EINLEITUNG
Dieses Update zu Reformen der Handelspolitik steht in einer Reihe von Texten, die das New Yorker Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in den zurückliegenden Jahren veröffentlicht hat. Vor sieben Jahren erstellte ich für die Stiftung einen Überblick zum zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen die Trans-Pacific Partnership (TPP), die Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) und die Trade Promotion Authority (TPA). Die Publikation „TPP & TTIP: Partners in Crime“ (im Folgenden „Partners in Crime“) fasste die Kritik verschiedener Strömungen der Fair-Trade-Bewegung zusammen, darunter Gewerkschaften, Zusammenschlüsse von Kleinbäuerinnen und –bauern*, religiös motivierte Gruppen, Umweltaktivist*innen, Verbraucherschützer*innen und auch populistisch ausgerichtete Bewegungen. Vor fünf Jahren hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung zusammen mit dem Institute for Policy Studies (IPS) und dem Canadian Centre for Policy Alternatives (CCPA) eine Publikation mit dem Titel „Beyond NAFTA 2.0: A Trade Agenda for People and Planet” (im Folgenden „Beyond NAFTA“) herausgegeben. Diese Publikation bestand aus Aufsätzen mit den Forderungen, gemeinsamen Zielen und politischen Prioritäten der Fair-Trade-Bewegung aus den verschiedenen Bereichen, dessen ökonomischen Interessen von der Globalisierung tangiert wurden.
Im Jahr 2020 veröffentlichte die Stiftung „The US-China Trade War” (im Folgenden „China Trade”), in dem die Autoren einen Vorschlag unterbreiten, „wie das Thema Handelskonflikte mit China von einer Schwachstelle in eine Stärke der Linken verwandelt werden kann“. Kurz darauf tat sie sich mit dem IPS, CCPA und dem Institute for Agriculture and Trade Policy (IATP) zusammen und schuf die Plattform GreenNewTrade.org (im Folgenden „Green New Trade“), aus der Überlegung heraus, dass viele „Regierungen Bedenken haben, klimapolitische Maßnahmen einzuführen, die mit bestehenden Handelsregeln in Konflikt geraten könnten“. Letztes Jahr, zeitgleich mit Bidens Amtsantritt, beauftragte das New Yorker Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung das IATP, seine „Hopes for New Beginnings on US Trade Policyt” (im Folgenden „Hopes“) aufzuschreiben.
In diesem Beitrag soll eine Bestandsaufnahme der Handelsagenda progressiver Kräfte erfolgen und ihre aktuelle Ausgangslage bewertet werden. Sind wir heute in einer stärkeren Position? Gibt es mit der Biden-Regierung und im 117. Kongress neuen Schwung für unsere Forderungen? Da wir Einfluss auf die politische Diskussion nehmen wollen, ist es wichtig, uns zu vergewissern, wo wir derzeit stehen. Nach einer Darstellung der Fortschritte, die seit der Ratifizierung des US Mexico Canada Agreement (USMCA) und der Wahl Bidens erzielt wurden, begibt sich dieser Aufsatz im Anschluss an die Publikation „Partners in Crime“ auf ein für die Rosa-Luxemburg-Stiftung eher ungewohntes Terrain: die realpolitische Ebene der Reformbestrebungen. Beginnen möchte ich mit der folgenden These:
Der Prozess der Reformierung der Handelspolitik ist in den USA und insbesondere in Washington D.C. ist vorerst ins Stocken geraten. Während Fürsprecher*innen von Reformen im Kongress sich mit einigem Erfolg für eine fairere Handelspolitik eingesetzt haben, ignorieren dieselben Vertreter*innen der demokratischen Partei, die den Neoliberalismus ausdrücklich kritisieren und den „Freihandel“ ablehnen, bestimmte rechtspopulistische Strömungen und Mobilisierungen, womöglich zum politischen Schaden für sie und für uns alle. Jetzt – kurz vor Ende der Legislaturperiode und den bevorstehenden Zwischenwahlen – müssen sich die demokratische Partei deutlich vom Rechtspopulismus abgrenzen, der von einem reflexhaften Protektionismus, einer Feindseligkeit gegenüber Migrant*innen und einer aggressiven Oppositionshaltung zu China geprägt ist. Kurz gesagt: sie müssen eine positive Perspektive für die Zukunft entwickeln.
FORTSCHRITTE UND ERFOLGE SEIT 2015
Zunächst werden wir uns mit den seit 2015 erzielten Erfolgen befassen. TTIP ist bereits im Ansatz gescheitert – dank unseres breiten Widerstands und der großen Solidarität mit unseren Verbündeten jenseits des Atlantiks. Obwohl Obama 2015 vom Kongress ein Handelsmandat (Trade Promotion Authority/TPA) erteilt bekam, hat das für Handelspolitik zuständige Team von Biden diese Option nicht genutzt, weil sie als extrem unpopulär gilt. Trump hatte versprochen, aus der Trans-Pacific Partnership (TPP) auszusteigen, und hat dieses Versprechen nach seiner Wahl auch prompt eingelöst. Seit der Veröffentlichung von „Partners in Crime“ und unseren Ausführungen zu den Gründen unserer Ablehnung von TTIP, TPP und TPA ist es der Freihandelslobby nicht gelungen, ihre konzernfreundliche Agenda voranzubringen.
Die parteiübergreifende Ratifizierung von NAFTA 2.0 in Form von USMCA brachte trotz aller Unzulänglichkeiten einige bedeutsame Verbesserungen. Seitdem gibt es das umstrittene Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren (ISDS) zwischen den USA und Kanada nicht mehr. Umweltschützer*innen sorgen sich zwar wegen etlicher NAFTA-Altfälle. Aber das Problem ISDS ist vom Tisch. Außerdem sind die ursprünglichen Nebenabkommen durch ein neues Kapitel zu Arbeitsrechten ersetzt worden, was einen Fortschritt gegenüber den Dreiecksbeziehungen aus den 1990er-Jahre darstellt. Der von der Gewerkschaft der Maschinenbauingenieur*inne und dem Dachverband AFL-CIO angeführte Beratungsausschuss für Arbeitsfragen des Büros des United States Trade Representative (USTRA) hat zudem versucht, einen Verweis auf die Grundsätze und Empfehlungen der International Labor Organisation (ILO) in die Vereinbarung aufnehmen zu lassen und sie so verbindlich zu machen. Auch wenn er damit gescheitert ist, enthält das USMCA, wie das US-Arbeitsministerium zurecht betont, „wirksamere und weitreichendere arbeitsrechtliche Bestimmungen als alle anderen Handelsabkommen zuvor“.
Das Handelsabkommen USMCA beinhaltet auch einen kreativen Rapid-Response-Mechanismus zur Beilegung von Arbeitsstreitigkeiten. Um diesen durchzusetzen, arbeitete das Biden-Team eng mit dem neuen Independent Mexiko Labor Board zusammen (das die Demokratische Partei während des Ratifizierungsprozesses eingesetzt haben), um die ersten Beschwerden gegen Fabriken und Betriebe einzureichen, die gegen Arbeitnehmerrechte verstoßen. Die neue Handelsbeauftragte der USA (USTR) hat weitere Maßnahmen in diese Richtung angekündigt und sich dazu verpflichtet, dieses fortschrittliche Instrument zur Durchsetzung von Arbeitsrechten zu einem integralen Bestandteil der US-Handelspolitik zu machen. Die Gewerkschaften freuen sich zudem über eine neue Klausel, die Ausführende von Transportdienstleistungen gegen hohe Schadensansprüche schützen soll, was dazu führte, dass das USMCA selbst die Unterstützung der Teamsters erfuhr. Das ist das erste Mal in der Geschichte, dass sich „Amerikas Lieferkettengewerkschaft“ für ein Handelsabkommen einsetzte.
Auch das kanadische Versorgungsmanagement[1] überstand während der Neuverhandlungen des Abkommens die permanenten Angriffe der US-Milchindustrie. Zugegeben: Der erzielte Kompromiss ist ein verbesserter Marktzugang für US-amerikanische Konzerne, und wie abzusehen war, überredete „Big Dairy“ Trumps Handelsbeauftragten dazu, die erste Petition im Rahmen des USMCA-Streitbeilegungsmechanismus gegen Kanada einzureichen. Doch glücklicherweise konnten die weitergehenden Forderungen des US Dairy Export Council abgeschmettert werden. Ein positiver Nebeneffekt dieser Verhandlungen für unsere Bewegung besteht darin, dass ein neues Bündnis von familiengeführten Farmbetrieben und in der Milchindustrie in beiden Ländern tätigen Arbeiter*innen entstanden ist, das für ein nachhaltiges staatliches Versorgungs- und Angebotsmanagement eintritt. [1] Damit ist gemeint, dass in Kanada der Staat mit Produktions- und Importkontrollen die Preise von Eier- und Geflügelprodukten reguliert (Anm. d. Ü.).
DIE SCHWERFÄLLIGKEIT DES SYSTEMS
Trotz dieser (Teil-)Siege und des damit erkämpften politischen Spielraums befürchten wir, dass das Projekt der Reform der Handelspolitik gerade an Dynamik verliert. Laut der Zeitung Politico „bestand mit dem Amtsantritt von Biden die Hoffnung, dieser werde einen dritten Weg in der Handelspolitik einschlagen: weg vom Wirtschaftsnationalismus Donald Trumps und weg von der vorausgegangenen Phase der unkontrollierten Globalisierung. […] Aber zu Beginn des Jahres 2022 war davon nicht viel übriggeblieben.“ Aus unserer Sicht gibt es mehrere miteinander zusammenhängende Gründe, warum es mit der versprochenen progressiven Handelsagenda nicht vorangeht.
Erstens sind einige unserer wichtigsten Mitstreiter*innen vom Staat bzw. von der Verwaltung abgeworben worden, einige direkt aus der Bewegung. Thea Lee zum Beispiel verließ das Economic Policy Institute und leitet nun das Bureau of International Labor (ILAB) im Arbeitsministerium. Celeste Drake war früher Expertin für Handelspolitik beim Gewerkschaftsverband AFL-CIO und ist jetzt im Weißen Haus tätig, wo sie sich um die Kampagne „Buy America“ kümmert. Andere Fürsprecher*innen kamen aus dem Kongress – so waren die heutige US-Handelsbeauftragte Katherine Tai und ihr Stellvertreter Jayme White zuvor zentrale Figuren in den Handelsausschüssen des Repräsentantenhauses bzw. des Senats. Sie haben dort für die Ausarbeitung des Rapid-Response-Mechanismus gesorgt, der dem Handelsabkommen USMCA zu seiner parteiübergreifenden Unterstützung verhalf.
Natürlich benötigen wir Verbündete im Inneren des Apparats, um die USMCA-Reformen umzusetzen und um die erkämpften Errungenschaften als Ausgangspunkt für weitere Schritte nutzen zu können. Aber aufgrund dieser Abwanderung aus der Bewegung in die Zentren der Macht ist unsere Basis eher geschwächt. Wir brauchen aber eine starke außerparlamentarische Bewegung, um die politischen Entscheidungsträger*innen unter Druck zu setzen und sie von unseren politischen Vorstellungen, wie sie in „Beyond NAFTA 2.0“ dargelegt sind, zu überzeugen.
Darüber hinaus haben sich die Gewerkschaften aus der Auseinandersetzung um eine Reform der US-Handelspolitik in jüngster Zeit etwas zurückgezogen. Die neuen Menschen an der Spitze, wie etwa Liz Shuler beim AFL-CIO oder Sean O’Brien bei den Teamsters (die vor Kurzem ihren langjährigen Experten für Handelspolitik entließen), konzentrieren sich mehr auf neue Ansätze des Organizing und hoffen, von der Energie unabhängiger, hauptsächlich von den Beschäftigten angeführten Kampagnen und Arbeitskämpfen bei Amazon oder Starbucks profitieren zu können.
Hinzu kommen Meinungsverschiedenheiten in der Bewegung. So gab es in der Citizens Trade Campaign, über die wir in „Partners in Crime“ berichtet haben, anlässlich der Frage, wie man sich zur USMCA-Ratifizierung stellt, erhebliche interne Konflikte. Bei einer der wichtigsten Abstimmungen über ein Handelsabkommen zeigten sich Gewerkschaften und Umweltgruppen gespalten. Die überparteiliche Coalition for a Prosperous America (der auch der AFL-CIO und die Teamsters angehören) hebt die Verbesserungen hervor, die mit dem USMCA im Vergleich zu NAFTA einhergehen, und unterstützte daher dessen Ratifizierung, obwohl sie Bedenken wie die, das Abkommen könne US-amerikanischen Viehzüchter*innen schaden, teilt. Derzeit arbeiten sie weiterhin an politischen Lösungen, wie Arbeitnehmer*innen in den USA vor unlauterem Wettbewerb, darunter Währungsschieflagen, geschützt werden können. Dies ist schon seit Längerem ein Schwerpunkt der Mitarbeiter*innen des progressiven Economic Policy Institute.
Abgesehen von einigen Ausnahmen (siehe unten) wird es in der verbleibenden Legislaturperiode kaum mehr Möglichkeiten geben, das Thema Handelspolitik im Kongress anzugehen. Biden und die Führung der Demokratischen Partei haben auf ein Handelsmandat verzichtet. Daher wird es auch keine größeren handelspolitischen Reformvorhaben geben, um die herum wir unsere Basisbewgungsbündnisse mobilisieren könnten. Wenn die Einschätzung von Politico zutrifft, wonach „Biden vor der einmaligen historischen Chance steht, das Freihandelsparadigma zu ändern“, dann müssen wir uns fragen: Was können wir tun, um unseren Verbündeten auf die Sprünge zu helfen, damit sie diese historische Chance nicht ungenutzt lassen? Was können wir tun, um ein progressives Paradigma zu befördern und eine vor allem den Großkonzernen zugutekommende Globalisierung hinter uns zu lassen – so wie es in der Schlussfolgerung von „Beyond NAFTA 2.0“ beschrieben wurde?
Die Antwort auf diese Fragen finden wir nicht in Washington. Was wir brauchen, ist eine ausgewogene Strategie, die sowohl unseren politischen Grundsätzen und Überzeugungen gerecht wird als auch berücksichtigt, vor welche praktischen Herausforderungen uns die bevorstehenden Zwischenwahlen stellen.
HANDELSREALPOLITIK
In den Mittelpunkt rückt dann nämlich die Kommunikations- bzw. Wahlkampfstrategie der Demokratischen Partei, mit der sie versuchen wird, ihre Mehrheit im Kongress zu halten. Die Demokratische Partei wird versuchen, Frauen mit dem Thema Abtreibung für sich zu gewinnen. Sie werden versuchen, junge Wähler*innen zu adressieren, die sich Sorgen um das Klima machen. Schwarzen Wähler*innen wird die Partei versprechen, sich für eine Reform des Polizeiapparats einzusetzen. Und die Aufforderung an die organisierten Arbeitnehmer*innen wird sein: Wählt im Einklang mit den Forderungen eurer Gewerkschaften und nicht danach, wer euch ein lockeres Waffenrecht verspricht. Angesichts der Obstruktionspolitik der Republikaner*innen erscheinen solche leicht durchschaubaren Botschaften als nachvollziehbar, aber sie werden wohl nicht ausreichen, um am 8. November zu gewinnen. Vielmehr wird der Sieg vor allem davon abhängen, wie sich die Gruppe der weißen, männlichen Arbeiter über 50 und ohne Collegeabschluss entscheidet, eine Gruppe, die derzeit von den republikanischen Kandidat*innen gezielt mit einer Antiglobalisierungsrhetorik umworben wird – einer Rhetorik, die anders als unsere Kritik die Macht der Konzerne ausklammert und keinen Begriff von Solidarität im Klassenkampf kennt.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Das, was wir im Folgenden an handelspolitischen Forderungen bzw. Schwerpunkten formulieren, ist unter dem Gesichtspunkt der bevorstehenden Wahlen zu betrachten. Alle Themen und Inhalte, die wir in früheren Analysen hervorgehoben haben, insbesondere in der Publikation „Jenseits von NAFTA 2.0“, sind zweifelsohne nach wie vor wichtig. Aber nur einige wenige Themen können derzeit parteiübergreifend politische Anziehungskraft entfalten. Ihnen müssen wir uns gezielt widmen, da es nur mit ihnen gelingen kann, der Republikanische Partei die Stimmen der Arbeiter*innen abzujagen. In Bezug auf die Handelspolitik halten wir die folgenden drei Themen 2022 für entscheidend:
AUFTRAGSVERGABE UND BESCHAFFUNG: “BUY/HIRE AMERICAN”
Dieses Thema spricht Wähler*innen unabhängig von ihren parteipolitischen Präferenzen an, darunter auch den Teil der Arbeiterschaft, den die Demokratische Partei in den umkämpften Zwischenwahlen im November für sich gewinnen muss. Der Industriearbeiterschaft und ihrer Gewerkschaftsführung ist bewusst, dass die konzernfreundliche Globalisierung einer der Hauptgründe für das zunehmende Outsourcing und die Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland ist. Von daher ist „Made in America“ ein scharfes rhetorisches Schwert in unserem progressiven „Instrumentenkoffer“. Die Kandidat*innen der Demokratischen Partei sollten dieses Schwert auspacken.
Zu diesem Zweck könnten sie zunächst auf die Executive Order verweisen, mit der Präsident Biden den behörden- und ministerienübergreifenden Made in America Council geschaffen hat. Anstatt überzogene Forderungen zu stellen wie die, die USA solle sich aus dem multilateralen Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (GBA) der Welthandelsorganisation zurückziehen, könnten zum Vorteil progressiver Kandidat*innen andere konstruktive Ansätze verfolgt werden. Ein Beispiel: Vertreter*innen der Demokratischen Partei könnten den Beginn des neuen Schuljahrs im Herbst zum Anlass nehmen, um sich auf das Thema Schulessen und die dahinterstehenden Lieferketten zu konzentrieren. Das bietet Anknüpfungspunkte zu dem neu entstandenen breiten Bündnis aus kleinen Farmbetrieben und arbeitenden Familien, das sich mit regionalen Netzwerken zur Förderung von gutem und gesundem Essen zusammengeschlossen hat und in allen bei den bevorstehenden Wahlen auf der Kippe stehenden Staaten (sogenannten swing states) bzw. in ihren Schulbezirken eine Umstellung auf eine direkte Belieferung der Schulkantinen durch lokale Landwirte verlangt. Das ist ein anschlussfähiges Thema, mit dem man auf lokaler Ebene viele Stimmen gewinnen kann.
Eine Aufgabe für das Bundeslandwirtschaftsministerium bestünde darin, diesen populären Ansatz noch weiter zu stärken, indem es die gegenwärtigen Bestimmungen zur kindlichen Ernährung so überarbeitet, dass sie der Vorgabe „Buy America“ entsprechen. Dies haben die drei größten im Sektor Lebensmittelverarbeitung aktiven Gewerkschaften vor Kurzem in einem Brief an US-Landwirtschaftsminister Thomas Vilsack gefordert. Im Kongress sollten sich die Demokraten zudem für die Verabschiedung des American Food for American Schools Act starkmachen, der vorsieht, kostenbezogene Hinderungsgründe für eine „Buy-America-Politik“ im Schulwesen abzuschaffen. Ein weiterer Schritt in die richtige Richtung wäre, die Forderung nach einer verpflichtenden Herkunftskennzeichnung in der Fleischindustrie zu unterstützen, zum Beispiel mithilfe des American Beef Labeling Act. Bei ihrem Wahlkampf könnten die demokratischen Kandidat*innen punkten, indem sie sich für diese und andere in der Publikation “Hopes“ genannten Änderungen im öffentlichen Auftrags- und Beschaffungssystem einsetzen. Gerade in den ländlichen Gebieten und unter denjenigen Familien und Arbeiter*innen, die von der Viehzucht und Landwirtschaft leben würden sie auf diese Weise Unterstützung gewinnen.
EINWANDERUNG UND BEKÄMPFUNG IHRER HAUPTURSACHEN
Einwanderung wird auch im Wahlkampf 2022 ein polarisierendes Thema bleiben. Die Kandidat*innen der Republikanischen Partei werden mehrheitlich versuchen, weiße Nationalisten mit Angstmacherei und entsetzlichen “Bevölkerungsaustausch-Theorien“ in die Wahllokale zu locken. Dagegen hat die Demokratische Partei stimmige Lösungen für die meisten nicht mit Handel zusammenhängenden Aspekte von Migration angeboten, darunter eine Amnestie für irregulär eingewanderte Familien. Das spricht die progressiven Teile der Wählerschaft an, insbesondere die hispanische Community, die die Grand Old Party (GOP) vor Kurzem zu ihrem Angriffsziel gemacht hat. Und doch beinhaltet keine der “fünf Säulen” der Strategie der Biden-Regierung zur Bekämpfung der Hauptursachen der Migration in Zentralamerika den Vorschlag, das Handelsabkommen mit dieser Region (Dominican Republic-Central America Free Trade Agreement/CAFTA-DR) an die neuen Standards des USMCA in Bezug auf Arbeitnehmer*innenrechte und Streitbeilegung anzupassen. Zeitgleich zum Verfassen dieses Textes fand in Los Angeles der Ninth Summit of the Americas statt, auf dem vermutlich am Rande über ein verbessertes Handelsabkommen mit Zentralamerika gesprochen wurde.
In der Zwischenzeit hat sich die Handelsbeauftrage der USA, als Teil eines größeren „ganzheitlichen“ behördenübergreifendes Ansatzes und unter Berücksichtigung der Interessen der verschiedenen Interessengruppen, an das Advisory Committee on Trade Policy and Negotiations (ACTPN) ihres Büros gewandt, dem Vertreter*innen der Gewerkschaften und der Arbeitgeber*innen in der Textil- und Bekleidungsindustrie angehören. Das ACTPN hat einen Bericht erstellt und dort Vorschläge entwickelt, wie mit abgestimmten handelspolitischen Initiativen die Hauptursachen der Migration angegangen werden könnten.
Die ACTPN-Mitglieder empfehlen eine selektive Neuverhandlung des CAFTA-DR, insbesondere eine Überarbeitung von Kapitel 16 (Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht) und Kapitel 20 (Beilegung von Streitigkeiten), die sich an den USMCA-Standards orientieren soll. Diese sollten als Unter- und nicht als Obergrenze dienen […] Der Gewerkschaftsvertreter im ACTPN weist darauf hin, dass die derzeit gültige yarn-forward-rule die Inlandsproduktion von Garnen und Textilien in den USA fördert […] Er stimmt der Auffassung hiesiger Bekleidungsproduzenten zu, dass mit veränderten Ursprungsregeln die Hauptursache für Migration adressiert werden könnte. Die Gewerkschaften mahnen jedoch an, die von den Unternehmen geforderte Flexibilität der Ursprungsregeln erst dann im aktualisierten Abkommen zu kodifizieren, nachdem die Bestimmungen zum Arbeitsrecht und zur Streitbeilegung an die Standards des USMCA angepasst worden sind.
Die Unternehmen in der Bekleidungs- und Schuhindustrie streben die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften an, um die Lieferketten in diese Hemisphäre zu verkürzen. Sie werden sich für die Aufnahme besserer Arbeitsschutzregeln in ein neues regionales Handelsabkommen (Central American Free Trade Agreement/CAFTA 2.0) einsetzen, sollten sich die Gewerkschaften im Gegenzug bereiterklären, einer Flexibilisierung der Ursprungsregeln zuzustimmen, um damit zum Beispiel Anreize für eine Rückverlagerung der Produktion aus China zu schaffen. Diesen Ansatz sollte Demokratische Partei aufgreifen, weil er progressiv ist und Arbeiterhaushalte und Familien aus allen Bevölkerungsschichten anspricht. Er bringt uns außerdem zu dem dritten und letzten wichtigen Globalisierungsthema, das progressive Kandidat*innen im Wahlkampf 2022 neu besetzen müssen.
EIN PROGRESSIVER PROTEKTIONISMUS GEGENÜBER CHINA
Im Moment ist das wichtigste handelspolitische Thema unser Verhältnis zu China. Es sieht gerade so aus, als bewegten sich die Initiativen im Kongress in Bezug auf die verschiedenen Gesetzentwürfe zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der USA gegenüber China auf einen Kompromiss zu. In der Biden-Regierung und zwischen den Ministerien gibt es jedoch Unstimmigkeiten, ob die unter Trump angehobenen Zölle auf chinesische Importe wieder gesenkt werden sollen. Im Wahlkampf werden vermutlich Kandidat*innen aller Parteien den Wähler*innen eine „harte Haltung gegenüber China“ versprechen.
Eine Umfrage von CPA zu Jahresbeginn ergab: 64 Prozent der weißen Wähler*innen ohne Collegeabschluss zwischen 45 und 64 Jahren würden eher “für einen Kandidaten, der sich auf ein Bundesamt bewirbt, stimmen“, wenn sich dieser dafür ausspricht, „dass die Regierung in Fällen, in denen China zu einer Bedrohung eines Teils der Industrie und Beschäftigten in den USA zu werden droht, Strafzölle gegen China verhängt“. Neuere Umfragen zeigen, dass “eine Mehrheit der Demokratischen Partei nicht länger für eine Senkung der Zölle für chinesische Waren besteht, um den Preisanstieg zu bekämpfen.“ Die öffentliche Meinung bedeutet für progressive Kandidat*innen ein politisches Dilemma. Zum einen bleibt ihnen kaum etwas anderes übrig, als sich für protektionistische Maßnahmen auszusprechen, wenn sie ältere weiße Wähler*innen nicht abschrecken wollen. Zum anderen müssen sie unterscheiden zwischen einer progressiven internationalistischen Alternative, wie sie in “China Trade” umrissen ist, und einer reinen Handelsagenda, wie sie von den konzernfreundlichen Republikaner*innen vertreten wird. Die Botschaft der Demokratischen Partei muss zugleich progressiv und protektionistisch ausgerichtet sein, insbesondere in den Bundesstaaten, die seit Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation die meisten industriellen Arbeitsplätze verloren haben.
Die demokratischen Amtsinhaber*innen müssen die “Würde der Arbeit(er*innen)” als einen progressiven Wert hochhalten. In diesem Zusammenhang sollten sie die Wähler*innen vielleicht daran erinnern, dass sie es waren, die den Uyghur Forced Labor Prevention Act verabschiedet haben. Seit dem 21. Juni gilt nun die Vermutung (die es von der Gegenseite zu widerlegen gilt), dass Waren aus der Region Xinjiang mithilfe von Zwangsarbeit hergestellt werden und daher „nicht in die USA eingeführt werden dürfen“.Dieses Datum ist ein guter Aufhänger für die Demokratische Partei und ihre Verbündeten im Gewerkschaftslager, um deutlich zu machen, dass der Kampf für Arbeitsrechte, der der internationalen Solidarität der Beschäftigten bedarf, etwas grundsätzlich anderes ist als die reflexhafte Fremdenfeindlichkeit der rechten „America-First-Bewegung“.
Tim Ryan, derzeit Abgeordneter im Repräsentantenhaus und Kandidat der Demokratischen Partei für die Nachfolge des aus dem Amt scheidenden Senators Rob Portman aus Ohio, hat in seiner jüngsten Wahlwerbung vorgemacht, wie dies vielleicht möglich ist. Er twitterte: „China stellt uns links und rechts bei der Warenproduktion in den Schatten. Von daher ist an der Zeit, sich zu wehren.“ Die subtile politische Botschaft bzw. Doppeldeutigkeit von „links und rechts“ hilft beim Framing des für beide Parteien und ihre Anhänger*innen extrem wichtigen Handelskonflikts mit China und nimmt auch die Herausforderung an, die von der „populistischen“ Rhetorik der Trumpschen Rechten ausgeht. Mit dieser Positionierung stellt man sich auch auf die Seite der Gewerkschaftsbewegung, die vornehmlich an den Interessen der Arbeitnehmer*innen ausgerichtet ist. All dies macht deutlich, dass es so etwas wie einen progressiven Protektionismus geben kann, der populistisch ist bzw. viele Menschen anspricht, solange er von Klassenbewusstsein und nicht von Nationalismus geprägt ist.
EINE BREIT GETRAGENE HANDELSREALPOLITIK
Während die beiden Parteien um ihre Haltung zum Handelskonflikt mit China ringen, um Wähler*innen aus der Arbeiterklasse für sich zu gewinnen, die immer wieder mit Isulationismusargumenten über zu billige chinesische Importe und die Abwanderung von Jobs aus den USA gefüttert werden, können wir einen Schritt zurücktreten und fragen: Welcher Populismus wird sich am Ende durchsetzen?
Wenn es zutrifft, dass der progressive Antiglobalismus nach einem zwischenzeitlichen deutlichen Aufschwung ins Stocken geraten ist, dann besteht die unmittelbare Herausforderung der außerparlamentarischen und außerinstitutionellen Linken darin, das Feld nicht den sogenannten Rechtspopulisten zu überlassen, die wir in „Beyond NAFTA 2.0“ zutreffend als „fremdenfeindliche und Isolationsmus geprägten politische Bewegungen“ beschrieben haben, „die die Rückkehr zu einer verklärten wirtschaftlichen Blütezeit versprechen“.
Da es sich bei handelspolitischen Reformen um ein Parteigrenzen überschreitendes Konfliktthema handelt, nahmen wir in einem mit „Populisten“ überschriebenen Kapitel in „Partners in Crime“ auch Konservative unter die Lupe, die sich dem „Freihandel“ widersetzen: von Pat Buchanan über Phyllis Schafly bis hin zu Ross Perot und den Tea-Party-Aktivist*innen, die unsere seltsamen Bettgenossen im Kampf gegen die TPP waren. Damals haben wir uns noch zustimmend auf Naomi Klein berufen: „Wahre populistische Bewegungen kommen immer von links und von rechts.“ Doch das war damals.
Heute stehen wir an einem Abgrund, an einem Scheideweg. Heute müssen sich progressive Kandidat*innen der Demokratischen Partei so wie wir und unsere Verbündeten überall auf der Welt gegen die neoliberale Agenda der Wirtschaftseliten aussprechen, weil diese die Interessen und Bedürfnisse der arbeitenden Familien dem Gewinnstreben des transnationalen Kapitalismus unterordnen. Für die Verter*innen der Demokraten und die AFL-CIO stellen die bevorstehenden Zwischenwahlen eine Chance dar, noch unentschiedene Weiße Menschen aus der Arbeiterklasse als Wähler*innen anzusprechen, die sonst Gefahr laufen, von der nativistischen Rhetorik des rechten GOP-Flügels verführt zu werden. Zudem gilt es, die Arbeiterfamilien an der Basis zu mobilisieren, damit sie für ihre Klasseninteressen in der globalisierten Welt? stimmen.
CODA: „DISPATCH“ FÜR PROGRESSIVE DEMOKRATEN
„Dispatch“ ist der letzte Punkt in jedem guten strategischen Plan, an dem man sich auf gemeinsame taktische Zwischenschritte einigt, die notwendigerweise zu gehen sind, um weiterreichende Ziele zu erreichen. Die Strategie, die wir auf der Grundlage der vorangegangenen Analyse vorschlagen, ist eine doppelte: Erstens geht es auf einer übergeordneten Ebene darum, dass die Progressiven in der rhetorischen Auseinandersetzung gewinnen, indem sie das Narrativ globalisieren, an das uns Thomas Frank erinnert: „Die wahre Geschichte des Populismus ist eine Geschichte der Aufklärung und der Befreiung; es ist die eigentliche Geschichte der US-amerikanischen Demokratie.“ Und zweitens geht es um Praktische: Die Arbeiter*innen- und Gewerkschaftsbewegung sowie die Fair-Trade-Bewegung und ihre Verbündeten müssen überall Freiwillige und Wähler*innen mobilisieren, damit sich am Ende die Kandidat*innen durchsetzen, die für einen fairen Handel einstehen.
Das Democratic National Committee und der AFL-CIO sind sich im Klaren darüber, dass nur elf der 32 am stärksten gefährdeten Amtsinhaber*innen im Repräsentantenhaus aus Landkreisen in Bundesstaaten stammen, die auch im Senat umkämpft sind – wo die Umfragen ein „Unentschieden“ vorhersagen und der Sieg von strategischen Wahlansprachen und „Get-out-the-vote-Kampagnen“ abhängen wird. Diese Landkreise sind AZ-02 (Flagstaff), (AZ-04) Phoenix, GA-02 (Columbus), (NH-01) Manchester, NV-01/03/04 (alle Las Vegas), OH-09 (Toledo), PA-06 (Vororte von Philadelphia), PA-07 (Allentown) und PA-08 (Scranton).
Das sind also die Orte und Communities, in denen von den Gewerkschaften angeführte progressive Bündnisse und Bewegungen, wie wir sie in „Partners in Crime“ beschrieben haben, die zu Beginn des Aufsatzes formulierte These bestätigen können, aber nur wenn diese Bündnisse tatsächlich eine breite Basis haben. Die Wahlkampfveranstaltungen und -botschaften sollten einfach gehalten sein. Vielleicht sollten Wechselwähler*innen noch stärker angesprochen werden, insbesondere denjenigen aus der Arbeiterschaft, auf die es auch die andere Seite abgesehen hat, bevor im Herbst die Menschen per Brief ihre Stimme abgeben. Mit einer guten Strategie und mit einer von Freiwilligen getragenen Umsetzung wird es uns gelingen, dass am 8. November mehrheitlich Kandidat*innen gewinnen werden, die für eine faire Handelspolitik stehen, sodass diese im 118. Kongress und darüber hinaus wieder neuen Schwung erhält.
Sollten diese Bemühungen erfolgreich sein, so werden wir damit die Geschichte der Zwischenwahlen schreiben.