Die US-Linke braucht eine Strategie jenseits der Fixierung auf Trump und Biden
Das Chaos um die Präsidentschaftswahl 2020 und das Ende der Amtszeit Donald Trumps verstörte jene Teile der amerikanischen Gesellschaft, die sich vor Trumps autoritären Bestrebungen fürchteten, so sehr, dass die verstrittenen Strömungen in der Demokratischen Partei für kurze Zeit an einem Strang zogen. Es herrschte Einigkeit, dass Trump dafür zur Rechenschaft gezogen werden müsse, seine Anhänger*innen am 6. Januar 2021 zum Sturm auf das Kapitol angestachelt zu haben, um sich auf diesem Wege über seine Wahlniederlage hinwegzusetzen. Sämtliche Mitglieder der demokratischen Fraktion im Repräsentantenhaus, von unternehmensfreundlichen Vertreter*innen der Mitte, wie Scott Peters (Kalifornien) oder Josh Gottheimer (New Jersey), bis hin zu demokratischen Sozialist*innen, wie Rashida Tlaib (Michigan) und Alexandria Ocasio-Cortez (New York), stimmten gemeinsam für Trumps Amtsenthebung. Im Senat sprachen sich die Abgeordneten der Demokratischen Partei von Wall-Street-Freund Joe Manchin (West Virgina) bis zu Bernie Sanders (Vermont), dem heftigen Kritiker der Milliardär*innen, geschlossen dafür aus, den ehemaligen Präsidenten wegen großer Verbrechen und Vergehen schuldig zu sprechen.
Doch Einmütigkeit im Widerstand gegen Trump ist keineswegs gleichbedeutend mit einer gemeinsamen Vision der Demokratischen Partei, die derzeit die wichtigste Kraft gegen eine von Tag zu Tag extremer werdende Republikanische Partei ist. Progressive in der Demokratischen Partei und Bewegungen, die in Fragen der ökonomischen, sozialen und antirassistische Gerechtigkeit Druck auf die beiden großen Parteien ausüben wollen, sehen, dass Joe Biden für ihre Belange empfänglicher ist als Trump.
Das macht die Demokrat*innen jedoch nicht zur Linken.
Das ist für die US-amerikanische Linke ein Problem, wie sich in dem Jahr seit den Wahlen 2020 herausstellen sollte. Die Demokratische Partei erlangte zwar die Kontrolle über das Weiße Haus und knappe Mehrheiten im Senat und Repräsentantenhaus. Doch obwohl sie an der Macht waren, scheiterten sie regelmäßig daran, das nötige Maß an Geschlossenheit zu bewahren, um sie auch auszuüben. Wenn sie sich in innen- und außenpolitischen Fragen einig wurden, fielen die Ergebnisse für das progressive Lager häufig enttäuschend aus. Zähe und komplizierte Verhandlungen zwischen der Biden-Regierung und konservativeren Demokrat*innen wie dem bereits erwähnten Joe Manchin oder Senatorin Kyrsten Sinema (Arizona) zeigten, dass ein demokratischer Präsident zwar mutige fortschrittliche Reformen anregen kann, seine Partei jedoch weltanschaulich nicht kohärent genug ist, diese auch umzusetzen.
Dieses Problem stellt sich nicht nur auf Bundesebene. Die tiefen Gräben der Partei zeigten sich bei den Wahlen in den Kommunen und Bundesstaaten, die 2021, abseits des Hauptwahljahres, stattfanden. Sie dürften bei den Zwischenwahlen 2022 erneut sichtbar werden. Dann wird sich entscheiden, ob die Demokratische Partei ihre Mehrheit im Kongress halten kann.
Der Riss geht so tief, dass Alexandria Ocasio-Cortez (AOC) während des Präsidentschaftswahlkampfs 2020 sagte: «Joe Biden und ich wären in keinem anderen Land der Welt in derselben Partei, in Amerika sind wir es aber.» Diese Einschätzung beschreibt ihre eigene Lage zutreffend. Ihr offenes Bekenntnis zum demokratischen Sozialismus, ihr nachdrückliches Eintreten für einen Green New Deal zur Bekämpfung des Klimawandels, ihr Engagement für antirassistische und Geschlechtergerechtigkeit sowie ihr Aufruf zur Einschränkung von Militarismus und Imperialismus würden sie in Europa wahrscheinlich in die linke Fraktion im EU-Parlament und im kanadischen Parlament vermutlich an die Seite der New Democrats führen.
In der Aussage der Abgeordneten steckt aber auch eine tiefere Wahrheit, die man verstehen muss, um die Lage der Linken in der gegenwärtigen politischen Landschaft der USA richtig einzuschätzen. Die Linke operiert größtenteils innerhalb der Demokratischen Partei, deren Führung ihre Ideale nicht teilt – und erst recht nicht nach ihnen handelt.
Das System treibt die Linken zur Demokratischen Partei
In den meisten westlichen Demokratien würde sich die Linke von der Demokratischen Partei abspalten, sich unabhängig von ihr unter einem eigenen Banner sammeln und entweder als einflussreicher Koalitionspartner oder als oppositionelle Kraft auftreten. In den USA ist das jedoch nicht so einfach möglich.
Es gibt zwar kleine linke Parteien, die das US-amerikanische Zweiparteiensystem herausfordern – wie etwa im frühen 20. Jahrhundert die historisch bedeutsame Sozialistische Partei des Eugene Victor Debs oder heute die Grünen und Socialist Alternative um die Stadträtin Kshama Sawant aus Seattle sowie zahlreiche weitere Gruppierungen. Doch in der letzten Präsidentschaftswahl kamen sie zusammen auf gerade einmal 500 000 von 158 Millionen abgegebenen Stimmen. Linke Parteien haben weder im Senat noch im Repräsentantenhaus Mandate, sie führen weder Regierungen auf Ebene der Bundesstaaten, noch stellen sie in größeren Städten Bürgermeister*innen. Die Medien berichten kaum über sie, sie werden von Debatten ausgeschlossen und oftmals als «störend» betrachtet, wenn sie in knappen Wahlkämpfen den demokratischen Kandidat*innen Stimmen streitig machen – was 2016 nach allgemeiner Ansicht geschah, als die grüne Spitzenkandidatin Jill Stein mehr Stimmen auf sich vereinen konnte, als Hillary Clinton in den traditionell besonders umkämpften Bundesstaaten für einen Sieg über Trump gefehlt hätten. Die leichtfertige Ablehnung linker, dritter Parteien ist unfair gegenüber ihren aufrichtigen Aktivist*innen, die zurecht auf die Mängel der beiden großen Parteien aufmerksam machen. Insbesondere verkennt eine solche Haltung die wichtige Arbeit, die diese Parteien in Solidarität mit lokalen Gewerkschaften und Basisaktivist*innen der Black-Lives-Matter-Bewegung, in den Kämpfen für die Rechte von Migrant*innen und in der Umweltbewegung leisten. Doch ihr Mangel an Macht und Einfluss ist Realität, er wirkt sich auf die parlamentarische und außerparlamentarische Politik dieses Landes aus, in dem sich alles um Wahlen dreht und eine voreingenommene Medienberichterstattung den Blick auf das Zweiparteiensystem und die daraus hervorgehende Regierungsgewalt verengt.
Vor diesem Hintergrund neigen progressive Aktivist*innen, die im 20. Jahrhundert mehrfach hofften, außerhalb der Demokratischen Partei operieren zu können, in den letzten Jahrzehnten verstärkt dazu, sich innerhalb der Partei zu engagieren. Sie wollen damit einerseits die Linke stärken und andererseits die Mächtigen dazu zu bringen, linke Ideen umzusetzen. Diesen beiden Anliegen ist ein beachtlicher, wenn auch kein durchschlagender Erfolg beschieden gewesen.
Dass Linke in die Demokratische Partei eintreten, ist kein neues Phänomen. Seit der vormalige Vizepräsident Henry Wallace 1948 als Präsidentschaftskandidat für seine unabhängige, linke und multiethnische Progressive Partei gescheitert war, bemühten sich Linke, die Ausrichtung der Demokratischen Partei zu verändern. Von Zeit zu Zeit gelang es ihnen, die Oberhand zu gewinnen, beispielsweise als Präsident Lyndon Johnson in den 1960er Jahren für die Bürgerrechtsbewegung Partei ergriff oder als Senator George McGovern aus South Dakota 1972 wegen seines Eintretens gegen den Vietnamkrieg zum demokratischen Präsidentschaftskandidaten gekürt wurde.
Weitaus häufiger kämpften sie jedoch am Rand der Öffentlichkeit und wählten einzelne Aktivist*innen ins Repräsentantenhaus – etwa Shirley Chisholm und Ron Dellums – oder in den Senat – wie beispielsweise Paul Wellstone und Bernie Sanders. Sie beeinflussten Debatten über spezifische Gesetzesvorhaben und trugen so in den 1970er Jahren zu Siegen der Umwelt- und Frauenbewegung sowie in den 2010er Jahren zu Erfolgen bei der Ehe für alle und der Gesundheitsreform bei. Solche offensichtlichen Fortschritte sind zwar befriedigend, es darf aber nicht übersehen werden, dass auf jeden Linksruck in Partei und Gesellschaft regelmäßig konservative Gegenreaktionen und Kürzungen folgten. Ralph Nader, Aktivist für Verbraucherrechte und grüner Präsidentschaftskandidat in den 1990er und frühen 2000er Jahren, erklärte mir einmal, man könne zwar hin und wieder auf einzelne Demokrat*innen zählen, nicht jedoch auf die Demokratische Partei als eine Kraft, die konsequent für ökonomische, soziale und antirassistische Gerechtigkeit eintrete, von einer Zügelung der fossilen Energiekonzerne und des militärisch-industriellen Komplexes ganz zu schweigen. Letztlich, so Nader, «ist der einzige Unterschied zwischen den Republikaner*innen und den Demokrat*innen, wie schnell sie einknicken, wenn die Konzerne bei ihnen anklopfen.»
Nach dem Zweiten Weltkrieg organisierte sich linker Aktivismus meist auf den Straßen. Man demonstrierte für die Bürgerrechte, die Rechte von Frauen und LGBT-Personen, leistete Widerstand gegen unrechtmäßige, moralisch unhaltbare Kriege, versammelte sich zur Unterstützung gewerkschaftlicher Kämpfe und mobilisierte in den vergangenen Jahren für die Black-Lives-Matter-Bewegung, die eine Polizeireform fordert, weil in diesem Land unbewaffnete junge schwarze Männer regelmäßig von Polizist*innen angeschossen und ermordet werden. Diese Bewegungen haben Erfolge erzielt und bestätigen damit Martin Luther King: «Der Bogen des moralischen Universums ist weit, aber er neigt sich der Gerechtigkeit zu.» Doch die Langsamkeit, mit der er sich selbst dann neigt, wenn die vermeintlich mit jenen Anliegen sympathisierenden Demokrat*innen regieren, hat einen neuen Kampf entfacht, in dem es darum geht, die Demokratische Partei in etwas Besseres zu verwandeln als ein Sammelbecken aller ideologischen Strömungen, für die in der Republikanischen Partei kein Platz ist.
Bernie Sanders’ politische Revolution
Das war die Schlüsselbotschaft der Wahlkämpfe, die Senator Bernie Sanders aus Vermont in den Jahren 2016 und 2020 geführt hat, um sich als demokratischer Präsidentschaftskandidat aufstellen zu lassen. Auch wenn Sanders beide Male scheiterte, handelte es sich um die erfolgreichsten linken Versuche, in der Partei die Führung zu übernehmen, seit McGovern 1972 kandidierte und Jesse Jackson 1984 und 1988 seine «Rainbow Coalition» schmiedete. Mit seinem Vorwahlkampf gegen die vom Establishment bevorzugte Kandidatin, die ehemalige Außenministerin Hillary Clinton, bezweckte Sanders 2016 nichts weniger als eine «politische Revolution». Der stolze demokratische Sozialist, der jahrzehntelang an den Rändern des politischen Systems der USA gewirkt hatte – zunächst als parteiloser Kongressabgeordneter, später als Senator eines der kleinsten Bundestaaten des Landes – regte Demokrat*innen und parteilose Linke an, «ihren Horizont zu weiten und zu begreifen, dass das Establishment unsere Vorstellungen von dem, was wir erreichen können, einschränkt und dass das Unfug ist, dass wir in Wirklichkeit viel, viel mehr schaffen können.»
Clinton verspottete Sanders als utopischen Träumer, doch sein Modell von einem Wohlfahrtsstaat nach europäischem Vorbild war außerordentlich beliebt. Nachdem die Umfragen ihn zu Beginn seines Wahlkampfs kaum über drei Prozent sahen, konnte der linke Senator 2016 die Vorwahlen in 23 Bundesstaaten für sich entscheiden. Er erhielt bundesweit 13,2 Millionen Stimmen und entsandte 1865 von insgesamt 4763 Delegierten des demokratischen Parteitags – die meisten, die ein Herausforderer in der jüngeren Vergangenheit hinter sich versammeln konnte.
Diese Statistiken werden dem Ausmaß von Sanders’ Erfolg jedoch nicht gerecht. Nach dem Wahlkampf blieben seine Unterstützer*innen in den Reihen der Demokratischen Partei aktiv und kandidierten vielfach selbst. Eindeutig progressive Demokrat*innen, die sich häufig als Sozialist*innen verstanden, eroberten rasch Sitze im Kongress, in den Parlamenten der Bundesstaaten und in den Rathäusern des ganzen Landes.
Sanders’ Kandidaturen von 2016 und 2020 lassen sich nicht nur als das Projekt einer Einzelperson verstehen. Breite Bewegungen unterstützten ihn und veränderten dabei die ideologische Ausrichtung der Partei und vielleicht sogar der ganzen Nation, obwohl Sanders sein Ziel verfehlte, für die Demokratische Partei anzutreten und vielleicht sogar zum Präsidenten gewählt zu werden. Sanders war selbst Aktivist und arbeitete mit Aktivist*innen zusammen. Er reihte sich in Streikposten ein. Er prangerte Unternehmen an, die die Umwelt verschmutzten. Er stellte sich hinter antirassistische Aktionen, die Abgeordnete zur Bekämpfung des systemischen Rassismus in der Gesetzgebung, im Bildungs- und Wohnungswesen verpflichten wollten. Vor allem verschaffte er Bewegungen Gehör, die jahrelang vergeblich auf ihre Ideen aufmerksam gemacht hatten. Er warb für das Recht auf Gesundheitsversorgung, gegen Studiengebühren, für einen Mindestlohn von 15 US-Dollar und wirksame Antworten auf die Klimakrise. Nach dem Rückzug seiner Kandidatur sagte Sanders 2020: «Wir wollten eine neue Vision für Amerika schaffen, und dieses Ziel haben wir erreicht.» Er präsentierte seine beiden Kandidaturen als ein zusammenhängendes, mehrjähriges Projekt und erklärte: « Unsere Bewegung hat in den letzten fünf Jahren unbestritten den Kampf um die Köpfe gewonnen. Sowohl in den sogenannten roten Staaten als auch in den blauen Staaten und den Swing States haben die meisten Amerikaner*innen inzwischen verstanden, dass wir den Mindestlohn auf mindestens 15 US-Dollar anheben müssen, dass wir allen Menschen in unserem Land ein Recht auf Gesundheitsversorgung garantieren müssen, dass wir auf erneuerbare Energien umstellen müssen und dass eine Hochschulbildung allen unabhängig von ihrem Einkommen offenstehen muss.»
Das mag nach Prahlerei klingen, lässt sich jedoch mit statistischen Daten untermauern. «Die Demokratische Partei ist heute eine ganz andere als die Partei, die vor 28 Jahren Bill Clinton aufgestellt hat. Sie ist linksliberaler, ethnisch diverser als je zuvor, und in Grundsatzfragen stärker geeint als zu irgendeinem Zeitpunkt in der jüngeren Geschichte», so das Wall Street Journal im Hinblick auf neue Umfrageergebnisse. «Wie das Meinungsforschungsinstitut Gallup berichtet, machten Personen, die sich selbst als moderat bezeichneten, 1994 die Hälfte der Parteimitglieder aus, während Linksliberale und Konservative jeweils ein Viertel stellten. Heute machen Linksliberale die Hälfte der Partei aus, Moderate liegen etwas über einem Drittel, Konservative nur bei 14 Prozent. Im Kontrast dazu dominierten die Konservativen die Republikanische Partei bereits in den 1990er Jahren – 60 Prozent ihrer Wählerschaft fühlten sich seinerzeit diesem Lager verbunden, während es heute über 70 Prozent sind. Die Bedeutung dieser ideologischen Labels hat sich über die letzten drei Jahrzehnte verändert. Doch die Ausrichtung der Demokratischen Partei hat sich stärker verschoben als die der Republikanischen.»
Erst vor einem Vierteljahrhundert unterzeichnete mit Bill Clinton ein demokratischer Präsident Gesetze, die Kindern die soziale Absicherung entzogen, Börsenspekulation an der Wall Street deregulierten und die Ehe für Schwule und Lesben verhinderten. Mit Joe Biden gewährt heute ein demokratischer Präsident Familien von Geringverdiener*innen zur Armutsbekämpfung eine Steuererleichterung von monatlich 300 US-Dollar für jedes Kind; er holt antimonopolistische Aktivist*innen in Aufsichtsbehörden und ernennt einen offen schwulen, verheirateten Mann zu seinem Verkehrsminister. Es hat sich also viel verändert. Biden vertrat einst ähnliche Standpunkte wie Clinton; nun trifft er sich regelmäßig mit Sanders und übernimmt dessen Vorschläge so oft, dass rechte Kommentator*innen sich beschweren, das Land werde von «Präsident Sanders» geführt.
Biden ist ein vorsichtiger Demokrat alter Schule
Aber Biden ist nicht Sanders und die Demokratische Partei in Wirklichkeit weit entfernt von der sozialistischen Verschwörung, die Konservative in ihr sehen wollen – selbst wenn 76 Prozent der Demokrat*innen einer Gallup-Umfrage zufolge bekunden, dass sie gern einen sozialistischen Präsidenten wählen würden.
Biden ist ein Demokrat alter Schule, der 36 Jahre lang als unternehmensfreundlicher Senator des winzigen, unternehmensfreundlichen Bundesstaats Delaware gedient hatte, um dann acht weitere Jahre als loyaler Vizepräsident unter Barack Obama zu wirken. Biden hält das Erbe von Franklin Roosevelts New Deal in Ehren und sympathisiert mit den Gewerkschaften. Dennoch sind die Versuche von republikanischer Seite, «Uncle Joe» als «Radikalen» zu etikettieren, albern. Während Sanders der Meinung ist, dass es gar keine Milliardär*innen geben sollte, erklärt Biden: «Ich will niemanden für seinen Erfolg bestrafen. Ich bin Kapitalist.»
Biden ist ein Washington-Insider, wie er im Buche steht. Er neigte stets dazu, für kleine Verbesserungen Kompromisse einzugehen, anstatt für große Errungenschaften zu kämpfen. In den Verhandlungen um seine innenpolitische Agenda wurde dies schmerzhaft deutlich. Während Sanders und Mitglieder der progressiven Fraktion im Kongress sechs Billionen US-Dollar forderten, um Rahmenbedingungen für einen Wohlfahrtsstaat zu schaffen und riesige Investitionen in Gesundheits- und Bildungswesen, für Klimagerechtigkeit und Programme zur Armutsbekämpfung vorzunehmen, erklärte Biden, dass mit ihm mehr als 3,5 Billionen US-Dollar nicht zu machen seien.
Das ist immer noch eine beträchtliche Summe, und Sanders, der nun als Vorsitzender des Haushaltsausschusses im Senat einen einflussreichen Posten hat, entwickelt einen Plan, um aus der Situation das Beste zu machen. Mir gegenüber hat er von «einer historischen Gelegenheit» gesprochen, «um dem amerikanischen Volk zu zeigen, was ein starker Staat alles schaffen kann.» In diesen Prozess waren verschiedene fortschrittliche Kräfte involviert, außer Sanders auch andere Mitglieder des «Congressional Progressive Caucus», des Zusammenschlusses von Kongressabgeordneten, die den linken Flügel der Demokratischen Partei repräsentieren. Dabei handelte es sich häufig um langjährige Graswurzelaktivist*innen, die sich nun plötzlich in Machtpositionen wiederfanden und die Chance voller Sendungs- und Verantwortungsbewusstsein ergreifen wollten. Vielleicht legten sie dabei sogar etwas zu viel Verantwortungsgefühl an den Tag. Anstatt Biden von links unter Druck zu setzen, wurden sie die hartnäckigsten Verteidiger*innen seines «Build-Back-Better»-Programms für den ökonomischen Wiederaufbau nach der Pandemie und traten noch vehementer für das Vorhaben ein als der Präsident selbst.
Wieder und wieder gingen die progressiven Kräfte dabei Kompromisse ein. Während der Haushaltsverhandlungen legten sie den frisch gewählten demokratischen Präsidenten weder auf die Einführung einer allgemeinen gesetzlichen Krankenversicherung (Medicare for All) fest noch auf einen Green New Deal oder die Abschaffung der Milliardärsklasse durch gezielte Steuergesetze. Nachdem sie ihr ursprüngliches Vorhaben aufgegeben hatten, mindestens sechs Billionen US-Dollar für die Bekämpfung ökonomischer Ungleichheit, die Bewältigung der Klimakrise und den Umbau der Wirtschaft für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts in die Hand zu nehmen, begnügten sie sich mit den 3,5 Billionen, von denen ihnen Biden und Spitzenpolitiker*innen ihrer Partei in Haus und Senat versicherten, sie seien realistisch.
Sanders und seine Verbündeten haben sich darauf eingelassen, dass zwei Gesetzesvorhaben miteinander verknüpft werden: einerseits die Bereitstellung von 3,5 Billionen US-Dollar für die Pflege alter Personen und Menschen mit Behinderung, für bezahlte Elternzeit und Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall, für die Bekämpfung von Kinderarmut, kostenlose Hochschulbildung an Community Colleges und eine wirksame Antwort auf die drohende ökologische Katastrophe; andererseits ein parteiübergreifend getragenes Infrastrukturvorhaben, ein Steckenpferd konservativer Demokrat*innen und zahlreicher Republikaner*innen.
Während die progressiven Abgeordneten redlich verhandelten, missachteten zwei der konservativsten und unternehmensfreundlichsten Mitglieder der demokratischen Fraktion im Senat – Joe Manchin (West Virginia) und Kyrsten Sinema (Arizona) – frühere Vereinbarungen und forderten Biden auf, sein Vorhaben zu verkleinern. Um die Kohleindustrie zu besänftigen, der Manchin und seine Wahlkampfspender*innen eng verbunden sind, wurde mit dem Clean Electricity Performance Program (CEPP) eine bedeutende klimapolitische Initiative gestrichen, die Anreize und gesetzliche Regelungen vorgesehen hätte, um Versorgungsunternehmen zur Umstellung auf erneuerbare Energien zu motivieren. Eine Gesetzesvorlage zur Preissenkung verschreibungspflichtiger Medikamente wurde auf Betreiben der neuen Lieblingssenatorin der Pharmaindustrie, Kyrsten Sinema, verwässert. Eine Gesetzesvorlage zur bezahlten Elternzeit und zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall wurde verworfen. Dasselbe gilt für die überaus beliebten Vorschläge, den Versicherungsumfang des hauptsächlich von älteren Menschen in Anspruch genommenen Medicare-Programms auf die Augen- und Zahnbehandlungen auszuweiten.
Ende Oktober war der ambitionierte Plan über 3,5 Billionen US-Dollar auf 1,75 Billionen geschrumpft. Er wird voraussichtlich noch immer viele erfreuliche Neuerungen enthalten: eine allgemeine, kostenlose Vorschule für Kinder im Alter von drei und vier Jahren, die Ausweitung des Leistungsumfangs des auf Geringverdienende ausgelegten Medicaid-Programms auf die häusliche Pflege von Alten und Menschen mit Behinderung, eine Anhebung der steuerlichen Kinderfreibeträge, 150 Milliarden US-Dollar für bezahlbaren Wohnraum, eine Sondersteuer für Milliardär*innen und einen Mindeststeuersatz für Unternehmen. Nun sahen sich die fortschrittlichen Kräfte plötzlich genötigt, für einen Bruchteil dessen kämpfen, was sie ursprünglich angestrebt hatten.
Zu spät zu wenig gefordert
Erst in den entscheidenden letzten Phasen des langen Verhandlungsprozesses in der Demokratischen Partei, als Biden einen «Rahmenplan» ins Spiel brachte, der weder Details noch verbindliche Zusagen von Manchin und Sinema enthielt, zogen die Progressiven die Notbremse. Sanders machte deutlich, dass er und einige Abgeordnete des Repräsentantenhauses dem Biden-Plan nur dann zustimmen, wenn weitere Zugeständnisse an die Senator*innen vom rechten Parteiflügel ausgeschlossen werden. Eine gute Entscheidung, aber nicht gerade ermutigend. Anstatt hart zu verhandeln, forderten die linken Abgeordneten lediglich Klarheit. Dies gilt nicht nur für die Politiker*innen in Washington. Auch außerparlamentarische linke Gruppen und fortschrittliche Gewerkschaften waren so sehr in den Prozess eingebunden, dass sie sich auf Bidens Rahmen beschränkten und keine größeren, weiter reichenden Verbesserungen in Angriff nahmen.
«Fortschrittliche Kräfte im Kongress haben im vergangenen Jahr entscheidend dafür gesorgt, dass Bidens ‹Build Back Better Act› nicht scheitert, und das angesichts einer millionenschweren Lobbykampagne des Großkapitals, die das Vorhaben im Keim ersticken sollte», hieß es Ende Oktober in einem Statement zahlreicher progressiver Vereinigungen, darunter die Working Families Party, die Justice Democrats, Greenpeace USA, die National Organization for Women, Our Revolution und People’s Action. Sie riefen dazu auf, «standhaft zu bleiben», um «das bestmögliche Paket» auszuhandeln.
Das klingt nicht gerade nach einem Protestaufruf, um radikale Veränderungen zu erringen, wie sie im Nachgang einer Pandemie notwendig wären, die über 700 000 US-Amerikaner*innen das Leben gekostet und Millionen Menschen in ökonomische Unsicherheit gestürzt hat. Und es war mit Sicherheit kein kämpferischer Aufruf für angemessene Maßnahmen zur Bewältigung der riesigen Herausforderungen, die sich mit der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich, dem immer dringlicheren Ausstieg aus der fossilen Energie und den seit 400 Jahren ungehört verhallenden Forderungen Schwarzer Amerikaner*innen nach Gerechtigkeit stellen.
Die Tradition demokratischer Kompromisse
Es ist nicht das erste Mal, dass die Linke einem demokratischen Präsidenten zum Erfolg verhelfen will und darüber vergisst, ihn zu notwendigen und populären Entscheidungen im Sinne der sozialen Bewegungen zu drängen. Dieses Verhalten schwächt nicht nur die breitere gesellschaftspolitische Strategie der Linken, sondern verschlechtert auch die Aussichten der Demokrat*innen im Kampf gegen immer rechter und reaktionärer auftretende Republikaner*innen. Genau das hat sich in den letzten 50 Jahren immer wieder gezeigt.
Als Jimmy Carter 1976 ins Amt kam und damit acht chaotische Jahre republikanischer Präsidentschaft unter Richard Nixon und Gerald Ford beendete, schien alles möglich. Die Demokrat*innen kontrollierten nicht nur das Weiße Haus, sondern auch den Kongress. Dennoch spielte Carter auf Nummer sicher, als er sich weigerte, dem Drängen von Senator Ted Kennedy und linker Gewerkschafter*innen nachzugeben, die der damals herrschenden Rezession mit einer keynesianischen Investitionspolitik begegnen wollten, um Arbeitsplätze zu schaffen und Gesundheit, Bildung und Infrastruktur zu stärken. Nach den ersten zwei Jahren von Carters Präsidentschaft verloren die Demokrat*innen drei Sitze im Senat und 15 Sitze im Repräsentantenhaus, was Carters Position schwächte und die Voraussetzungen für seine Niederlage gegen Ronald Reagan im Wahljahr 1980 schuf, in dem auch der Senat an die Republikaner*innen fiel.
Nach Jahren des Wiederaufbaus kamen die Demokrat*innen 1992 erneut an die Macht und kontrollierten abermals das Weiße Haus und den Kongress. Leider war Präsident Clinton jedoch ein «Neuer Demokrat», der gemeinsam mit der Wall Street eine «Freihandelsagenda» implementierte, die von den Wähler*innen der Arbeiterklasse, die der Partei seit der Roosevelt-Ära treu geblieben waren, abgelehnt wurde. Clinton verkündete «das Ende der Ära des starken Staates» und kassierte schließlich sowohl wohlfahrtsstaatliche Absicherungen als auch wirtschaftliche Regulierungsmaßnahmen, die auf Franklin Roosevelts New Deal zurückgingen. 1994 legten die Republikaner*innen im Senat um acht, im Abgeordnetenhaus um 54 Sitze zu und erlangten so das erste Mal seit 1952 die vollständige Kontrolle über den Kongress. Clinton beugte sich die nächsten sechs Jahre Newt Gingrich, dem Sprecher des Repräsentantenhauses, und einer zunehmend konservativen Republikanischen Partei. Am Ende verloren die Demokrat*innen im Jahr 2000 das Präsidentschaftsamt, obwohl Al Gore die meisten Stimmen auf sich vereinen konnte.
Nach den verheerenden Jahren unter George W. Bush und seinem Vizepräsident Dick Cheney kamen die Demokrat*innen 2008 erneut an die Macht und kontrollierten wieder das Weiße Haus und den Kongress. Doch ihre kraftlose Antwort auf die Immobilienkrise und die Massenarbeitslosigkeit während der Großen Rezession verschaffte den Republikaner*innen die Gelegenheit, bei den Zwischenwahlen 2010 im Repräsentantenhaus 63 Sitze hinzuzugewinnen und so die Mehrheit in dieser Kammer zu erlangen. 2014 errangen sie auch eine Senatsmehrheit. Präsident Obama war am Ende seiner Amtszeit so geschwächt, dass er nicht einmal mehr seine letzte Nominierung für den Obersten Gerichtshof durchsetzen konnte. Mit dem Amtsantritt Donald Trumps übertrugen die Wähler*innen der Republikanischen Partei die volle Regierungsgewalt.
Trump regierte auf so destruktive Weise, dass sich die Wählerschaft von ihm und seiner Partei abwandte. Gleichwohl bleiben die USA in parteipolitischer und ideologischer Hinsicht gespalten. Biden hat die Wahlen zwar gewonnen. Doch Trump erhielt 2020 mehr als 74 Millionen Stimmen – das zweithöchste Ergebnis aller Präsidentschaftskandidat*innen in der Geschichte des Landes. Für eine Mehrheit im Electoral College und die Bestätigung im Amt fehlten Trump in einigen umkämpften Bundesstaaten weniger als 50 000 Stimmen. Im Senat herrscht mit je 50 Sitzen für beide Seiten eine Pattsituation. Die Demokrat*innen kontrollieren diese Kammer nur, weil Vizepräsidentin Kamala Harris kraft ihres Amtes befugt ist, den Gleichstand zugunsten ihrer Partei aufzulösen.
Wenn die Demokrat*innen ihre Wahlversprechen von 2020 nicht einhalten, ist es gut möglich, dass ihnen die Wählerschaft im kommenden Jahr den Rücken kehrt. Unter diesen Umständen könnten das Repräsentantenhaus und der Senat bei den Zwischenwahlen 2022 wieder an die Republikaner*innen fallen. Sollte dieser Fall eintreten, könnten sich die Republikaner*innen in ihrer Entschlossenheit bestärkt sehen, die Macht mit allen Mitteln zurückzuerobern. Darauf weist die Anfechtung der letzten Wahlergebnisse ebenso hin wie die durchsichtigen Versuche, jungen Leuten und People of Color zukünftig die Wahlbeteiligung zu erschweren. Das Jahr 2024 könnte uns dann die Rückkehr Donald Trumps ins Weiße Haus bescheren.
Eine Alternative zur Politik der Kompromisse und Zugeständnisse
Dadurch ist für die Linke eine bedrohliche Dynamik entstanden. Aktivist*innen sind sich im Klaren darüber, dass die Demokrat*innen mehr tun sollten, um das Leid von Millionen schwer gebeutelten US-Amerikaner*innen zu lindern und das Land in eine progressive Richtung zu führen. Gleichwohl halten sie sich mit Angriffen auf den Präsidenten und seine Partei zurück, weil sie die einzige Alternative zu Trump und seiner Ideologie darstellen. Die Konsequenz ist, dass Demonstrationen, Versammlungen und Straßenproteste mit einer dezidiert linken Stoßrichtung relativ dünn gesät und linke Forderungen in der Öffentlichkeit kaum wahrnehmbar sind. Das gilt auch für alternative politische Vorschläge, die geeignet wären, die derzeitige Regierung auf einen mutigeren Kurs zu bringen. In einer stabilen Mehrparteiendemokratie könnten linke Wähler*innen grüne oder sozialistische Parteien unterstützen, um den Druck auf die Demokrat*innen zu erhöhen – sei es als Teil einer gemeinsamen Regierungskoalition oder aus der Opposition. In den USA funktioniert das aber nicht.
Einmal mehr finden sich die Linken in einer Auseinandersetzung um die Ausrichtung der Demokratischen Partei wieder, deren Wahlkämpfe in hohem Maß von Großspenden aus der Wirtschaft abhängen und die mit einer ängstlichen, fantasielosen Führung geschlagen ist. Die Frage ist, ob sich die Linke dieses Mal durchsetzen kann – schließlich sind progressive Ideen laut Umfragen so verbreitet wie nie zuvor, junge Aktivist*innen bauen die Democratic Socialists of America (DSA) und die Sunrise Movement zu schlagkräftigen politischen Organisationen auf. Die Notwendigkeit, einer immer mehr in die faschistische Ecke abdriftenden Rechten beherzt entgegenzutreten, ist offensichtlich gegeben.
Die Signale des Jahres 2021 sind widersprüchlich. In den demokratischen Vorwahlen zur Bürgermeisterwahl in New York City konnte mit Eric Adams ein Kandidat der Mitte den Sieg über eine fragmentierte Landschaft linker Kontrahent*innen davontragen. Adams, ein Ex-Polizist, der linke Forderungen nach einer Kürzung des Polizeibudgets kritisierte, attackierte unverzüglich die DSA und ließ verlautbaren: «Ich trete nicht länger gegen Kandidat*innen an. Ich trete gegen eine Bewegung an.» In Boston gewann jedoch einige Wochen später mit Michelle Wu eine junge, progressive Verbündete von Senatorin Elisabeth Warren (Massachusetts) die Bürgermeistervorwahl mit einem multiethnischen Bündnis, das für Polizeireformen, die Beendung rassistischer Benachteiligung und ein umfassendes Programm zur Bekämpfung der für die Ostküstenstädte dringlich gewordenen Klimakrise warb. Kandidat*innen der DSA gewannen wichtige Vorwahlen in Buffalo und anderen Städten, ihre Mitglieder haben inzwischen über 80 kommunale Ämter inne, zusätzlich zu 40 Abgeordnetenmandaten in den Parlamenten der Bundesstaaten und vier in der demokratischen Fraktion des Repräsentantenhauses. Hinzu kommen Hunderte weitere fortschrittliche Abgeordnete, die sich zwar nicht als Sozialist*innen verstehen, aber auf der linken Seite des politischen Spektrums stehen. Der Progressive Caucus im Kongress hat über 95 Mitglieder.
Auf diesem Fundament kann man aufbauen. Doch wenn die Demokratische Partei linke Anliegen ernsthaft umsetzen soll, muss mehr Druck aufgebaut werden. Die Zwischenwahlen von 2022 sind daher entscheidend. Einige Dutzend junge – und eine Handvoll ältere – Linke beginnen bereits mit ihren Wahlkämpfen, wobei sie von der DSA, den Justice Democrats, Organisationen wie MoveOn und Democracy for America sowie der Gruppe Our Revolution, die aus der Sanders-Kampagne hervorgegangen ist, unterstützt werden. Wenn jedoch irgendeine Hoffnung darauf bestehen soll, dass die Parteispitze die linke Parteibasis auch wirklich vertritt, wird die Zahl dieser Aktivist*innen exponentiell wachsen müssen.
Sanders hat die Hoffnung auf eine politische Revolution trotz aller Enttäuschungen über Bidens erstes Amtsjahr nicht aufgegeben. Warum sollte er auch? Ihm und seinen Unterstützer*innen ist es gelungen, die Politik der Demokratischen Partei und des ganzen Landes weiter nach links zu verschieben, als es sich die meisten vor seinem Wahlkampf 2016 erträumt hätten. Vor seinen Augen vollzog sich der Aufstieg seiner jungen Unterstützer*innen zu einer hochdynamischen Strömung der Partei. Vor einigen Jahren interviewte ich für meinen Podcast Next Left frisch gewählte Abgeordnete auf Bundes-, Bundesstaaten- und kommunaler Ebene. Durch die Bank äußerten sich diese jungen Mandatsträger*innen ähnlich wie die demokratische Sozialistin Rossana Rodriguez Sanchez nach ihrem erfolgreichen Einzug in den Stadtrat von Chicago: «Ich denke, Bernie ist es gelungen, diese Ideen in die Welt zu setzen. Und das hat vielen von uns den Weg gebahnt und es uns ermöglicht, selbst zu kandidieren.» Sanders freute sich, als ich ihm von diesem Gespräch berichtete: «Ich habe 2016 in allen meinen Reden den jungen Leuten und allen, die da waren, den Arbeiter*innen, die da waren, gesagt: Engagiert euch in der Politik; kandidiert für Ämter, egal, ob für den Schulausschuss, ein Parlament, einen Stadtrat, den Kongress, für was auch immer.»
Sanders weiter: «Ich komme überall im Land herum und bin sehr zufrieden, wenn auf einer Veranstaltung jemand zu mir kommt und sagt: ‹Bernie, ich habe mich für den Schulausschuss aufstellen lassen und wurde gewählt› oder ‹Ich wurde in den Stadtrat gewählt›. Das ist fantastisch. Das gehört definitiv zur politischen Revolution dazu.»
Die entscheidende Frage für Sanders und die ganze amerikanische Linke ist, ob man die Demokratische Partei verändern kann. Wenn ja, dann ist jetzt mit Sicherheit der Zeitpunkt gekommen, den wichtigsten Kampf um die Seele der Partei führen, den sie in ihrer Geschichte erlebt hat. Wenn sie sich nicht verändert, wird nicht nur die Linke, sondern werden die USA insgesamt – und vielleicht die ganze Welt – das Versagen eines Zweiparteiensystems zu spüren bekommen, in dem die Alternative Donald Trump heißt.
John Nichols ist Korrespondent für nationale Angelegenheiten von The Nation und Autor des neuen Buches The Fight for the Soul of the Democratic Party: The Enduring Legacy of Henry Wallace’s Anti-Fascist, Anti-Racist Politics (Verso). Übersetzung von Maximilian Hauer und André Hansen für Gegensatz Translation Collective