Occupy-Menschen, die von Anfang an dabei waren, sagten sinngemäß, dass Occupy die Saat war, die später in anderen Bewegungen weiterkeimte und Früchte trug. Ein Autor schreibt Occupy zu, es habe „eine Kaskade sozialer Bewegungen ausgelöst, die den Diskurs im ganzen Land verändert haben, darunter Black Lives Matter, #MeToo und den Women’s March.“  Zu den zahlreichen Belegen, die diese These stützen, gehört der maßgebliche Einfluss von Senator Bernie Sanders bei der Formulierung der„Build Back Better“ -Gesetzgebung (auch wenn diese gescheitert ist), aber auch, dass Forderungen wie die Besteuerung der Reichen, die Streichung von Studienkreditschulden oder ein Mindeststundenlohn von 15 Dollar im politischen Mainstream ankamen.
    • Eine mobilisierende Botschaft mit Resonanz: Ganz besonders die Gegenüberstellung des einen und der 99 Prozent vermittelte den US-Amerikaner*innen eine neue, klassenbasierte Sichtweise auf ihre wirtschaftlichen Sorgen, das heißt auf die Verschuldung als gemeinsame Erfahrung oder auf den gemeinsamen Kampf um die Grundversorgung. Occupy wurde das Potential zuerkannt, die tief sitzende US-amerikanische Vorstellung von individueller Verantwortung sowie individueller Rechenschaftspflicht aufzulösen und das System herauszufordern. Autor*innen und Interviewpartner*innen sahen darüber hinaus einen engen Zusammenhang zwischen der Botschaft und dem Mobilisierungspotential von Occupy: der Fähigkeit, auch solchen Menschen Mut zu machen, die noch nie demonstriert oder an kollektiven Aktionen teilgenommen haben, und ihnen ein Mittel an die Hand zu geben, sich als Teil eines Kollektivs zu fühlen und Hoffnung zu schöpfen. In der Zeitschrift Jacobin drückte es Ross Barkan so aus: „Viele Tausende von Menschen … fühlten sich durch Occupy ermutigt; es gab ihnen die Hoffnung, dass irgendjemand eines Tages der Gewaltförmigkeit des Kapitalismus mit Entscheidenheit entgegentreten würde.“
    • Eine scharfsichtige Klassenanalyse: die Gegenüberstellung von einem Prozent und 99 Prozent implizierte eine Klassenanalyse. Occupy versuchte herauszuarbeiten, dass der Kapitalismus, die ungebremste Dominanz von Unternehmen und Korruption in der Politik strukturelle Probleme sind, die gelöst werden müssen, damit die Einkommensungleichheit am Ursprung behandelt werden kann. Occupy stellte die Rolle der Klassensolidarität als Schlüssel zu Beseitigung dieser Strukturen in den Mittelpunkt. Die Konzentration auf die Klassensolidarität war ein starkes Organisationsprinzip, das half einige Blockaden zu beseitigen, die enstanden durch den Fokus auf „Identität.“ Viele waren jedoch der Meinung, dass Occupy damit übers Ziel hinausgeschossen und andere gesellschaftliche Machtdynamiken übersehen hatte, insbesondere Rassismus, Genderfragen, Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung.
    • Eine wirkmächtige Organisationsform: Viele, wenn auch nicht alle, schrieben den anhaltenden Einfluss von Occupy seiner Offenheit, Zugänglichkeit und seiner unverwechselbaren Organisationsform zu. Kommentator*innen, insbesondere die an Occupy Beteiligten, betonten das Empowerment, das sie aufgrund der präfigurativen Eigenschaften und des Ansatzes direkter Demokratie empfanden. In der Sendung Democracy Now erklärte Nelini Stamp von der Working Families Party: „Es war die Art und Weise, wie Beschlüsse gefasst wurden…, es waren die Teams, die Arbeitsgruppen. Als sie sagten: ‚Hier sind verschiedene Arbeitsgruppen, und ihr solltet mehr davon gründen‘, hatte ich sofort das Gefühl, mich einbringen und etwas bewirken zu können.“

Wie beurteilt die US-amerikanische Linke die Unzulänglichkeiten von Occupy?

    • Occupy ist gescheitert als zweite Deutung: Fast jeder Artikel oder Beitrag verweist darauf, dass Occupy als Fehlschlag und als Altlast abgehandelt wurde. In Salon meinte Amanda Marcotte, Occupy Wall Street sei: „lange Zeit als historisches Novum verstanden worden, als eine Bewegung, die schnell zu nationaler Bekanntheit aufstieg, aber fast ebenso schnell wieder unterging.“  Für einige stellte sich die Frage, ob Occupy wirklich eine Bewegung oder nicht viel eher ein „Momentum“ war, dass als Sternschnuppe am Medienhimmel sehr bald wieder verblasst. Andere deuteten das Fehlen klarer Forderungen als Schwachpunkt der Bewegung. Während viele argumentierten, gerade das Ausbleiben von Forderungen sei für Occupy ein entscheidendes Narrativ mit Symbolcharakter gewesen, behaupteten andere, eine „ nicht-reformistische Reform“ -Agenda stehe der Bewegung besser zu Gesicht und erweitere Handlungsperspektiven.
    • Das fortlaufende Ringen um Intersektionalität: Nach Meinung vieler sei die zu starke Fokussierung auf die Klassendynamik den historischen Ungleichheiten nicht gerecht geworden und deshalb auf Kosten einer nuancierteren intersektionellen Analyse erfolgt. In einem Kommentar für Truth Out schrieb Dany Sigwalt vom Power Shift Network: „Die Occupy-Bewegung verschaffte wichtigen Narrativen mehr Geltung, etwa dem Machtzuwachs von Unternehmen nach dem Citizen´s-United-Urteil, der Vermögensungleichheit und der Streichung von Studienkreditschulden. Was in unseren Debatten vor einem Jahrzehnt aber unterging, das waren die Erfahrungen vieler Schwarzer und Indigener Organizer und ihre Analysen über die Auswirkungen von White Supremacy und Kolonialismus. Dort liegt die Wurzel für die Ausbeutung des Planeten und der Menschen…. Jene spärliche Analyse führt zu einem Ansatz, der sich auf das Stopfen von Löchern beschränkt statt die systemische Unterdrückung zu bekämpfen, die marginalisierte Menschen immer weiter zurückwirft. Bewegungen [müssen] die Analyse der White Supremacy und des Kolonialismus in den Vordergrund stellen.“
    • Die Defizite der Führungslosigkeit: Micah L. Sifry stellte in The New Republic fest, dass: „die Vollversammlungen von Occupy so zeitaufwändig und so leicht zu kapern  waren, dass sich ein Großteil der wirklichen Arbeit und der Entscheidungsprozesse anderswohin verlagerten, nämlich in informelle Machtnetzwerke.“   Laut Sifry versuchte die Mitgründerin des späteren Black Lives Matter-Netzwerks Alicia Garza dieses Problem zu vermeiden. So verstand sich BLM im Gegensatz zu Occupy nicht als führungslos, sondern als führungsstark. Folgendes kritisierte sie: „Dass sich Occupy zur Führungslosigkeit bekannte, bedeutet nicht, dass es keine Führung gab. Die Führungsriege war größtenteils männlich, heterosexuell, weiß und an Eliteuniversitäten ausgebildet. Wenn wir die Dynamik aufrechterhalten, die wir mit unseren Bewegungen eigentlich aufbrechen wollen, brechen wir weder Machtverhältnisse noch sorgen wir für Wandel – wir verpassen den immergleichen Praktiken und Dysfunktionalitäten lediglich eine neue Verpackung.“

Lehren für das kommende Jahrzehnt

Nun, da über Occupy vielerlei Lob und Tadel ergangen ist, haben die sozialen Bewegungen mehr als je zuvor ganz normale Bürgerinnen und Bürger zu mobilisieren, damit es zu einem gesellschaftlichen und politischen Wandel kommen kann. Vor diesem Hintergund unterbreite ich folgende Vorschläge:

    • In den letzten zehn Jahren sind viele linke Räume neu entstanden, darunter mehrere hier genannte Medien, oder sie haben eine Wiederbelebung erfahren, ein Beispiel ist die Gruppe Democratic Socialists of America. Diese Gruppe kreierte Räume die als Foren für die Weiterverbreitung und -entwicklung linker Ideen fungiert und dabei bieten solche Foren heute noch mehr Menschen Orientierungspunkte als damals Occupy. Damit sich mehr Menschen der Linken anschließen, müssen diese Räume zuallererst aufnahmebereit und einladend sein. Da Occupy niemandem linke Bekenntnisse oder eine klare politische Linie abverlangte, diente es vielen als äußerst wirksame »Orientierung«. Die Beziehungen und Netzwerke, die sich im Laufe der Zeit entwickelt haben, aufrechtzuerhalten und an ihrer Ausweitung und ihrem Wachstum zu arbeiten, muss für die US-amerikanische Linke zur Schlüsselpriorität werden.
    • Kommentator*innen glaubten einen direkten Zusammenhang zu erkennen zwischen den neuen Narrativen, die Occupy hervorbrachte, und seinem Vermögen, damit Menschen zu mobilisieren. Doch wenn die Linke erfolgreich sein will, muss sie diesen Ansatz genauer hinterfragen. Denn die Besetzer*innen begriffen den Kapitalismus, die Dominanz der Unternehmen und die korrupte Politik als Hauptprobleme und schlugen zu deren Lösung Klassensolidarität vor. Aber da andere strukturelle Ungerechtigkeiten, die auf Kolonialismus, Rassismus, Patriarchat oder Ableismus zurückgehen, ausgespart blieben, fühlten sich viele Besetzer*innen übersehen oder überhört. Auch wenn die Klassenanalyse eine starke verbindende Kraft darstellt, kann sie nicht ohne die Berücksichtigung anderer struktureller Ungleichheiten auskommen. In der Zeit seit Occupy haben einige Kommentator*innen bemerkt, dass Bewegungsräume größer werden, wenn die Stimmen und Erfahrungen der am stärksten Marginalisierten im Mittelpunkt stehen. Dies muss Priorität bleiben.  
    • Die Herausbildung kollektiver Identitäten wird extrem erschwert dadurch das unsere Gesellschaft missdeutet wer am meisten von ihr marginalisiert wird. Dies hat auch die soziale Atomisierung hervorgerufen. Occupy sorgte für ein dringend benötigtes Gegenmittel, indem es die Aufmerksamkeit auf unser System lenkte. Zudem fühlten sich die Teilnehmer*innen in ihrem Kampf weniger allein und erkannten, dass eine andere Welt möglich ist. Statt Entscheidungsprozesse an Politiker*innen zu delegieren, begannen sie, sich selbst als Teil der Lösung zu begreifen. Jedoch darf kurzfristig angelegte kollektive Aktion kein Ersatz sein für eine langfristige Organisationsstrategie. Occupy konnte sich auf kurze Zeit hin selbst erhalten. Gleichzeitig bildeten sich wichtige Beziehungen und Netzwerke heraus, die dann zu dringend benötigten langfristigen Entwicklungen und dem Aufbau von Institutionen geführt haben.
    • In den letzten 10 Jahren legten viele Occupy-Teilnehmer*innen ihre Abneigung gegen das Streben nach politischer Macht, insbesondere im Bereich der Wahlen, ab. Damit wuchs der Wille, mehr Linke in Entscheidungspositionen  zu entsenden. Viele Kommentator*innen halten diese Verschiebung für eine begrüßenswerte Veränderung. Der Hintergrund ist die ursprüngliche Entscheidung von Occupy, überhaupt keine Forderungen zu stellen, sowie die verpasste Gelegenheit, sich konkret zur Zukunft zu äußern und einen Aktionsplan zu formulieren. Denn zum einen sind progressive Mandatsträger*innen maßgeblich daran beteiligt, politische Lösungen zu finden und umzusetzen. Zum anderen bieten die Wahlzyklen selbst immer wieder die Gelegenheit, für linke Vorstellungen zu werben und auf den gesellschaftlichen Diskurs einzuwirken.Wahlpolitik sollte aber nicht das einzige vorrangige Ziel sein und nicht auf Kosten der sozialen Mobilisierung außerhalb der Wahlzyklen gehen. Die Linke muss die US-Amerikaner*innen weiterhin zu einem gemeinsamen Vorgehen bewegen. Dadurch werden demokratische Prozesse erlernt, die den politischen Horizont erweitern.
    • Angesichts der ungebrochenen neoliberalen Kräfte, gegen die sich Occupy richtete, verdient jede Bewegung, in der sich Menschen für sozialen und politischen Wandel einsetzen, positive Anerkennung und mehr Unterstützung. Die Bemühungen einer Bewegung als kompletten Fehlschlag zu bezeichnen, wird der Sache nicht gerecht. Wie Occupy zum Ausdruck brachte, haben sich die mächtigen herrschenden Kräfte dem Erhalt des Status Quo verschrieben. Eine soziale Bewegung als Misserfolg abzutun, spielt ihnen in die Hände. Leider ist die US-amerikanische Linke der Vorstellung, dass Occupy gescheitert sei, noch viel zu sehr verhaftet. Zudem verdeckt die Behauptung, soziale Bewegungen könnten „scheitern“ , wenn sie etwas verändern wollen, die Machtverhältnisse. Dass sich Occupy nicht durchsetzen konnte, ist nicht den Teilnehmer*innen anzukreiden, sondern liegt ausschließlich an der herrschenden Klasse. An unsere Bewegungen haben wir zwar hohe Ansprüche zu stellen. Aber ihre Aufgabe besteht nicht darin, über Nacht die Gesellschaft zu verändern, sondern die Voraussetzungen dafür zu schaffen.
    • Mainstream-Medien sind aufgrund ihrer Macht in der Lage, die Wahrnehmung von Bewegungen zu beeinflussen und deren Arbeit abzuwerten. Gegen diese Narrative anzugehen, bietet linken US-amerikanischen Medien eine Chance wie ein Verantwortung. Mehr noch: im Gefolge von Occupy stellte die Rechte unter Beweis, dass sie Frustrationen in der Bevölkerung geschickt aufgreifen und an die Angste der Öffentlichkeit appellieren kann. Die US-amerikanische Rechte hat die Fähigkeit zur Konstruktion äußerst wirksamer Narrative entwickelt: sie sind griffig, unverwechselbar und motivierend. Im Gegensatz dazu fällt es Linken viel schwerer, eine differenzierte Botschaft zu vermitteln, die Durchschlagskraft besitzt und einladend ist. Die US-amerikanische Linke muss sich unbedingt dieser Herausforderung stellen und überzeugend darlegen, worin eine andere Weltordnung bestehen kann. Der Rückgriff auf die einfache und zugleich wirksame Occupy-Botschaft könnte ihr als Quelle der Inspiration und Orientierung dienen.

In den nächsten Jahren muss sich die US-amerikanische Linke auf den Aufbau von Macht konzentrieren. Dieser Aufgabe hat sie sich parallel zum Kampf gegen die finanzstarken und mächtigen Kräfte zu stellen, die sie zu unterdrücken versuchen. Auch wenn das Maß an Macht, über das die Linke in den Vereinigten Staaten verfügt, noch recht beschränkt ist, sprechen ihre Vitalität und ihre Leidenschaft dafür, dass sie Verbreitung finden kann. Da die Einkommensungleichheit deutlich zunimmt und die Klimakrise Tag für Tag spürbarer wird, lassen sich linke Ideen immer weniger als „radikal“ oder „unerreichbar“ abstempeln. Nur ein Bündnis, das sich einig ist und diszipliniert vorgeht, wird Angriffe von rechts parieren können. Denkbar und durchaus möglich ist jedenfalls, dass sich die Linke mit ihren Vorstellungen von einer lebenswerten Zukunft letztendlich durchsetzen wird.


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