April 14, 2021

Für mehr Feminismus in der Frauenrechtskommission: Eine Bilanz der 65. Tagung

Eleanor Blomstrom

Bei der 65. Tagung der Frauenrechtskommission (Commission on the Status of Women, CSW) einigten sich die Teilnehmer*innen im Konsens über eine Abschlusserklärung (Agreed Conclusions) mit dem folgenden Ziel: «Volle und wirksame Teilhabe der Frauen am öffentlichen Leben und seinen Entscheidungsprozessen sowie Beseitigung der Gewalt mit dem Ziel der Gleichstellung der Geschlechter und der Stärkung aller Frauen und Mädchen.»

Zweifelsohne wird die Abschlusserklärung sowohl den Multilateralismus voranbringen als auch staatliche Gleichstellungsprogramme sowie die Durchsetzung von Menschenrechten für Frauen und Mädchen. Allerdings gibt das einfache Statement kein vollständiges Bild darüber, wie schwer es war, einen Konsens zu finden. Weder sind dem Abschlusstext die zwischenzeitlichen Auseinandersetzungen und Kapitulationen anzusehen noch gehen aus ihm die zur Umsetzung der Ziele nötigen Handlungsschritte oder die Höhe der finanziellen Mittel hervor.

Das Engagement feministischer Organisationen – oder von Regierungen mit einer feministischen Führung und Außenpolitik – sind keine Garantie für einen feministischen Ablauf oder Ausgang. Die 65. CSW, die vom 15. bis 26. März stattfand, war ein eindeutiges Beispiel dafür.

Auch 2021 unterschieden sich die Streitfragen nicht maßgeblich von denen voriger Jahre, allerdings war die Atmosphäre eine andere. Viele Teilnehmer*innen hegten positive Erwartungen mit Hinblick auf den Einfluss einer progressiveren US-Regierung unter Biden. Zugleich bereiteten die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie Sorgen bezüglich Teilnahme und Zugänglichkeit dieser erstmals gänzlich virtuellen CSW.

Eine progressivere Abschlusserklärung dank des Einsatzes von Feminist*innen

Wie üblich begann die CSW mit dem Bericht des UN-Generalsekretärs und dem als «Zero Draft» bezeichneten ersten Entwurf der Abschlusserklärung, der im Februar an die Mitgliedstaaten übermittelt worden war.

Feminist*innen, die sich mit der CSW befassen, sind mit den Herausforderungen der Tagung in Bezug auf Zugänglichkeit und den Widerstand gegen progressive Politik vertraut. Gemeinsam mit progressiven Regierungen setzen wir uns für feministische Perspektiven in Schlüsselfragen wie den folgenden ein: Menschenrechtsverteidigerinnen (women human rights defenders, WHRD); gesellschaftliche Partizipation von Mädchen; Arbeitsrecht; sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte (sexual and reproductive health and rights, SRHR); geschlechtsspezifische Gewalt und Gewalt in der Beziehung; multiple und intersektionale Diskriminierung; sexuelle Orientierung, Geschlechtsidentität, Geschlechtsausdruck und Geschlechtsmerkmale (sexual orientation, gender identity and expression, and sex characteristics, SOGIESC); und Diversität. 

Autoritäre Regierungen und die Anti-Gender-Bewegung waren in der 65. CSW stark vertreten. Die Russische Föderation, der Heilige Stuhl, das Königreich Saudi-Arabien, Bahrain und Kuba wehrten sich mit am vehementesten gegen Formulierungen, in denen von geschlechtsspezifischer Gewalt statt Gewalt gegen Frauen und Mädchen die Rede war und lehnten bestimmte Inhalte zu Menschenrechten, Diversität, der Teilhabe von Mädchen sowie SRHR ab. Insbesondere China stellte sich gegen Inhalte, in denen auf Menschenrechtsverteidigerinnen Bezug genommen wurde.

Zu den progressiveren Regierungen zählten die Santiago-Gruppe, die «Mountains»-Gruppe, die EU, das Pazifische Inselforum (PIF) sowie – in einer entschlossenen und willkommenen Rückkehr zu progressiven Inhalten in Bezug auf Frauenrechte – die USA. Diese Länder zogen immer wieder Feminist*innen zurate, um unsere Forderungen und Prioritäten einzuholen. Einige davon flossen in die ersten Entwürfe der Abschlusserklärung ein, so etwa in folgenden Beispielen:

  •  «Alle Frauen und Mädchen in all ihrer Diversität»
  • «Sorge … um zunehmende Repressalien gegenüber Menschenrechtsverteidigerinnen»
  • «…Frauen in der Politik, Mitglieder von Frauenorganisationen, feministische Bewegungen, Menschenrechtsverteidigerinnen, Journalistinnen, Akteurinnen in Friedensprozessen, Gewerkschaftlerinnen… sind vor jeglicher Form der Gewalt oder sexuellen Belästigung, Bedrohungen oder Repressionen für ihre Teilhabe am öffentlichen Leben, inklusive in digitalen Kontexten, zu schützen»
  •  «Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte» (insbesondere als entscheidender Faktor in Bezug auf Teilhabe)
  • «Die volle, gleichberechtigte, wirksame und produktive Teilhabe der Frauen am öffentlichen Leben und seinen Entscheidungsprozessen sowie die Beseitigung sämtlicher Formen der Diskriminierung und sexuellen und geschlechtsspezifischen Gewalt in öffentlichen und privaten Sphären»
  •  «Ratifizierung und Umsetzung des ILO-Übereinkommens 190 über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt»

Verhandlungen im digitalen Raum: Kompromisse und Herausforderungen – Machtgefälle und wirksame Teilhabe

Der digitale Raum hätte das Spielfeld ebnen und Vertreter*innen von Mitgliedsstaaten und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen die Teilnahme erleichtern können, für die die Anreise zum UN-Sitz in New York möglicherweise eine finanzielle Herausforderung darstellt. Wie eine feministische Kollegin allerdings feststellte, sind technologische Barrieren die neue Form abgelehnter Visumsanträge (die in der Vergangenheit ein großes Hindernis für zivilgesellschaftliche Teilnehmer*innen dargestellt haben).

Russland bestand durchgehend auf die Abschwächung von Formulierungen, die Geschlechterstereotype beschrieben, und unterstrich ein konservatives Verständnis der «Kernfamilie», ohne zu reflektieren, inwiefern auch in dieser die Sicherheit von Frauen und Mädchen gefährdet sein kann. Darüber hinaus strich Russland die Forderung der Teilhabe von Mädchen an Entscheidungsprozessen aus dem Dokument und zählte die Erwähnungen von Menschenrechten und Ausdrücken wie «geschlechtergerecht» (gender-responsive), um ihr Gewicht einzudämmen. Inhalte aus Übereinkommen, die in Generalversammlungen zu COVID-19 getroffen wurden, lehnte Russland ab. Das Land wurde von mehreren Einzelstaaten unterstützt.

Leider gewährten die Sitzungsleiter*innen einzelnen Staaten den gleichen Status wie den Zusammenschlüssen von Ländern, die ihre Bemühungen koordiniert hatten, wie z.B. die Santiago-Gruppe, Mountains, EU und PIF. Russland konnte sich zumeist selbst bei Themen durchsetzen, in denen das Land isoliert dastand, und verhinderte, dass Absätze mit progressiveren, feministischen Formulierungen geschlossen wurden.

Bei schwindender Zeit konnte man sich in der zweiten Verhandlungswoche nur auf eine Handvoll Paragraphen ad ref einigen, so dass die umstritteneren Fragen offen blieben. Progressive Regierungen begannen, Zugeständnisse zu machen, um zu einem Konsens zu gelangen. Mit sorgenvollem Blick auf die knappe Zeit und die drohende Aussicht, dass keine Abschlusserklärung zustande kommen würde, schlossen die Sitzungsleiter*innen die Verhandlungen und der Vorsitzende sowie «UN Women» bereiteten ein Abschlussdokument vor, das sich fast ausschließlich auf bereits abgesegnete Inhalte für die noch offenen Paragraphen stützte und die Bedenken Russlands und anderer Teilnehmer widerspiegelte. So verunmöglichte es jeden signifikanteren Fortschritt in Bezug auf Frauenrechte und Gleichstellung, wie er zu Beginn der Verhandlungen noch zu erhoffen war.

Der digitale Raum stellte sich als Hindernis für die Echtzeitkoordination zwischen progressiven Staaten heraus und erschwerte zudem die direkte Verständigung zu komplizierten Themen, bei denen man möglicherweise auf die Unterstützung vermittelnder Länder z.B. aus der Afrika-Gruppe, der Karibischen Gemeinschaft (CARICOM) hätte zählen können. Die Delegierten in den Hauptstädten waren nicht immer mit den Vertreter*innen in New York synchronisiert, was sowohl an der Teilnahmebegrenzung am digitalen Treffen als auch an den unterschiedlichen Zeitzonen lag.

Zudem entpuppte sich der digitale Raum als maßgebliches Hindernis für die Teilnahme feministischer Akteur*innen aus der Zivilgesellschaft und trug dazu bei, dass die zivilgesellschaftliche Partizipation abnahm. Eine Handvoll Mitgliedstaaten schlossen zwar zivilgesellschaftliche Teilnehmer*innen in ihre Delegationen mit ein, doch diese hatten kaum Zugang zu den Verhandlungen, was Rücksprachen erschwerte und mit mangelnder technischer Unterstützung einherging. Ohne die Möglichkeit, sich auf den Fluren zu treffen, konnten Feminist*innen nicht direkt mit ihren Abgeordneten kommunizieren.

Bei Themen wie Menschenrechtsverteidigerinnen, sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte, Mädchenrechte, unbezahlte Sorgearbeit und Arbeitsrecht haben wir trotz dieser Pushbacks seit der CSW63 keine rückschrittliche Entwicklung gemacht. Zugleich können wir kaum Fortschritte vorweisen – weder in Bezug auf die genannten Fragen noch in anderen strukturellen und internationalen Fragen wie Klimawandel, finanzielle Mittel, öffentliche Dienstleistungen und sozialer Schutz. Mit Bezug auf das Schwerpunktthema gibt es aber einige Lichtblicke:

  • Die Feststellung, dass Online-Plattformen sowohl Risiken als auch Möglichkeiten bergen. Sie ermöglichen die Teilhabe von Frauen und Mädchen an Entscheidungsprozessen und erfordern gleichzeitig Maßnahmen, um ihre gewalt- und belästigungsfreie Nutzung zu gewährleisten
  • Einbeziehung der erschwerenden, unverhältnismäßigen Auswirkungen von COVID-19 auf die volle und effektive Teilhabe von Frauen am öffentlichen Leben und an Entscheidungsprozessen
  • Einige Fortschritte in der Inklusion von Mädchen und jungen Frauen
  • Gleicher Lohn für gleiche Arbeit wurde konsequenter eingesetzt

Eine feministischere Frauenrechtskommission ist möglich

Egal, ob die CSW virtuell oder vor Ort stattfindet: Sie ist die zentrale Stelle zur Analyse und Förderung der Geschlechtergleichstellung und der Sicherung von Menschenrechten für alle Frauen und Mädchen. Um diese Ziele zu erreichen, muss sie integrativer und feministischer werden. Dies kann auf folgendem Weg passieren:

Mitgliedstaaten …

  • … beziehen zivilgesellschaftliche Teilnehmer*innen in sämtliche Delegation mit ein und gewähren ihnen Zutritt zu den Verhandlungen. Delegationen mit einer solchen Zusammensetzung werden in den Vordergrund gestellt.
  • … aktualisieren die Arbeitsmethoden der CSW, um eine wirksame Teilhabe zivilgesellschaftlicher Akteur*innen zu gewährleisten, inklusive der Zulassung von zivilgesellschaftlichen Beobachter*innen in den Verhandlungsräumen. Zur Teilnahme an den Diskussionen werden spezifische Mechanismen erarbeitet.
  • … organisieren weit im Voraus stattfindende regionale Vorbereitungstreffen unter wirksamer Beteiligung der Zivilgesellschaft, um den Dialog über regionale Themen und eine engere Zusammenarbeit mit Feminist*innen vor Ort und auf Graswurzelebene zu gewährleisten.

UN Women …

  • … stellen digitale Räume zur Verfügung, in denen Regierungen und zivilgesellschaftliche Teilnehmer*innen sich vor und während der CSW treffen und austauschen können. Sie stellen sicher, dass die Plattform auch für Teilnehmer*innen mit Zugang zu einer geringen Bandbreite funktioniert.
  • … arbeiten weiter an der Umsetzung der CSW Ziele «vor Ort», schaffen Zugangspunkte für feministische zivilgesellschaftliche Teilnehmer*innen und suchen gezielt den Kontakt mit Länderdelegationen und deren Verhandlungen.
  • … tauschen sich vor und während der CSW regelmäßig mit zivilgesellschaftlichen feministischen Teilnehmer*innen aus, um ihre Prioritäten zu kennen.

Mit diesen zentralen Maßnahmen können wir die CSW zu dem inklusiven, progressiven und feministischen Raum machen, den es zum Schutz und Förderung der Rechte von Frauen und Mädchen auf der ganzen Welt braucht.

Eleanor Blomstrom ist leitende Programmbeauftragte bei der International Women’s Health Coalition.

[Übersetzung von Charlotte Thießen & Lisa Jeschke für Gegensatz Translation Collective]


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