Die Menschheit sieht sich derzeit mit einer Reihe von schweren Krisen konfrontiert: der ökonomischen, sozialen, politischen, Versorgungs- und, nicht zuletzt, der Klimakrise, die die Existenz von Millionen Menschen auf diesem Planeten bedroht. Diese Krisen haben gemeinsame Ursachen, die tief in unserem globalen, von mächtigen Interessen getragenen Wirtschaftssystem verwurzelt sind. Kurz: Wir stehen einem grundsätzlichen Interessenkonflikt gegenüber.
Auf der ganzen Welt mobilisieren Gewerkschaften und eine Vielzahl breiter sozialer Bewegungen gegen die Folgen dieser Krisen. Diese Akteure hinterfragen immer häufiger unser Gesellschaftssystem, und dabei insbesondere die Art, wie wir produzieren und konsumieren. Der Weg aus diesen Krisen erfordert eine Transformation dieses Gesellschaftssystems, die wir aber nur erreichen können, wenn wir in der Lage sind, die gesellschaftlichen Machtverhältnisse zu verändern. Die entscheidende Herausforderung ist dabei die Verbindung der vielen Bewegungen und aktuellen Kämpfe – insbesondere die Kämpfe gegen Austerität und den Klimawandel.
Emissionen steigen weiter an
Seit über 20 Jahren – seit dem Rio-Gipfel 1992 – verhandeln Regierungen darüber, wie wir die Klimakrise verhindern können. In diesem Zeitraum sind die Treibhausgasemissionen jedoch nicht reduziert worden, sondern im Gegenteil um über 60% angestiegen. Verkehrsbedingte Emissionen sind während der letzten 30 Jahre um über 120% angestiegen und steigen auf der ganzen Welt in einem Maße weiter, das die Emissionsreduzierung in anderen Sektoren der Wirtschaft übersteigt.
In Anbetracht der katastrophalen Auswirkungen, die die Erderwärmung haben wird, mutet es setlsam an, dass unsere Regierungen sich nicht auf die notwendigen – sehr wohl realisierbaren – Maßnahmen zur Treibhausgasreduktion einigen konnten. An Lösungsvorschlägen mangelt es jedenfalls nicht; die Klimakrise kann verhindert werden, und wir haben das nötige Wissen und die nötige Technologie, eine Umkehr herbeizuführen. Was uns fehlt ist die soziale, politische und wirtschaftliche Macht, die notwendigen Maßnahmen gegen die Erderwärmung durchzusetzen. Kurz gesagt, es handelt sich um eine Machtfrage.
Die erforderliche soziale, politische und ökonomische Macht wird ganz sicher nicht von jenen wirtschaftlichen und politischen Eliten ausgehen, die uns regieren und die Erdölreserven und das Finanzkapital kontrollieren. Nur massiver Druck von unten, von einer breiten Koalition aus Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und Klimaschützern, kann uns vor einer Klimakatastrophe bewahren.
Ein Kampf gegensätzlicher Interessen
Wir kämpfen gegen die Interessen einiger weniger, nämlich gegen die Interessen der einflussreichsten Konzerne der Welt, die gemeinsam mit einer Armee neoliberaler Politiker ihre Agenda durchsetzen. Sieben der zehn größten Unternehmen weltweit sind Ölkonzerne. Sie setzen alles daran, politische Schritte zu verhindern, die ihren wirtschaftlichen Interessen schaden könnten. Wenn Politiker käuflich sind, kaufen sie sie. Und wenn Regierungen oder Regime ihnen in die Quere kommen, wirken sie hin auf deren Beseitigung.
Auch die Auswirkungen der ökonomischen, sozialen und politischen Krisen, die wir – schon seit einiger Zeit – erleben, deuten auf einen gesellschaftlichen Interessenkampf hin. Es ist nicht schwer, die gegensätzlichen Interessen zu identifizieren: Arbeitnehmer auf der ganzen Welt kämpfen gegen diese Krisen. Sie kämpfen für Arbeitsplätze. Sie kämpfen für angemessene Arbeitsplätze. Sie kämpfen für ihren Lebensunterhalt, für soziale Sicherung, gegen Arbeitslosigkeit, gegen sozialen Abstieg. Sie kämpfen für den Lebensunterhalt ihrer Familien.
Viele Regierungen reagieren auf diese Krisen mit Austeritätsprogrammen. Diese Programme sind nicht, wie einige behaupten, „notwendige Einsparmaßnahmen im überdimensionierten öffentlichen Sektor“ oder „notwendige Kürzungen, um Löhne wettbewerbsfähig zu machen“. Austerität ist eine klassenbasierte Politik mit dem Ziel, den Wohlfahrtsstaat zu zerstören, öffentliches Eigentum und öffentliche Dienstleistungen zu privatisieren und Gewerkschaften zu zerschlagen – alles mit dem Ziel, die Rendite zu steigern. Hier verläuft die Frontlinie der gegenwärtigen Auseinandersetzungen.
Systembedingte Krisen
Der Kampf gegen den Klimawandel – gegen eine Klimakatastrophe – ist kein Kampf, den die Gewerkschaftsbewegung zusätzlich zu dem gegen Austeritätspolitik aufnehmen muss. Vielmehr wird dieser Konflikt immer mehr zu einem wichtigen Bestandteil des gemeinsamen Kampfes. Sollte der Klimawandel nicht gestoppt oder auf 1,5 bis 2° Celsius begrenzt werden, wird er zum häufigsten Grund für den Verlust von Arbeitsplätzen. Er wird Gemeinden zerstören. Er wird Millionen von Arbeitsplätzen zerstören und zu einem massiven sozialen Abstieg führen, die Umverteilung von unten nach oben weiter vorantreiben, Armut massiv verschlimmern und Migrationskrisen unbekannten Ausmaßes verursachen. Unsere Bemühungen, den Klimawandel zu verhindern, sind deshalb ein wichtiger Bestandteil des Kampfes für die Gesellschaft, in der wir leben wollen.
Die ökonomische sowie die Klimakrise sind beide systembedingt. Sie entspringen dem gleichen ökonomischen System: ein System, das auf Gewinnmaximierung statt auf Gebrauchswertproduktion abzielt; ein System, das vom Wirtschaftswachstum abhängig ist (ein Kapitalismus ohne Wachstum ist ein Kapitalismus in der Krise); ein System, das Arbeitnehmer und natürliche Ressourcen ausbeutet; ein krisengeschütteltes System, das unaufhörlich Massenarbeitslosigkeit, Armut und Elend produziert und reproduziert. Gegenwärtig ist dieses System im Begriff, den Planeten Erde als Lebensort für zukünftige Generationen zu zerstören.
Öffentliches Eigentum und demokratische Kontrolle
Um diese Zerstörung aufzuhalten, müssen wir schnell und entschieden handeln. Wir erreichen bereits den Punkt, an dem es hinsichtlich der Zwei-Grad-Celsius-Marke der Erderwärmung kein Zurück mehr gibt. In den 20 Jahren des COP-Prozesses haben wir gelernt, dass die Ölkonzerne, das Finanzkapital, neoliberale Regierungen und der Markt nicht in der Lage sind, diese Probleme für uns zu lösen. Gleiches gilt für die ökonomischen und sozialen Krisen. Im Gegenteil: Diese Akteure haben ihre Macht dazu genutzt, um Hürden, die ihrer verzweifelten Jagd nach mehr Profit im Weg stehen könnten, zu verhindern. Die politischen Folgen sind Austerität und höhere Treibhausgasemissionen.
Aus diesem Grund ist die demokratische Kontrolle dieser mächtigen Unternehmen und Institutionen der einzige Weg, wollen wir die Herausforderungen der Gegenwart überwinden. Weder die Gewerkschafts- noch die Umwelt- oder andere soziale Bewegungen können diesen Kampf allein gewinnen. Wir müssen, heute mehr denn je, breite Allianzen sozialer Bewegungen schmieden, um das Blatt noch zu wenden.
Wie verbinden wir die Kämpfe gegen Austerität und Klimawandel?
Die Gewerkschaftsbewegung wird aufgrund ihrer strategischen Position in der Gesellschaft eine entscheidende Rolle in dieser Auseinandersetzung einnehmen. Trotzdem müssen wir uns eingestehen, dass die Gewerkschaftsbewegung bis jetzt nicht genug Verantwortung im Kampf gegen die Krisen übernommen hat. Gewerkschaften befinden sich auf der ganzen Welt in der Defensive. Die Gründe dafür werde ich hier nicht weiter ausführen, obwohl dies ein sehr wichtiges Thema ist. Es müsste meiner Auffassung nach höher auf die Tagesordnung gesetzt werden, nicht zuletzt in denen, die von Gewerkschaften selbst organisiert werden. Vielleicht hätte uns dies auch dabei geholfen, die sehr begrenzte, textbezogene Auseinandersetzung mit dem sogenannten „gerechten Wandel“ hinter uns zu lassen und Strategien, wie man diesen erreichen kann, in den Fokus zu stellen.
Die Hauptaufgaben unserer Zeit sind für mich klar: Wir müssen die sozialen Kämpfe mit dem Kampf gegen den Klimawandel verbinden – schon weil die Ursachen und Maßnahmen, die wir zu ihrer Überwindung benötigen, nahezu identisch sind. Wir müssen breite Allianzen bilden, die stark genug sind, um die notwendige Kraft für einen gesellschaftlichen Machtwechsel zu mobilisieren. Ein entscheidender Bestandteil dieses Kampfes wird sein, strategische Bereiche der Wirtschaft in öffentliche Hand und unter demokratische Kontrolle zu bringen. Im Kampf gegen den Klimawandel stehen die Energiesektoren im Mittelpunkt. CO2-Emissionen hängen eng mit Energie zusammen, und ohne deren demokratische Kontrolle gibt es keine Möglichkeit, den Wandel, den wir so dringend benötigen, zu erreichen.
Steigender Druck von unten
Der Kampf gegen Austeritätspolitik zeigt die Notwendigkeit für staatliches Eigentum und demokratische Kontrolle in einer Reihe von anderen Bereichen – das Verteidigen von öffentlichen Dienstleistungen sowie das Zurückführen von privatisierten Gemeingütern und Dienstleistungen unter demokratische Kontrolle zu bringen. Der Kampf gegen Klimawandel und Austerität darf nicht zu abstrakt und zu allgemein bleiben. Er muss konkrete Probleme in Angriff nehmen und Lösungen für den Alltag der Menschen, und insbesondere der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, bieten. Wir müssen die vielen einzelnen Kämpfe verbinden und verbreitern, so wie unsere Erfahrung es uns lehrt. Die meisten Gewerkschaften führen heute Kämpfe gegen Austeritätspolitik und immer mehr von ihnen nehmen am Kampf gegen den Klimawandel teil. Initiativen wie Trade Unions for Energy Democracy (TUED) stellen wichtige Entwicklungen in diesem Zusammenhang dar. Was wir jetzt brauchen, sind breitere Koalitionen, die bereit sind zu kämpfen, eine radikalere Agenda und Kampfgeist – kurz: mehr und mehr Druck von unten.
Asbjørn Wahl ist Vorsitzender der Arbeitsgruppe zum Klimawandel der internationalen Transportarbeiter-Föderation. Dieser Text ist von seinem Vortrag bei der Veranstaltung „Power to the People“, die vom New Yorker Büro der Rosa Luxemburg Stiftung und Trade Unions for Energy Democracy bei der COP21 in Paris am 5. Dezember 2015 organisiert wurde.