Dezember 21, 2020

Bis auf weiteres bekleidet: Strippen in COVID-19-Zeiten

Berlin Strippers Collective

Für Stripper*innen wie für so viele Arbeiter*innen auch waren der Lockdown und die behördlichen Massnahmen gegen das Virus ein harter Schlag. Im Gegensatz zu anderen Arten von Sexarbeit wurde in Deutschland Strippen als Dienstleistung zwar nicht ausdrücklich verboten. Aber die Schließung von Stripclubs machte viele Stripper*innen für eine Weile arbeitslos. Zunächst gab es keine klare Aussicht auf eine Wiedereröffnung. Stripper*innen, deren Haupteinnahmequelle in der Arbeit in Clubs lag, mussten den finanziellen Absturz befürchten. In Berlin waren sie für vier Monate geschlossen.   

Viele Kolleg*innen, die in den Berliner Stripclubs arbeiten, kommen von außerhalb Deutschlands, unter anderem aus den benachbarten ost- und westeuropäischen Ländern, sowie aus Australien, Kanada und den USA. Als die Clubs schlossen, kehrten sie nach Hause zurück, da sie keine Einnahmequelle hatten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Diejenigen, die in Berlin blieben, hatten entweder andere Einkommensquellen oder wichen auf andere Jobs in  Branchen aus, die trotz der Pandemie noch florierten, etwa Lieferdienste oder Arbeit im Supermarkt. Die niedrigen Löhne in diesen Branchen waren ein bitterer Kontrast zu dem, was viele von uns sonst verdienten.

Viele von uns wagten sich an die Online-Erotikarbeit und erstellten Profile auf Plattformen, wo Fotos, Videos und andere erotische Inhalte zum Verkauf angeboten wurden. Zu Beginn des Lockdowns eröffneten wir, das Berlin Strippers Collective, eine Patreon-Seite, auf der wir Videos von Mitgliedern hochluden. Wir waren darin zu sehen beim Tanzen und beim Erledigen von niederen Arbeiten mit erotischen Touch. Außerdem stellten wir von Mitgliedern verfasste Texte über Themen wie Sexarbeit und Feminismus im kapitalistischen System auf die Plattform.  Das Kollektiv organisierte auch seine erste Online-Show, in der eine Reihe von Striptease-Nummern mit Comedy und Schauspielerei kombiniert wurde. Seitdem hat es eine Reihe anderer Online-Events veranstaltet, wie zum Beispiel Life Drawing Sessions, die online gestreamt wurden. Diese Veranstaltungen haben den Mitgliedern einige Einnahmen verschafft.

Neben dem Einkommen mit Gig- und Online-Dienstleistungen gab es für Stripper*innen wie für alle anderen in Deutschland lebenden Menschen auch die Möglichkeit, Sozialhilfe zu beantragen. Da die meisten von uns selbständig sind, hatten wir darüber hinaus Anspruch auf  Soforthilfe in Höhe von 3000 bis 5000 Euro, das die Bundesregierung allen Selbstständigen zur Verfügung stellte. Die Summe war jedoch nur zur Deckung der Geschäftskosten gedacht, nicht zur Deckung der Lebenshaltungskosten. Da viele Solokünstler*innen, darunter auch wir, wenig bis gar keine laufenden Geschäftskosten haben, war das Geld nicht sehr hilfreich. Wer es beantragt und erhalten hat, muss es an den Staat wieder zurückzahlen. In dieser Hinsicht wurden wir vom Staat während des Lockdowns nicht so gut unterstützt.

Für diejenigen von uns, die prekär arbeiten, gibt es einen Nothilfefonds. In ihn zahlen Privatpersonen und Organisationen Spenden ein. In der Regel werden diese Mittel den am meisten marginalisierten und einkommensschwachen Sexarbeiter*innen zur Verfügung gestellt. Für diejenigen aber, die über genug Geld verfügen, um einen Lockdown zu überstehen, aber dennoch mit den Ausgangs- und Reisebeschränkungen zu kämpfen haben, gibt es keine wirkliche Hilfe vom Staat oder anderen Organisationen.

Sobald Bars und Veranstaltungsorte wieder geöffnet wurden, konnten Kollektiv-Mitglieder dort wieder auftreten. Allerdings schränken die strengen Vorschriften in Berlin, mit denen der Publikumsverkehr in den Clubs geregelt wird, die Verdienstmöglichkeiten für Stripper*innen, die wieder in den Beruf zurückgekehrt sind, stark ein.

Generell gelten für Stripper*innen in Deutschland dieselben Gesetze wie für andere freiberufliche und selbständige Arbeiter*innen. Dies schließt soziale Absicherung, etwa eine Krankenversicherung, mit in. Obwohl die Krankenversicherungssätze für Solo-Selbstständige in Deutschland kürzlich gesenkt wurden, um freiberuflichen Geringverdiener*innen entgegenzukommen, sind sie immer noch recht hoch. Denn wer freiberuflich arbeitet, muss die Versicherung selbst bezahlen. Besonders in Anbetracht ihres reduzierten Einkommens als Folge der COVID-19-Schutzmaßnahmen ist es für Stripper*innen, wie für andere Kleinkünstler und kreative Freiberufler auch, recht schwer, für ihre soziale Grundabsicherung selbst aufzukommen.

Obwohl die Stripclubs seit dem Sommer wieder geöffnet sind, stellen sie für viele, die zwischen ihrer finanziellen Absicherung und ihrer Gesundheit wählen müssen, einen Risikofaktor dar. Da die Arbeit in einem Strip-Club auf körpernahen Interaktionen beruht und jede Nacht neue Besucher*innen hereinströmen, sind Stripper*innen in besonderem Maße gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. In einer Clubumgebung ist es schwierig, soziale Distanzierung und andere COVID-19-Schutzmaßnahmen immer durchzusetzen. Um das Arbeitsumfeld sicherer zu machen, müssten die Club-Infrastruktur und die Art und Weise, wie Dienstleistungen verrichtet werden, grundlegend geändert werden.

Eine Möglichkeit wäre die Einführung eines Peepshow-Konzepts. Dabei treten die Stripper*innen hinter Glasfenstern auf, während die Gäste auf der anderen Seite sitzen und jedes Mal Trinkgeld zahlen, wenn sie wollen, dass die Stripperin mehr preisgibt. In Deutschland wurden Peepshows jedoch 1982 offiziell verboten mit der Begründung, dass sie „die Würde der Frau verletzen“. Eine Rücknahme dieses Verbots wäre eine Voraussetzung für die Einrichtung eines sicheren Arbeitsumfeldes. Die Clubs könnten auf das Peepshow-Konzept umsteigen und diese Form der Unterhaltung wiederbeleben.

Generell sollten sich die Gesetze und Verordnungen rund um um die Sex- und Erotikarbeit in Deutschland weniger an moralischen Ansichten orientieren, sondern mehr an pragmatischen Überlegungen, in die die Arbeiter*innen mit einbezogen sind. Sicherere Arbeitsbedingungen wären zudem über die Pandemie hinaus ein Fortschritt.

Als Deutschland im November in den zweiten Lockdown ging, mussten Stripclubs erneut schließen. Ohne weitere staatliche Unterstützung werden Stripper*innen um ihre Existenz kämpfen müssen. Viele versuchen, sich wieder auf dem Online-Markt für erotische Dienstleistungen zurechtzufinden. Das Berliner Strippers Collective musste einige Live-Auftritte, die wir im November geplant hatten, absagen. Stattdessen nutzten wir die Zeit für die Entwicklung neuer Online-Show-Konzepte, inspiriert durch den Erfolg im ersten Lockdown.

Wir freuen uns schon darauf, wenn wir wieder live auftreten können. Geplant ist eine Frühjahrs-Kabarett-Show mit Hilfe einer lokalen Berliner Theatergruppe. Wenn es bei uns Stripper*innen im Lockdown etwas Positives gegeben hat, dann ist es die Kreativität, die wir entwickelt haben. Um ihn zu überstehen, helfen wir einander aus, finanziell wie auch künstlerisch!

Das Berlin Strippers Collective ist ein künstlerisches und politisches Kollektiv. Entstanden ist es aus Solidarität und Schwestern*schaft sowie im Umgang mit den Schwierigkeiten, die wir in der Branche erleben.

Read of the other articles in this series or download the PDF:

Fighting for Money and Dignity: Sex Work in Berlin

How Germany Failed Sex Workers

Unsichtbar: Sexarbeit und gegenseitige Hilfe während der Corona-Krise

Sex Work Through NYC’s Pandemics


Verbunden