Die Reaktionen auf Donald Trumps Wahl zum Präsidenten der Vereinigten Staaten oszillieren zwischen tiefer Bestürzung und beißendem Spott. Wird Trump haarsträubende Dinge tun – mit schrecklichen Folgen – oder wird er sich fürchterlich blamieren? Ungewissheit umgibt den neuen US-Präsidenten und seine Administration. Das alte Establishment scheint kaltgestellt und der „tiefe Staat“ perplex.
Die Bush-Jahre
George W. Bushs Wahl hatte seinerzeit ähnliche Gefühle zwischen Furcht und Belustigung ausgelöst, obwohl seine Regierung wie handverlesen vom Establishment aussah und er selbst nicht so klang, als wolle er wesentliche Parameter der Weltordnung ändern. Von Bush gab es keine unfreundlichen Gesten gegenüber der Europäischen Union oder der NATO und ebenso wenig gegen wichtige Handelsabkommen oder Sicherheitsarrangements. Dass Bush 2003 illegal in den Irak einfallen, dem wachsenden Einfluss der BRICS-Staaten in Handelsfragen nichts entgegenzusetzen haben und in Schockstarre verfallen würde, als das westliche Finanzsystem Metastasen zu streuen begann, war bei seinem Amtsantritt nicht unbedingt abzusehen.
Eins jedenfalls hatten die acht Bush-Jahre unübersehbar gemacht: dass die Vereinigten Staaten nicht länger als Erste unter Gleichen zählten und die US-dominierte Unipolarität allmählich zerbröselte. Russland, das im ersten Jahrzehnt nach dem Untergang der UdSSR heruntergewirtschaftet worden war, hatte angesichts hoher Rohstoffpreise seine militärische Stärke wiederherstellen können und begonnen, anderen Mächten selbstsicherer zu begegnen. Chinas wirtschaftlicher Aufstieg in den 1990er Jahren veranlasste seine Führung, auf eine Veränderung des geopolitischen Kräftegleichgewichts hinzuwirken. Indien, Brasilien und Südafrika – durch die globalen Wirtschafsregeln benachteiligt – traten in den multilateralen Foren nachdrücklich für ihre Eigeninteressen ein. Diese aufsteigenden Mächte, also die BRICS-Staaten, positionierten sich mehr oder weniger energisch gegen die unipolare Konfiguration. Vor allem Russland und China schienen mit der Unterstützung Lateinamerikas bereit, dem Westen das Recht zu bestreiten, einseitig die Handelsregeln festzulegen und territoriale Herrschaftsansprüche auf weit von den eigenen Grenzen entfernte Weltgegenden zu erheben.
Die Obama-Jahre
Barack Obama konnte, obwohl als Persönlichkeit entschieden anziehender, natürlich bei weitem nicht alles bereinigen, was Bush angerichtet hatte. Weder gelang es ihm, die durch Bushs Kriege in Westasien aufgebrochenen Widersprüche aufzulösen, noch die Ambitionen Russlands und Chinas zu zügeln.
Nun kann man Obama nicht nachsagen, er hätte es nicht versucht. Schließlich bemühte sein Weißes Haus sich heftig darum, Eurasien von beiden Enden her in die Zange zu nehmen – in Europa dadurch, dass die NATO immer dichter an die russische Westgrenze heranrückte, und in Asien, indem amerikanische Kriegsschiffe China im Südchinesischen Meer herausforderten. Unter Obama steckten die USA ihre Nase in die Höhle des russischen Bären und provozierten so Russlands Krim-Intervention. Versuche, die Chinesen zur Aufwertung ihrer Währung zu nötigen, um einer stotternden US-Binnenwirtschaft zu helfen, führten zu nichts. Alle Drohungen, gegen die Missachtung geistiger Eigentumsrechte, Währungsmanipulation und Internet-Hacking vorzugehen, liefen ins Leere. Außenministerin Hillary Clinton ging sogar so weit, die Japaner zur Beseitigung einer gewählten Regierung zu bewegen, damit die US-Stützpunkte auf Okinawa erhalten blieben – Stützpunkte, die China und Russland herausfordern. Nichts von alledem brachte die Chinesen ins Wanken. Nicht einmal die US-Kriegsschiffe im Südchinesischen Meer konnten Peking so erschrecken, dass es gegenüber Washington klein beigegeben hätte.
Europa, das sich bis heute von der großen Rezession der Jahre 2007/2008 nicht durchgängig erholen konnte, hatte gleichzeitig unter den Folgen – von ihm selbst befürworteter – strategischer Entscheidungen Washingtons zu leiden. Der rechtswidrige Irakkrieg, den Bush 2003 mit der denkwürdigen Unterstützung des von ihm so genannten „Neuen Europa“ und Großbritanniens begann, ermöglichte es dem Iran, seinen Einfluss auf ganz Westasien auszudehnen. Die Vereinigten Staaten versuchten mit dem Syria Accountability Act (2003), der Unterstützung des israelischen Libanonkriegs (2006) und dem Sanktionsregime gegen Teheran die Iraner hinter ihre Grenzen zurückzudrängen.
Was die Sanktionen bewirkten, war, dass der Iran als einer der Energielieferanten Europas ausfiel. Als die NATO dann Libyen zerstörte (2011), verschwand ein weiterer wichtiger Lieferant von Europas Energiequellen-Atlas. Und das Vordringen der NATO nach Osten löste die Krise in Osteuropa aus, die zu den Sanktionen gegen Russland führte (2014). Moskau rückte näher an Peking heran und begann, sein Öl und Gas den Chinesen zu verkaufen. Der Iran, Libyen und Russland hatten als die drei wichtigsten Energiequellen für Europa fungiert. Binnen eines Jahrzehnts waren nun alle drei stillgelegt worden. Schließlich geriet die Obama-Administration unter zunehmenden Druck, die Isolation Teherans aufzugeben, was zu dem Iran-Deal von 2015 führte. Es waren die Einwände aus Europa und weniger die Grundsätze des Völkerrechts, die die Obama-Administration zu dieser Lösung drängten.
Die Trump-Jahre
Wie wird Trump mit diesen bedeutsamen Gewichtsverschiebungen in einer Weltordnung umgehen, in der Russland und China – und andere Teile des globalen Südens – an Bedeutung zunehmen, während die Europäer mit sich selbst beschäftigt und aus dem Tritt geraten sind? Wird er seinerseits fortfahren, Russland und China mit militärischem Druck auf beide Flanken Eurasiens zu bedrängen?
Klar ist, dass Russlands Rückkehr auf die Weltbühne Trump weniger beunruhigt als Amerikas „tiefen Staat“. Ob er fähig sein wird, sich über den Mainstream-Konsens hinwegzusetzen, demzufolge Russland eine schwere Bedrohung der Vereinigten Staaten darstellt, wird sich zeigen. Die Beschuldigungen, Russland habe Hackerangriffe gegen die Demokraten unternommen, werden Trump zwingen, irgendwie zu reagieren, entweder mit Sanktionen oder mit einer Geheimoperation dieser oder jener Art. Wie er auf die Russland-Rhetorik des tiefen Staates reagieren wird, bleibt offen.
Trumps Ansichten ermangeln zweifellos innerer Konsistenz. Er erscheint russlandfreundlich, hat aber eine tiefe Abneigung gegen China, besonders in Handelsfragen. Russland erfuhr den Untergang der Sowjetunion (1991) und später seine Verstoßung aus der G7 (2014) als Demütigungen. Doch reagierte es gefasst und entschied sich, eine dauerhafte Verbindung mit Peking einzugehen, mit dem es mittlerweile sowohl militärisch als auch wirtschaftlich und diplomatisch eng kooperiert. Diese Verbindung erweist sich als stark und scheint sich weiter zu festigen. Trump macht sich etwas vor, wenn er glaubt, er könne das Band zwischen Russland und China durchtrennen – zwei Mächten, deren Ansichten über die Weltordnung einigermaßen harmonieren, mehr jedenfalls als in den Anfangsjahren des Kalten Krieges vor dem sowjetisch-chinesischen Bruch.
Es dürfte schwierig werden, China zu zwingen, den Yuan zum Vorteil der Vereinigten Staaten aufzuwerten. Keiner US-Regierung ist es bisher gelungen, die Chinesen zu einem solchen – aus ihrer Sicht selbstmörderischen – Schritt zu nötigen, auch nicht mit US-Kriegsschiffen vor der chinesischen Küste. Ebenso wenig wird Trump, will er nicht Krieg gegen China führen, das Land zwingen können, Wohltaten für Amerika zu erbringen. Hierbei handelt es sich eher um Trumps Rhetorik als um Politik.
Die Regierungsmannschaft, die Trump zusammengestellt hat, verbindet ein gewaltiger Hass auf den Iran. Aber wird sie den Nuklear-Deal tatsächlich brechen, ja womöglich gegen das Land am Golf in den Krieg ziehen?
Wahrscheinlicher ist, dass Trump den Deal nicht einmal außer Kraft setzen kann. Er wird in Europa, dessen strategische Optionen angesichts der Energieverknappung begrenzt sind, keine Partner dafür finden. In den europäischen Hauptstädten hat man keine Lust, zu den Sanktionen zurückzukehren. Weder Russland noch China – die beide den Iran für ihre Westasienpolitik brauchen – werden UN-Sanktionen gegen den Iran zulassen. Sollte Trump geneigt sein, seinen Kreuzzug gegen den Iran auf eigene Faust zu führen, so wird er – abgesehen von einer Handvoll Golfmonarchien – nicht viele arabische Verbündete finden, die einen solchen Krieg unterstützen. Ägypten, Algerien und der Irak wären entschieden dagegen. Die Hisbollah würde vom Libanon aus Israel bedrohen, das seinerseits auf eine Rückkehr zu Kriegshandlungen an seiner Nordflanke nicht eingestellt ist. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat es gefallen, kriegerisch daherzureden, aber bislang konnte er sich dabei hinter Obama verstecken. Jetzt hat er niemanden mehr, hinter dem er sich verstecken könnte. Und Trump ebenso wenig.
Schrille Töne gegen Mexiko – als Alibi dafür, dass es den einfachen Leuten in Amerika schlecht geht – werden Trump nicht viel nützen. In Sachen Mexiko hat er sich verrechnet, vielleicht aus dem Glauben heraus, das Land sei arm und isoliert. Doch in Wirklichkeit ist Mexiko der Agenda des globalen Südens gegenüber dem Norden in wesentlichen Punkten eng verbunden, etwa im Hinblick auf die Reform der nördlichen Subventionspraktiken oder des vom Norden bestimmten Weltfinanzsystems und auf die Neuverhandlung des Umgangs mit geistigem Eigentum, bei dem bisher Pharma-Konzerne und High-Tech-Unternehmen aus dem Norden begünstigt werden. Getreidesubventionen in den Vereinigten Staaten und die Liberalisierung des Handels durch das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) haben die massenhafte Migration verarmter Mexikaner in die USA bewirkt. Jede Veränderung der Handelspraktiken müsste die Vorteile berücksichtigen, die das Freihandelsregime dem nördlichen Kapital verschafft. Insofern klingt Trumps Ruf nach einer Neuverhandlung bestehender Abkommen den Verantwortlichen in vielen Hauptstädten des Weltsüdens wie Musik in den Ohren.
Allerdings hat man dort ganz andere Vorstellungen, worum Neuverhandlungen sich drehen sollten. Mexiko ist Gründungsmitglied der G20 innerhalb der Welthandelsorganisation (WTO). Aus Anlass des WTO-Ministertreffens 2003 im mexikanischen Cancún hatte sich unter der Führung Indiens, Brasiliens und Südafrikas diese Zwanzigergruppe formiert, um der Agenda des Nordens etwas entgegenzusetzen. Mexiko hat in der G20 eine schwankende Rolle gespielt, aber Trumps Beleidigungen und seine Politik – sowohl in Einwanderungs- wie in Handelsfragen – könnten das Land sehr wohl in die vorderste Linie der Gruppe der Zwanzig zurückdrängen. Andere lateinamerikanische Länder würden dies wärmstens begrüßen.
Aber auch wenn die Ära der US-amerikanischen Unipolarität jetzt vorüber ist, so lässt sich ein Gleiches über den US-getriebenen Imperialismus durchaus nicht sagen. Die Vereinigten Staaten verfügen immer noch über die mit Abstand größte Militärmacht, ihre Tentakel umgreifen – in Gestalt ihrer Stützpunkte und Flugzeugträgergruppen – den gesamten Globus, und sie sind der größte Waffenhändler der Welt. Um ihre abnehmende Autorität zu erhalten, werden die USA ihr Machtpotenzial in unterschiedlichen Formen ausspielen. Viel spricht dafür, dass Trump der Finger am Abzug gefährlich locker sitzen könnte. Aber mit weniger Verbündeten und verminderter Autorität dürfte es ihm schwerer fallen, diesen Abzug wirklich zu betätigen. Mag sein, dass er letztlich eher als Opfer denn als Gefährder der Welt dastehen wird.
Vijay Prashad ist Verfasser der RLS–NYC-Studie Neoliberalismus mit südlichem Antlitz. Der Aufstieg des BRICS-Blocks.