Klimanotstand, postpandemische Konjunkturflaute und bedrohliche Verschuldung vieler Länder im globalen Süden – die Welt steckt in einer Polykrise. Verfechter des Kapitalismus wollen uns weismachen, eine langsame Erholung sei im Gange. In Wirklichkeit aber sind die obszöne Armut und zunehmende Ungleichheit Dauerprobleme. Indessen verdoppelten die zehn reichsten Männer der Welt während der Corona-Pandemie ihr Vermögen.
Vor vier Jahren, auf dem Höhepunkt der Pandemie, beschlossen Regierungen, orientiert an den Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs), ein „build back better“. Aus dem Versprechen, mit den SDGs „niemanden zurückzulassen“, wurde es bisher aber nichts, und die anfängliche Begeisterung darüber ist der Ernüchterung gewichen. Denn die Ergebnisse sind enttäuschend. Es wird kritisch für die SDGs. Statt einer Blaupause für den Wandel, als die die 2030 Agenda for Sustainable Development galt, wirkt sie jetzt eher wie ein amateurhafter Geschäftsplan. In diesem Zusammenhang veranstalten die Vereinten Nationen einen Summit of the Future, der sich einigen dieser Widersprüche stellen will. Welchen Hintergrund also hat der Zukunftsgipfel, worauf zielt er ab, was dürfen wir von ihm erwarten, und welche Hoffnungen knüpfen sich an ihn?
Voller Einsatz für die nachhaltigen Entwicklungsziele
Als die Pandemie im Jahr 2020 schon ein paar Monate im Gange war, beauftragten die Mitgliedstaaten den UN-Generalsekretär António Guterres, Empfehlungen zur Bewältigung aktueller und zukünftiger globaler Herausforderungen zu erarbeiten. Im September 2021 legte er seinen Bericht Our Common Agenda (OCA) vor. Eingeräumt wird darin, dass die SDGs weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben seien, und es wird betont, dass die Umsetzung der SDGs „beschleunigt“ und die globalen Governance-Strukturen reformiert werden müssten. Er rief zu einem Summit of the Future (SoTF) in diesem Jahr auf. Dabei soll es zu einem neuen globalen Konsens über die Zukunft und Wege dorthin kommen. Ziel ist es, die UN-Charta zu bekräftigen, die Umsetzung bestehender Verpflichtungen voranzutreiben, sich auf Lösungen für neue Herausforderungen zu einigen und das Vertrauen in das multilaterale System wiederherzustellen.
Der SoTF ist der ultimative Rettungsplan für die SDGs. Er soll die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Agenda 2030 ein Erfolg wird. Er soll das Vertrauen in die Institutionen der Weltordnungspolitik wiederherstellen, und das ganz besonders in die Vereinten Nationen, die es nach schweren Rückschlägen in Bezug auf ihre Glaubwürdigkeit und Effizienz dringend nötig haben.
Der Nachhaltigkeitsgipfel vom vergangenen Jahr war Teil des Vorbereitungsprozesses für den SoTF. Zwar wurden die auf der Hand liegenden Defizite der SDGs direkt angesprochen. Aber konkrete Vorschläge, die den Forderungen nach „mutigen, ehrgeizigen, beschleunigten, gerechten und transformativen Maßnahmen“ Nachdruck verliehen hätten, blieben aus. Der UN-Generalsekretär rief zur Unterstützung seines SDG-Schnellumsetzungsplans zur Finanzierung eines 500-Milliarden-Dollar-Konjunkturpakets auf. Solch ein Vorhaben könnte die Industrieländer vielleicht doch noch ans Ziel bringen, das heißt mehr Arbeitsplätze schaffen, für bessere soziale Absicherung sorgen und den Fonds für klimabedingte Schäden so bestücken, dass den am Schwersten getroffenen Bevölkerungsgruppen in Entwicklungsländern Wiederaufbauhilfe zukommt.
Die Arbeit am SoTF begann 2023 mit vorbereitenden Treffen und Konsultationen mit UN-Mitgliedstaaten, regionalen Gruppierungen und verschiedenen Interessengruppen. Das Büro des UN-Generalsekretärs erstellte 11 Strategiepapiere mit Vorschlägen zu einer breiten Themenpalette. Sie umfasst Bildungsreformen, Jugendbeteiligung, eine New Agenda for Peace, die Einrichtung einer gemeinsamen Plattform für Notfälle, eine neue Metrik der Entwicklung, die Regulierung digitaler Technologien, die Reform der internationalen Finanzarchitektur, den Weltraum und eine revitalisierte UN 2.0. Der Generalsekretär setzte sogar einen hochrangigen Beirat, das High-Level Advisory Board on Effective Multilateralism, ein, der einen Bericht über mögliche Reformen der internationalen Institutionen erstellt hat.
All diese Vorschläge sollen in einen sogenannten Zukunftspakt münden – in Form eines handlungsorientierten Dokuments als Ergebnis zwischenstaatlicher Verhandlungen. Allerdings wird der Pact for the Future, selbst wenn es zu einer Einigung auf umfangreiche Reformen in der globalen Governance kommen sollte, nicht allzu detailliert ausfallen.
Zu Verhandlungsführern für den Pakt wurden Deutschland und Namibia ernannt, für die separaten Verhandlungsschienen im Global Digital Compact Schweden und Sambia und für eine Declaration on Future Generations Jamaika und die Niederlande.
Nicht gerade ein Volltreffer
Die erste Version für den Zukunftspakt wurde am 29. Januar 2024 vorgestellt. Sie war der Startschuss für die zwischenstaatlichen Verhandlungen bis zur Verabschiedung eines endgültigen Textes im September. Beiträge von mehr als 80 Mitgliedstaaten, rund 500 Vertreter:innen der Zivilgesellschaft und anderer Stakeholder flossen in den 20-seitigen Entwurf ein. Damit liegt eine Grundlage für Verhandlungen und Überarbeitungen vor. Der Entwurf ist eine Kombination mehrerer Themenstränge, denen jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet ist:
1. Nachhaltige Entwicklung und Entwicklungsfinanzierung
2. Internationaler Frieden und Sicherheit
3. Wissenschaft, Technologie und Innovation sowie digitale Zusammenarbeit
4. Jugend und zukünftige Generationen
5. Reform der Global Governance
Als Klammer, die diese verschiedenen Stränge zusammenhält, dient der Begriff eines „neuen, inklusiven und vernetzten Multilateralismus“. Er gibt dem Unternehmens- und Wirtschaftssektor sowie anderen Akteuren wie der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft in der globalen Governance mehr Raum.
Der erste Entwurf bekräftigt die Zustimmung zu einer Reihe von bereits vereinbarten internationalen Grundsätzen, Verträgen und Zielen in den Bereichen Wirtschaft, Umwelt und Entwicklung. Die Mitgliedstaaten begrüßten ihn generell als „guten Ausgangspunkt“ für die Verhandlungen. Kritikpunkte wurden von Entwicklungsländern geäußert, und dabei vor allem das Versäumnis der UN, die Verstöße gegen die UN-Charta im Gazastreifen anzusprechen.
Pakistan erklärte im Namen der gleichgesinnten Entwicklungsländer-Gruppe, der Entwurf habe viele Positionen der Entwicklungsländer „übersehen, verwässert oder oberflächlich dargestellt“. Armutsbeseitigung und Kampf gegen Hunger, die für den globalen Süden wichtig sind, wirken in dem Dokument wie nachträgliche Gedanken.
Kuba forderte die UN auf, auf umfassende Reformen der internationalen Finanzarchitektur im selben Maße zu drängen, wie sie sich vor Jahrzehnten für die Entkolonialisierung eingesetzt haben, entsprechend der Haltung, dass „ein ungerechtes System abzuschaffen ein moralischer Imperativ ist“.
Mehrere Mitgliedstaaten warnten auch vor Überschneidungen bei Verhandlungen über das Abschlussdokument mit anderen laufenden Verfahren. So sind beispielsweise die zwischenstaatlichen Verhandlungen über die Sicherheitsratsreform bereits im Gange. Sie dürfen nicht in die Diskussionen über das Dokument einbezogen werden.
Obwohl die Verhandlungen über das Abschlussdokument ausschließlich von den Mitgliedstaaten geführt werden, können sich andere Gruppen in Sondersitzungen, die die Ko-Moderatoren einberufen werden, mit Kommentaren und Beiträgen einbringen. Angesichts der zunehmenden Vereinnahmung öffentlicher Entscheidungsräume durch Unternehmen ist der Ansatz eines „vernetzten Multilateralismus“ jedoch ein trojanisches Pferd. Denn unter dem Deckmantel von vielseitiger Kooperations- und Partnerschaftsförderung erweckt der „Multistakeholderism“ den Anschein, Regierungen, Menschen und Unternehmen seien gleichberechtigte Entwicklungspartner. In Wirklichkeit sind Regierungen Pflichtenträger, denen Menschen mit individuellen und kollektiven Rechten gegenüberstehen. Die Überbetonung von Multistakeholder-Prozesse ist gefährlich. Denn viele Mitgliedstaaten bekunden lediglich, die Einwürfe ihrer Zivilgesellschaften zu berücksichtigen. Zudem sind es Lobbyisten von Unternehmen, die den Menschen und dem Planeten irreparablen Schaden zufügen und davon auch noch profitieren, und gleichzeitig erheblichen Einfluss auf multilaterale Entscheidungsprozesse ausüben.
Angriff ist die beste Verteidigung
Das SoTF stellt vermutlich eine einmalige Gelegenheit dar, um den Vertrauensverlust in die internationale Zusammenarbeit zu beheben. Der Hype um das Ereignis schraubt allerdings die Erwartungen viel zu hoch. Denn ein einziger Gipfel wird sie nicht erfüllen können. In den fast acht Jahrzehnten ihres Bestehens haben die Vereinten Nationen mehr als genug hochkarätige Treffen abgehalten, die außer den schönen Reden, die die Staats- und Regierungschefs so gerne auf der Weltbühne halten, nicht viel gebracht haben.
Im Voraus ist schwer zu definieren, was einen erfolgreichen SoTF ausmachen würde. So oder so wird es nicht leicht sein, die kritischeren Teile der internationalen Gemeinschaft zur Beteiligung an der SoTF zu bewegen. Dabei gibt es viele triftige Gründe, weshalb der Multilateralismus genau unter die Lupe genommen werden muss. Die Frage, ob der SoTF eine neue Ära in der internationalen Zusammenarbeit einläuten kann, bleibt also offen.
Große geopolitische Herausforderungen und die anhaltenden Gegensätze zwischen den Regierungen des globalen Südens und des Nordens belasten die UN weiterhin erheblich. Dennoch bleiben sie ein wichtiger Schauplatz im Ringen um die Festlegung von Richtlinien, die die Beziehungen zwischen Gesellschaften, Volkswirtschaften und Institutionen regeln sollen. Hoffnungsschimmer sind die jüngsten Übereinkommen zu wichtigen Themenfeldern, etwa der Schutz der Biodiversität über nationale Zuständigkeiten hinaus, ein Mechanismus zur Finanzierung von klimabedingten Verlusten und Schäden und ein Rahmen für einen nachhaltigeren Umgang mit Chemikalien. Allerdings sind diese graduellen Veränderungen zu zaghaft, als dass sie eine nachhaltige, inklusive und gerechte Zukunft ermöglichen werden.
Als erste vertrauensbildende Maßnahme sollten der SoTF und der Zukunftspakt bereits abgegebene Versprechen bekräftigen, insbesondere was Entwicklungshilfe und Klimafinanzierung angeht. Folglich müsste der Zukunftspakt über bereits vereinbarte internationale Standards hinausgehen, statt hinter demokratisch getroffene Entscheidungen zurückzufallen. So deckt sich in der Erstfassung die hart erkämpfte Verpflichtung der Industrieländer auf die Bereitstellung von Mitteln für Klimaadaption mit der UN-Klimarahmenkonvention, und dazu noch mit weniger Nachdruck im Tonfall. Die Erstfassung fordert lediglich eine „Anerkennung des erheblichen Finanzbedarfs der Entwicklungsländer für Anpassungsmaßnahmen“ und lässt aus, wer sich verpflichtet hat und woher die Gelder kommen sollen. Darüberhinaus ist es nicht gerade vertrauensbildend, wenn die Entwicklungshilfe mit der Klimafinanzierung in einen Topf geworfen wird. Denn auf der COP 15 war vereinbart worden, dass die Mittel zur Unterstützung der Klimamaßnahmen der Entwicklungsländer „neu und zusätzlich“ sind.
Um tiefgreifende systemische Veränderungen zu erreichen, muss jede Diskussion über die künftige internationale Zusammenarbeit den Mut zu passenden Maßnahmen bekräftigen. Die notwendige Kurskorrektur sollte sich nicht nur auf neue und aufkommende Herausforderungen konzentrieren, sondern auch auf die Beseitigung die historischen Ungerechtigkeiten, die auf koloniale Ausbeutung und Unterdrückung zurückgehen.
Bei der Neugestaltung der internationalen Zusammenarbeit stellen die Entwicklungsländer die Forderung nach der Demokratisierung der Global Governance in den Mittelpunkt. Denn sie verfügen in den UN und anderen transnationalen Organisationen derzeit über keinen echten Einfluss. Die Entscheidungsfindungsprozesse werden von den Industrieländern unter Führung der USA und Europas dominiert. Ein Pact for the Future, der keine transformativen Vorschläge und Maßnahmen zustandebringt, würde bedeuten, dass die wichtigsten Entscheidungen über die Menschheit und unseren Planeten nicht in den Vereinten Nationen getroffen werden, wie es eigentlich sein sollte, sondern in Gremien, in denen der globale Norden übermäßigen Einfluss ausübt, wie zum Beispiel in der G7, der OECD sowie in IWF und Weltbank.
Falls sich der SoTF diesen Fragen stellt, könnten die Ergebnisse durchaus Folgendes in Gang setzen: die Wiederherstellung des Vertrauens von Regierungen untereinander, die Stärkung des multilateralen Systems und schließlich Krisenlösungsvorschläge für die heutige Welt. Der Zukunftspakt könnte zeitgemäße Normen und Prinzipien erarbeiten, die ins internationale System und von dort auf weitere noch zu schaffende Institutionen und Mechanismen einfließen.
Wer an das Potential glaubt, das transformatorischem Wandel innewohnt, darf vor dem SoTF nicht die Segel streichen. Denn jetzt besteht die Gelegenheit, den Tonlage und die Richtung für die äußerst wichtigen Diskussionen über globale Governance zu bestimmen. Der Maßstab, den der Gipfel erfüllt, muß hoch angelegt werden. Schließlich bleibt die Gestaltung seiner Agenda und seiner Ergebnisse eine Priorität für die Regierungen des globalen Südens und für die Zivilgesellschaft gleichermaßen.
Tetet Lauron lebt auf den Philippinen und arbeitet als Berater für das New Yorker Büro der Rosa- Luxemburg-Stiftung