Warum der Austritt Großbritanniens aus der EU keine gute Nachricht für die Linke in Europa ist
Die zerstörende Politik der Austerität in den Ländern Südeuropas, der direkt durch das EU-Assoziationsabkommen ausgelöste Krieg in der Ukraine, das Versagen im Umgang mit den aktuellen Migrationsbewegungen, das durch Abschottung verursachte tausendfache Sterben im Mittelmeer, die Abwendung von den europäischen Sozialstaatsmodellen, die ständig wachsende soziale Ungleichheit in Europa: Die Liste des Versagens der Europäischen Union (EU) war nie länger als im Sommer 2016.
Die rein neoliberal geprägte und auf kurzfristige Gewinnmaximierung ausgerichtete Politik der EU und das gleichzeitige Versagen des europäischen Projekts, das nach 1945 Frieden und nach 1989 endlich ein geeintes Europa bringen sollte, hat dem europäischen Gedanken mehr geschadet als genützt. Nichts anderes zeigt der Ausgang des Referendums in Großbritannien.
Ein positiver Befreiungsschlag aus dieser Situation ist das Votum aber nicht. Denn die Britinnen und Briten haben nicht für den Brexit gestimmt, weil sie ein sozialeres Europa ohne Kriege wollen. Im Gegenteil: Sie haben zum einen gegen den Verbleib in der EU gestimmt, weil sie sich stärker gegen Migrationsbewegungen abschotten wollen. Die britische Regierung hat immer wieder erklärt, dies sei innerhalb der EU nicht machbar. Und sie haben zum anderen gegen die EU gestimmt, weil sie «ihren» britischen Nationalstaat zurück haben wollen, wie sie ihn aus der vergleichsweise reichen und weltweit einflussreichen Post-Ära des Commonwealth in Erinnerung haben.
Nun könnte man murmeln, bereits Margret Thatcher, die wie keine andere diese Ära verkörperte, hat immer für einen Sonderweg der Insel in der EU verhandelt – und das durchaus erfolgreich etwa hinsichtlich der britischen Mitgliedsbeiträge. Doch das allein hat der Mehrheit der Britinnen und Briten nicht gereicht. Es ging ihr um ein Zurück zum Nationalstaat. Einem Nationalstaat, der in diesem konkreten Fall in und außerhalb stets an blutigen Konflikten beteiligt war, man denke an Nordirland, Irak oder die ehemaligen britischen Kolonien beispielsweise in Afrika. An dieser Fixierung wird der Nationalismus deutlich, der die Abstimmung dominiert hat: Die Kampagne der EU-GegnerInnen war und ist ein rassistisches, unsolidarisches und in gewissem Sinne auch egoistisches Projekt. Sie wendete sich gegen ein solidarisches und friedliches Europa der offenen Grenzen.
Bezeichnend ist, dass gerade in den sonst stets nach Unabhängigkeit strebenden Regionen Schottland und Nordirland mit großer Mehrheit für einen Verbleib in der EU gestimmt wurde. Hier zeigt sich deutlich die Furcht vor der Rückkehr zu einer Politik des British Empire.
Das Brexit-Votum wird die Zentrifugalkräfte in Europa und die rechte Hegemonie verschärfen. «Look who is clapping», heißt es heute auf Twitter. Es applaudieren Marine Le Pen, Donald Trump und Geert Wilders. Das deutet bereits auf das sehr wahrscheinliche Erstarken nationalistischer und xenophober Kräfte in Europa hin, das durch den Ausgang des Referendums befeuert wird.
In Frankreich wird die nächste Entscheidung um Europa fallen. Die linken Massenstreiks auf der einen und die Wahlerfolge des Front National auf der anderen Seite zeigen deutlich, dass das Land in der EU-Architektur von Merkel und Sarkozy schon länger nicht mehr fest verankert ist. Aber auch in der europäischen Peripherie, insbesondere auf dem Balkan, gibt es nahezu unbemerkt Massenproteste gegen soziale Ungleichheit und Austerität.
Nur wenn die Linke in diesen EU-kritischen Bewegungen stärker wird und die soziale Frage von links beantwortet, lässt sich das Projekt eines geeinten Europas retten. Vielleicht kann das pro-europäische Ergebnis in Schottland als Indikator dafür gesehen werden, dass ein mehr an Demokratie vor Ort das Vertrauen in multilaterale Organisationen wieder stärken kann. Dafür muss sich Europa verändern.
In diesem neuen europäischen Projekt muss es entsprechend primär um Demokratie gehen, auch wenn die EU in ihrer derzeitigen Gestalt als nahezu unreformierbar erscheint.
Das geht zur Not auch ohne Großbritannien. Eine breite Brücke – über die dann auch gefahrlos Flüchtende gehen könnten – über den Ärmelkanal auf die Insel wäre jedoch besser gewesen.