Januar 19, 2021

Wie ein Green New Deal gestaltet und finanziert werden kann

Fadhel Kaboub

Einblicke in die moderne Geldtheorie für die Biden-Regierung

Dieser Beitrag ist Teil unserer Artikelreihe: „Am Rande des Abgrunds: eine progressive Agenda für die Biden-Ära

Die von der Pandemie ausgelöste Wirtschaftskrise hat in den USA bereits eine Vielzahl schwerwiegender Defizite zutage gefördert: Diese zeigen sich im Gesundheitswesen, bei der Breitbandinfrastruktur, bei der Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum, aber auch im dysfunktionalen System der Arbeitslosenversicherung, bei der übermäßigen Verschuldung der Bevölkerung (durch Studienkredite, Kreditkartenüberziehungen und Verschuldung infolge von Erkrankung), in den fragilen Lieferkettensystemen und im extrem lückenhaften Netz sozialer Sicherheit. Von daher sollte sich die Regierung im Moment vor allem auf die Unterstützung derjenigen Menschen konzentrieren, die aufgrund der Pandemie arbeitslos geworden sind, die nicht länger ihre Miete, ihre Hypothek oder ihre Rechnungen bezahlen können, beim Essen sparen müssen oder sich in vielen Fällen keine Gesundheitsversorgung mehr leisten können, nachdem sie ihre vom Arbeitgeber bereitgestellte Krankenversicherung verloren haben.

Die gute Nachricht ist: Das politische Establishment scheint endlich verstanden zu haben, dass mehr staatliche Hilfen notwendig sind. Man hat erkannt: Es werden zusätzliche Anstrengungen zum Corona Aid, Relief and Economic Security Act (CARES Act), einem im März 2020 verabschiedeten Hilfspaket in Höhe von 2,2 Billionen US-Dollar, und dem jüngsten Rettungsprogramm vom Dezember 2020 (in Höhe von 900 Milliarden US-Dollar) gebraucht. Höchstwahrscheinlich wird die Biden-Regierung mehr unternehmen, um die wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen der Corona-Krise abzufedern, während sie gleichzeitig vor der Herkulesaufgabe steht, 100 Millionen COVID-19-Impfstoffdosen in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit unter die Menschen zu bringen.

Aber bei all dem handelt es sich nur um begrenzte und vorübergehende Entlastungen, die die Wirtschaft davor bewahren sollen, in eine tiefe Depression abzurutschen. Diese Maßnahmen sind kein Ersatz für strukturelle Ansätze, mit denen wir die sozioökonomischen und ökologischen Probleme, unter denen wir leiden, in den Griff bekommen könnten. Dafür müssen wir schon nach anderen Lösungen suchen.

Die PayGo-Regel aufgeben

Es gibt Signale aus der Biden-Regierung, wonach sie sich für beträchtliche Investitionen in die Infrastruktur sowie in erneuerbare Energien und sogar für einen gewissen Schuldenerlass für Studierende einsetzen wird, zusätzlich zur Wiederherstellung strengerer Umweltvorschriften und finanzieller Regulierungen. Vermutlich wird sich ihre Haltung in Bezug auf eine langfristige Staatsverschuldung jedoch nicht radikal von der der Obama-Regierung unterscheiden. Obwohl die Demokratische Partei eine einfache Mehrheit im Repräsentantenhaus und im Senat errungen hat, sind viele der demokratischen Abgeordneten und Senator*innen im Kongress in fiskalischen Fragen äußerst konservativ. Beispiele hierfür sind die sogenannte Blue Dog Coalition und die New Democrat Coalition, die grundsätzlich für eine strenge Haushaltsdisziplin eintreten.

Eine der wichtigsten, selbst auferlegten fiskalischen Einschränkungen der Demokratischen Partei in den zurückliegenden Jahren ist die sogenannte PayGo- (oder Pay-as-you-go-)Regel. Sie verlangt, dass jede neue Ausgabe entweder durch neue Steuern oder durch Kürzungen an anderer Stelle im Haushalt ausgeglichen werden muss. Zufälligerweise ist dies genau eine der wichtigsten politischen Forderungen der republikanischen Mitglieder der Tea-Party-Bewegung (Tea wie in „taxed enough already!“). PayGo stellt das größte Hindernis für die Umsetzung einer progressiven politischen Agenda in den Vereinigten Staaten dar. Erfreulicherweise hat der 117. Kongress in diesem Jahr diesbezüglich Ausnahmen beschlossen: Pandemiebezogene Hilfen für die Wirtschaft und das Gesundheitswesen sowie Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels sind von den PayGo-Regeln ausgenommen. Dies ist eine leichte Verbesserung. Aber sie reicht nicht aus, da andere staatliche Sozial- und Unterstützungsleistungen weiterhin diesen Restriktionen unterliegen, wenn nicht gar noch stärkerem Druck ausgesetzt sein werden.

Von daher ist davon auszugehen, dass die wirtschaftliche Erholung nach dem Ende der gegenwärtigen Pandemie genauso langsam und schmerzhaft vonstattengehen wird wie damals 2008 bei der Finanzkrise. Es sei denn, es gelingt uns, die wirtschaftlichen und sozialen Rettungspakte um einen umfassenden Plan für eine sozialökologische und ökomische Transformation wie den Green New Deal zu ergänzen.

Leider wird ein Green New Deal sowohl von der Republikanischen Partei als auch von den sogenannten gemäßigten Mitgliedern der Demokratischen Partei vehement bekämpft. Es heißt, er sei unrealistisch, zu ambitioniert, zu teuer und würde inflationär wirken. Vertreter*innen des ökonomischen Mainstream-Denkens werden dem mehrheitlich zustimmen. Sie warnen, eine steigende Staatsverschuldung führe direkt zu einer Erhöhung der Inflation und Zinsen sowie zu sinkenden privaten Investitionen (Verdrängungseffekt), zudem drohten der Staatsbankrott, eine Währungsabwertung, eine Schuldenkrise oder zumindest dauerhaft finanzielle Instabilität. Kurzum: Sie malen die Gefahr eines allgemeinen Zusammenbruchs der Wirtschaft an die Wand.

Fiskalpolitische Restriktionen, die in die falsche Richtung weisen

Schaut man sich dagegen die empirische Realität der Staatsverschuldung im letzten Jahrzehnt an, dann zeigt sich: Die Mainstream-Ökonomen haben im Wesentlichen unrecht. Japan zum Beispiel steckt mit seiner Schuldenstandsquote von mehr als 260 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (einer der höchsten Länderquoten weltweit) in einem deflationären Teufelskreis fest, hat negative Zinssätze und ist ziemlich weit von einem Staatsbankrott oder der Zahlungsunfähigkeit entfernt, obwohl das Land von den großen Ratingagenturen mehrfach herabgestuft wurde.

Die Fed, die Zentralbank der USA, hat tatsächlich zugegeben, sie verfüge über keine verlässliche Inflationstheorie. Das heißt: Die Fed weiß nicht, was Inflation verursacht, während sich die Mainstream-Ökonomen trotzdem irgendwie alle einig sind, dass ein Green New Deal die Inflation hochtreibt!. Vergessen wir dabei nicht, dass die Fed und alle anderen großen Zentralbanken seit mehr als einem Jahrzehnt (und Japan seit drei Jahrzehnten) eine Inflationsrate von zwei Prozent anstreben und jeden Trick aus dem Lehrbuch angewandt haben, um dem deflationären Druck zu entkommen – ohne jeden Erfolg. Große Haushaltsdefizite und eine steigende Staatsverschuldung ziehen nicht notwendigerweise eine Inflation oder negative Zinsen nach sich. Mit anderen Worten: Die vorherrschenden ökonomischen Ansätze sind theoretisch mangelhaft, empirisch betrachtet inkohärent, ideologisch nur an Austeritätskonzepten ausgerichtet und damit voreingenommen sowie in moralischer und ökologischer Hinsicht gefährlich.

Ist unser Anliegen eines strukturellen Wandels deswegen zum Scheitern verurteilt? Nun, nur dann, wenn wir weiterhin auf die Mainstream-Ökonomen hören, die praktisch bei allem, was wirklich wichtig ist, falsch gelegen haben: beim Thema Klimakrise, wirtschaftliche Ungleichheit, Finanzkrise, Austerität, Arbeitslosigkeit, Inflation, Verschuldung des privaten Sektors, Wohlstandsgefälle zwischen verschiedenen ethnischen Bevölkerungsgruppen und bei vielem mehr. Aber es gibt die Aussicht auf einen Paradigmenwechsel in der Theorie als auch in der Politik. Wir können uns der Aufgaben eines Green New Deal annehmen und aufhören, uns mit all diesen fadenscheinigen ökonomischen Argumenten und Ausreden herumzuschlagen, wenn wir der „Modernen Geldtheorie“ (Modern Monetary Theory/MMT) folgen.

Die Dringlichkeit eines Green New Deal

Die Absicht hinter der 2019 veröffentlichten Green-New-Deal-Resolution ist, sowohl die Klimakrise als auch die unglaublichen Zustände in Bezug auf sozioökonomische Ungleichheit und Benachteiligung in den Vereinigten Staaten anzugehen. Diese Krisen können nicht in kleinen Schritten überwunden werden, sondern erfordern radikale und intersektionale Lösungen, die an den multidimensionalen Wurzeln der bestehenden Probleme – ökologische Degradation, Arbeitslosigkeit, Armut, Ungleichheit, Rassismus und sozioökonomische Ausbeutung – ansetzen. Um es mit den Worten von Dr. Martin Luther King Jr. aus seiner berühmten Rede beim „March on Washington for Jobs and Freedom‟ aus dem Jahr 1963 zu sagen: „Wir haben keine Zeit für die Beruhigungsdroge gradueller und kleiner Schritte.‟ King bezog sich natürlich auf die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung. Aber in unserem heutigen Kontext geht es nicht nur um die existenzielle Bedrohung der Klimakrise, sondern auch um rassistische Diskriminierungen und soziale wie wirtschaftliche Ungerechtigkeiten, die bis heute vor allem strukturell bedingt sind. Alles, was uns von radikalen, das heißt an die Wurzel gehenden Lösungen abhält, läuft auf eine Vernebelungspolitik hinaus, die nur den Status quo stützt.

Der Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der Vereinten Nationen gibt uns noch etwa zehn Jahre Zeit, um zu handeln (nicht um zu denken, zu planen oder zu debattieren). Es geht darum, alle unsere Ressourcen zu mobilisieren, um die globale Wirtschaft schnell zu entkarbonisieren und um die globale Erwärmung bis zum Ende dieses Jahrhunderts unter der 2-Grad-Grenze über dem vorindustriellen Niveau zu halten. Idealerweise wären es 1,5 Grad. Aber es ist bereits absehbar, dass wir bis zur Mitte dieses Jahrhunderts diese Grenze überschritten haben werden. Der IPCC-Bericht fordert eine rasche Mobilisierung und „Beschleunigung eines weitreichenden, mehrstufigen und sektorübergreifenden Klimaschutzes […] sowohl durch inkrementelle als auch durch transformatorische Anpassung‟. Das ist es, was Martin Luther King Jr. mit der „unerbittlichen Dringlichkeit des Hier und Jetzt‟ gemeint hat. Das ist es, was ein Green New Deal in den USA und als Teil eines globalen Green-New-Deal-Projekts weltweit dringend erreichen müsste.

Wie müsste ein Green New Deal ausgestaltet sein?

Der Green New Deal ist inspiriert vom berühmten New Deal der 1930er Jahre. Dabei handelte es sich um ein umfassendes Wirtschaftsförderungsprogramm, das von der Bundesregierung aufgelegt, finanziert und dann lokal umgesetzt wurde. Der heutige Green New Deal beinhaltet ähnlich wie in den 1930er Jahren ein Arbeitsplatzversprechen („Job Guarantee‟), das allen, die bereit, willens und in der Lage sind zu arbeiten, eine Beschäftigung mit existenzsicherndem Lohn und einem umfassenden sozialen Leistungspaket garantiert.

Ein Green New Deal muss in wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Hinsicht regenerativ sein. Darüber hinaus muss er möglichst viele Bereiche abdecken und auf Dauer so angelegt sein, dass die existierenden sozioökonomischen Probleme nachhaltig gelöst werden können und nicht nach Ablauf des Programms sofort wieder auftauchen. Auch aus diesem Grund ist der Aspekt der „Job Guarantee‟ so wichtig. Das Arbeitsplatzprogramm fungiert als permanenter Puffer, als Ausgleich wirtschaftlicher Schwankungen, die üblicherweise die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft treffen, wie ehemalige Langzeitarbeitslose.  Diese sind in der Regel die Ersten, die während einer Rezession entlassen werden, und die Letzten, die während eines Aufschwungs eingestellt werden. Die Arbeitgeber in der Privatwirtschaft betrachten Langzeitarbeitslose oftmals als „arbeitsscheu‟ oder „arbeitsunfähig‟. Sie sind tendenziell die Schwächsten in der Gesellschaft: Frauen, ethnische Minderheiten, ehemals inhaftierte Personen, Menschen mit Behinderungen und solche mit begrenzter Arbeitserfahrung und Benachteiligungen, was den Bildungshintergrund und die Berufsausbildung angeht.

Das Job-Guarantee-Programm bietet für alle die Option auf einen öffentlich geförderten Arbeitsplatz. Es nimmt die Menschen so, wie sie sind, und holt sie dort ab, wo sie sich gerade aufhalten. Sie kommen in den Genuss einer bezahlten Ausbildung und Arbeit in Betrieben und Behörden. Dabei wird ein existenzsichernder Lohn gezahlt. Hinzu kommen großzügige soziale und anderweitige Leistungen, etwa die Unterstützung bei der Wohnungssuche und beim Erhalt der psychischen Gesundheit, Rechtsberatung, Training in Soft Skills, Familien- und Berufsberatung, Genesungs- und Rehabilitationsangebote. Es geht also nicht darum, einfach nur einen Job anzubieten, sondern sich auch darum zu kümmern, dass es den Menschen gelingt, sich insgesamt ein gutes Leben aufzubauen.

Wie lässt sich ein Green New Deal finanzieren?

Der Green New Deal ist ein vom Bund finanziertes, aber auf der lokalen Ebene verwaltetes Programm. Dadurch entstehen den Bundesstaaten, Bezirken und Kommunen keine zusätzlichen Kosten. Allgemein heißt es in Bezug auf die Mittel der Bundesregierung und Staatsausgaben, diese hingen von der Höhe der Steuereinnahmen und der Bereitschaft der privaten Kreditmärkte ab, Staaten Geld zur Verfügung zu stellen. Dieser konventionellen Weisheit zufolge ist der fiskalpolitische Spielraum der Bundesregierung also sehr beschränkt. Das stimmt aber nicht.

Nach der „Modernen Geldtheorie‟ (Modern Monetary Theory/MMT) sind die Kapazitäten eines Staates wie der USA, Ausgaben zu tätigen, wesentlich größer, als wir denken. Die USA verfügen über ein hohes Maß an monetärer Souveränität, weil das Land seine eigenen Geldscheine druckt, für die Zahlung von Steuern nur seine eigene Währung akzeptiert und der Wert seiner Währung nicht an Gold, Silber oder Fremdwährungen gebunden ist. Das heißt nicht, dass die Ausgabenkapazität unbegrenzt ist. Stattdessen hebt die MMT in diesem Zusammenhang die Bedeutung des Inflationsrisikos hervor, das von zwei Faktoren bestimmt wird: erstens der Verfügbarkeit realer Ressourcen, das heißt der Produktionskapazitäten, und zweitens der Marktmacht beziehungsweise Machtkonzentration von Unternehmen (missbräuchliches Preissetzungsverhalten).

Die gute Nachricht ist, dass die USA mit angemessener Planung, strategischen Investitionen und einer kohärenten Industriepolitik ihre Zahlungsfähigkeit tatsächlich erhöhen könnten, weil Ressourcen produzierbar sind. Wir können Arbeiter*innen ausbilden, wir können produktivere Kapazitäten aufbauen und wir können mit der Zeit ein höheres Produktivitätsniveau erreichen. Mit anderen Worten: Die erste Quelle des Inflationsrisikos ist beherrschbar und kann tatsächlich dazu beitragen, neue Arbeitsplätze sowie wirtschaftliche Stabilität und Wohlstand für alle zu schaffen.

Im Bureau of Engraving and Printing in Washington D.C. werden die neu gestalteten 100-Dollar-Scheine gedruckt; 20.5.2013 (Foto von Mark Wilson/Getty Images)

Allerdings lässt sich die zweite Quelle des Inflationsrisikos nicht durch eine Erhöhung oder Senkung der Ausgaben in den Griff bekommen. Missbräuchliches Preissetzungsverhalten findet statt, weil einige Unternehmen übermäßige Marktmacht haben. Daher können sie die Preise einfach so erhöhen, weil es ihnen passt und weil es ihnen der Gesetzgeber nicht verbietet. Denken wir nur an die enorme Marktmacht von Big Pharma, Big Oil, Big Tech, Wall Street, bestimmten Krankenversicherungen und Immobiliengesellschaften in den Vereinigten Staaten. Dieses Inflationsrisiko kann nur gesenkt werden, indem diese außergewöhnliche Marktmacht der Unternehmen über staatliche Besteuerungen und Regulierungen zurückgedrängt wird. Mit anderen Worten: Der Gesetzgeber hat die Verpflichtung, diese Industrie- und Wirtschaftssektoren zu demokratisieren. Aus einer MMT-Perspektive geht es bei der zweiten Quelle des Inflationsrisikos daher um eine politökonomische Frage und um eine Frage der Demokratie. Die Herausforderung besteht darin, Korruption zu bekämpfen und Macht und Einfluss von Unternehmen auf die Politik zu begrenzen.

Moderne Geldtheorie

Vertreter*innen der MMT haben sich sehr klar für eine Entkopplung von Ausgaben und Steuern auf der Bundesebene ausgesprochen. Es sollte zuallererst in die folgenden Bereiche investiert werden: Gesundheitsversorgung, Bildung, grüne Infrastruktur, erschwinglicher Wohnraum, Breitbandversorgung, Verkehr, Forschung und Entwicklung grüner Technologien sowie eine effizientere Erzeugung und Speicherung von erneuerbaren Energien. Zu den Gruppen, die besonders stark zu besteuern sind, zählen Umweltverschmutzer, Finanzspekulanten, missbräuchliche Preissetzer und ultrareiche Oligarchen – nicht deswegen, weil die Bundesregierung (souveräner Emittent des US-Dollars) deren Geld oder deren Erlaubnis für einen Green New Deal benötigen würde, sondern deswegen, weil wir das System entkarbonisieren, die Wirtschaft stabilisieren, die Demokratie vor Oligarchen schützen und ein nachhaltigeres, gerechteres System etablieren wollen.

Leider nehmen Lehre und Rhetorik der orthodoxen Geld- und Finanztheorie weiterhin Einfluss auf das Narrativ des Green New Deal. Es wird davon ausgegangen, es stehe der Regierung nur eine begrenzte Summe an Geld zur Verfügung. Wenn also das Militär einen Teil davon in Anspruch nimmt, so die Annahme, dann steht weniger für andere Programme und Bereiche bereit, es sei denn, wir schaffen es, die Reichen oder die Ölgesellschaften stärker zu besteuern, um die Mittel zu generieren, die wir für den Green New Deal brauchen. Diese Erzählung vom „Geld der Steuerzahler“ und einer soliden Haushaltsführung ist nicht nur faktisch falsch (Bundesausgaben werden nicht über Steuern und Anleihen finanziert), sondern auch politisch kontraproduktiv und rhetorisch gefährlich.

Die MMT erinnert uns daran, dass die Bundesregierung als Währungsausgeber nicht den gleichen finanziellen Zwängen unterliegt wie die Regierungen der Bundesstaaten und Kommunen oder wie Privathaushalte und Unternehmen als Währungsnutzer. Die Bundesregierung steht vor allem vor Beschränkungen, die sich durch Ressourcenengpässe ergeben. Die Verschuldung der Kommunen, Unternehmen und Privathaushalte hingegen stellt eine reale finanzielle Belastung dar, die nur durch eine Senkung der Ausgaben und/oder höhere Einnahmen abgebaut werden kann. Die Bundesregierung dagegen gibt ihr eigenes Geld aus, aber sie muss Steuern erheben, um neben anderen sozialen Zwecken eine Nachfrage nach ihrer Währung zu schaffen und dessen Wert zu stabilisieren. Die Bundesregierung muss sich nicht ihr eigenes Geld von reichen Investoren, ausländischen Regierungen oder zukünftigen Generationen leihen.

Wie kamen die USA für die Kosten des Zweiten Weltkriegs auf?

Der Zweite Weltkrieg, der direkt auf die Große Depression folgte, war eine der schlimmsten Phasen in der Geschichte der USA. Während der Großen Depression war das Steuer- und Kreditaufkommen gering. Dennoch gelang den USA damals in kurzer Zeit eine beeindruckende Kriegsmobilisierung, die ohne große Steuererhöhungen und Schuldenaufnahmen auskam. Es ging damals weniger darum, „Geld aufzutreiben“, um den Kriegseintritt zu finanzieren, sondern um den Aufbau von wirklichen Ressourcen, die für die Kriegsanstrengungen benötigt wurden.

Der Verkauf von Kriegsanleihen fand während des Krieges und nicht davor statt. Die Kriegsanleihen blühten aufgrund der patriotischen Stimmung im Land. Die Arbeiter*innen mussten nicht dazu gezwungen werden, sondern verzichteten während des Krieges freiwillig auf bestimmte Ansprüche. Der Verzicht auf den Kauf von neuen Häusern, Autos und anderen Konsumgütern ermöglichte es den USA, mehr materielle und personelle Ressourcen in den Krieg zu stecken. Es kamen noch andere politische Instrumente zur Anwendung, darunter spezielle Steuern sowie Preiskontrollen und die Rationierung von kriegswichtigen Gütern. In solchen Situationen kommt es auf die realen Ressourcen an. Geld ist lediglich eine symbolische Abbildung der realen wirtschaftlichen Aktivitäten und steht dafür, dass wir in der Lage sind, mithilfe von Mobilisierung und Organisation die benötigten produktiven Kapazitäten zu schaffen.

Wie haben wir den CARES Act finanziert?

Die Instrumente zur Finanzierung des Zweiten Weltkriegs ähneln denen, die die US-Regierung in späteren Zeiten nutzte, um ihren Aufgaben nachzukommen. Wie waren die mit dem CARES Act verbundenen staatlichen Unterstützungsleistungen möglich? Wen haben wir dafür zusätzlich besteuert? Von wem stammen die hierfür aufgenommenen Kredite?

Jahrelang hieß es, es gäbe kein Geld für einen Green New Deal, kein Geld für Medicare für alle und kein Geld für Maßnahmen, um damit soziale und ökonomische Benachteiligungen zu beseitigen. Dann kommt plötzlich eine Pandemie, und auf magische Weise versammeln sich 535 gewählte Vertreter*innen im Kapitol und stimmen einhellig für ein 2,2 Billionen US-Dollar schweres Wirtschaftsrettungspaket. Ein paar Tage später geben der US-Präsident und der US-Finanzminister bekannt, dass der „Tax Day“ (15. April) auf den 15. Juli verschoben ist. Mit anderen Worten: Die Bundesregierung musste keine Kredite aufnehmen oder keine zusätzlichen Steuern erheben, um auf die Pandemie reagieren zu können. Die Herausforderung war nicht, „Geldquellen aufzutun“. Vielmehr ging es darum, im Repräsentantenhaus und im Senat ausreichend Stimmen zu finden, die dieses Vorhaben befürworteten.

Danach begann die wirkliche Arbeit. Wir brauchten mehr Krankenhausbetten, Beatmungsgeräte, Masken, Handschuhe, Desinfektionsmittel, Ärzt*innen, Krankenpfleger*innen, anderes medizinisches Personal, Wissenschaftler*innen sowie Forscher*innen, um Impfstoffe und Medikamente zur Bekämpfung des Coronavirus zu entwickeln, sowie eine umfangreiche logistische Infrastruktur, um die Menschen zu impfen. Dies waren die Ressourcen, die zur Bekämpfung der Pandemie tatsächlich benötigt wurden. Auf ähnliche Weise werden wir auch die Ressourcen mobilisieren, die gebraucht werden, um den Green New Deal Wirklichkeit werden zu lassen.

Welche Chancen sind mit der neuen Biden-Harris-Regierung verbunden?

Die von der Biden-Regierung ausgesprochenen Nominierungen und Berufungen lassen eine große politische, wirtschaftliche und ideologische Übereinstimmung mit der Obama-Administration erkennen. Wahrscheinlich werden wir in den ersten Monaten dieser neuen Regierung große finanzielle Anstrengungen sehen, um die COVID-19-Pandemie und die Wirtschaftskrise zu bekämpfen. Biden hat sehr deutlich kundgetan, dass er sich vorerst keine Sorgen um das Haushaltsdefizit oder die Staatsverschuldung macht. In diesem Punkt scheint er sich mit seinen Wirtschaftsberater*innen einig zu sein.

Und doch ist abzusehen, dass dieselben Wirtschaftsberater*innen irgendwann fast unweigerlich ihre Aufmerksamkeit auf das Defizit und die Staatsverschuldung lenken und diese skandalisieren werden. Dabei werden sie von einer kleinen, in Washington versammelten Armee politischer Kommentator*innen und Streber*innen begleitet und unterstützt werden. Sie werden die 2022 stattfindenden Zwischenwahlen dazu nutzen, um über Fragen der Haushaltsdisziplin zu räsonieren. Und warum? Weil es für die Oppositionspartei schlichtweg sehr einfach ist, diese zu einem zentralen Wahlkampfthema zu machen.

Die Agitation gegen die „Moderne Geldtheorie“ geht sowohl vom Establishment der Demokratischen Partei als auch von der Republikanischen Partei aus, die darin eine gefährliche Idee für das Land sehen. Daher wird die Biden-Administration schnell vor einer riesigen Herausforderung stehen: Entweder sie gibt nach und nimmt eine Kurskorrektur vor, das heißt, sie passt sich an neoliberale Wirtschaftsprinzipien und die politischen Strategien der Defizit-Hysteriker*innen an, oder sie verfolgt auf der Grundlage der MMT eine wirtschaftliche, soziale und ökologische Agenda, mit der die Versprechen der „Build-Back-Better“-Kampagne wirklich eingelöst werden können.

Jetzt ist es an der Zeit, an Bidens gesunden Menschenverstand und an sein Gefühl für Anstand zu appellieren. Sollten seine Wirtschaftsberater*innen zur Fraktion der fanatischen Defizit- und Schuldengegner*innen zurückkehren, dann müssen wir uns darauf konzentrieren, die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Defizite und Schulden zu lenken, die aus unserer Sicht am wichtigsten sind: Probleme im Gesundheits- und Bildungswesen, Arbeitslosigkeit, Infrastrukturdefizite, Umweltverschmutzung, Verschuldung privater Haushalte aufgrund fehlender Krankenversicherung, Überschuldung von Studierenden und Klimaschulden. Dies sind die nämlich die Punkte, die die Menschen am meisten umtreiben. Die Kosten für unsere Untätigkeit auf diesen Feldern werden um ein Vielfaches höher sein als die Kosten des Green New Deal. Darüber hinaus verspricht der Green New Deal eine Beschleunigung des dringend benötigten Übergangs in der Wirtschaft hin zu „grüneren Arbeitsplätzen“, die darüber hinaus den Vorteil haben, vergleichsweise höhere Löhne zu bieten sowie rezessions- und krisenfest zu sein, und selbst in einer Pandemie wie dieser relativ sicher sind.

Damit es der Biden-Regierung gelingt, ihren Beitrag zu einem stärkeren, widerstandsfähigeren, nachhaltigeren und gerechteren Wirtschaftssystem und Sozialstaat zu leisten, muss sie sich dauerhaft von den Mythen über die Gefahren von Haushaltsdefiziten verabschieden und sich darauf konzentrieren, echte Ressourcen für ein multidimensionales, mutiges und transformatives Programm wie den Green New Deal zu mobilisieren. Dem missbräuchlichen Preissetzungsverhalten der besonders politisch einflussreichen Konzerne muss mithilfe des Steuerrechts und anderer Regulierungen von staatlicher Seite ein Ende bereitet werden. Es wäre zudem an der Zeit, so etwas wie die Pecora-Kommission des 21. Jahrhunderts einzurichten, mit dem Ziel, die Korruption auszuräumen, die US-Wirtschaft wieder wettbewerbsfähiger und das Land wieder demokratischer zu machen. Von den 535 Gesetzgeber*innen, die wir nach Washington schicken, damit sie dort unsere Interessen vertreten, erwarten wir, dass sie sich in Zukunft mehr für die Grundwerte einer Regierung des Volkes, für das Volk und durch das Volk einsetzen, anstatt sich als Regierung der Super-Pacs[1] und Unternehmensoligarchen zu gerieren. Denn hier haben wir es mit den entscheidenden politischen Zwängen zu tun, die die Ausgabenkapazität der Bundesregierung tatsächlich einschränken.

Die Biden-Regierung wird zudem die Chance haben, sich für ein wirklich transformatives Pilotprojekt in einer der ökonomisch schwächsten (und politisch wichtigsten) Regionen des Landes, nämlich den Appalachen, stark zu machen. Das Projekt „ReImagine Appalachia“ sieht für Ohio, Pennsylvania, Kentucky und West Virginia eine Umstellung der Versorgung auf erneuerbare Energien vor, außerdem die Modernisierung des Stromnetzes, die Schaffung „grüner Arbeitsplätze“ in der Produktion, mehr Umweltschutz, den Aufbau einer regenerativen Landwirtschaft sowie eines nachhaltigen Transportsystems und eine bessere Breitbandinfrastruktur. Mehr als 100 Organisationen in der Region stehen hinter diesem Plan. Er wird von Gewerkschaften, Nichtregierungsorganisationen, Thinktanks, Bürgermeister*innen kleiner Städte und vielen weiteren gewählten Politiker*innen unterstützt. Was jetzt noch fehlt, ist die Finanzierungszusage der Bundesregierung. Die Umsetzung von „ReImagine Appalachia“ könnte noch in diesem Jahr beginnen. Das Projekt könnte 2022 zu einem nationalen Programm ausgebaut werden.

Biden kann, wenn er dazu den benötigten politischen Mut, die Ausdauer und die Überzeugung hat, neue Standards für zukünftige Präsident*innen und Regierungen setzen. Aber erinnern wir uns an Franklin Delano Roosevelt, der zu sagen pflegte: „Ich stimme mit Ihnen überein. Ich will das dafür Notwendige tun. Jetzt gehen Sie und bringen mich dazu, es auch wirklich zu tun.“ Es wird also nicht genügen, Biden zu überzeugen. Um den New Green Deal Wirklichkeit werden zu lassen, brauchen wir eine breite Unterstützung aus der Bevölkerung und eine engagierte, an den Grundsätzen der „Modernen Geldtheorie“ orientierte Graswurzelbewegung, die sich für ihn einsetzt.

Fadhel Kaboub ist außerordentlicher Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Denison University und Vorsitzender des Global Institute for Sustainable Prosperity. Er forschte am Levy Economics Institute und an der John F. Kennedy School of Government an der Harvard University. Er ist Experte für moderne Geldtheorie und den Green New Deal und arbeitet zu Themen wie Arbeitsplatzgarantie und Maßnahmen zur Stärkung der monetären und wirtschaftlichen Souveränität von Ländern des Globalen Südens, zu Resilienz und dazu, wie ein gerechter und nachhaltiger Wohlstand aussehen kann. Man kann ihm auf Twitter folgen unter @FadhelKaboub und @GISP_Tweet.


[1] Pac steht für „Political Action Comittee“. Ihr Hauptzweck ist das Sammeln von Spenden für den Wahlkampf von politischen Kandidat*innen. Pacs sind dabei an gesetzliche Regeln gebunden. Seit einem Urteil des Obersten Gerichtshofes aus dem Jahr 2010 können diese Regeln von sogenannten Super-Pacs umgangen werden. Im Gegensatz zu normalen Pacs dürfen Super-Pacs Spenden ohne Limit eintreiben und ausgeben. (Anm. d. Ü.)


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