Quarantänen, Familientrennungen und Massensterben durch Infektionskrankheiten, die von Ausländer*innen eingeschleppt wurden, sind auf Hawaii keine neuen Erfahrungen. Dies gilt vor allem für die indigenen Bewohner*innen Hawaiis, die in Vergangenheit und Gegenwart auf besonders verheerende Weise von Pandemien betroffen sind, darunter auch von COVID-19. Das Risiko einer Ansteckung mit COVID-19 ist für indigene hawaiianische und migrantische Frauen größer, weil sie während der Krise an besonders aktive Bereiche der Wirtschaft gebunden sind. Einerseits sind Frauen in allen vom Patriarchat infizierten Gesellschaften unter den systemrelevant an vorderster Front Beschäftigten überrepräsentiert. Andererseits verlieren Frauen am schnellsten ihre ohnehin schon niedrig entlohnten Arbeitsplätze. Etwa 85% der Einwohner*innen Hawaiis, die vor COVID-19 von Gehaltsscheck zu Gehaltsscheck lebten, waren Frauen.
Durch systemischen Sexismus und Rassismus sind die Frauen auf Hawaii schlecht gerüstet, um die Rezession zu überstehen, die—größtenteils—durch COVID-19 herbeigeführt wurde. Die gegenwärtige Lage wäre vor drei oder vier Generationen für Frauen in Hawaii wahrscheinlich undenkbar gewesen. Frauen gehörten zu den bedeutenden Herrscher*innen des präkolonialen Hawaii und wurden als Gruppe nicht deutlich niedriger eingeschätzt als Männer. Unmittelbar vor dem US-unterstützten Putsch wurde Hawaii von einer Frau regiert. Mit Hui Aloha ‘Āina o Nā Wāhine war eine 11.000 Mitglieder starke politische Frauenvereinigung maßgeblich an den Bemühungen der Königin gegen den illegalen Umsturz des unabhängigen Nationalstaates beteiligt. Mit der amerikanischen Kolonialisierung verloren diese Frauen als Gruppe an Respekt und Macht. Infolgedessen sind sie von den Folgen von COVID-19 am stärksten betroffen.
Entschieden und kraftvoll wurden die Erinnerungen an jene jüngste Freiheit der Frauen an Frauen weitergegeben, die sich im heutigen Hawaii organisieren. Diese feministischen Erinnerungen bildeten die Grundlage für Building Bridges Not Walking on Backs: Ein feministisches Konjunkturprogramm für COVID-19, den ersten Regierungsentwurf in den Vereinigten Staaten, der explizit dem systemischen Sexismus entgegenwirkt. Die Geschichte der Frauen zeigt, dass die Zukunft, die sich im feministischen Konjunkturprogramm artikuliert, realistisch und möglich ist. Da sie bereits existiert hat, dann ist sie nicht utopisch.
Das feministische Konjunkturprogramm wurde von der Hawai‘i State Commission on the Status of Women organisiert, einer landesweiten Regierungsbehörde, die sich dadurch auszeichnet, die erste Frauenkommission in den Vereinigten Staaten zu sein. Unmittelbar zu Beginn der Pandemie berief die Kommission eine spezielle Taskforce ein, der Aktivist*innen, Anbieter*innen sozialer Dienstleistungen, Grassroots-Organisator*innen, Akademiker*innen und Regierungsmitarbeiter*innen angehörten, die sich feministischen Prinzipien verpflichteten, wie sie von Frauen definiert wurden, die die entmachteten Milliarden repräsentieren. Die Taskforce—Feminist COVID-19 Response Team genannt—begann zunächst damit, die Auswirkungen von COVID-19 auf Frauen auf dem gesamten Archipel zu beobachten und zu untersuchen. Besonderes Augenmerk wurde auf Hochrisikogruppen wie inhaftierte, sexuell ausgebeutete, indigene und Frauen ohne Papiere gerichtet.
Hawaiis feministisches Konjunkturprogramm ist auf die Frauenbefreiung ausgerichtet, d.h. es steht dem Kapitalismus, der White Supremacy und dem systemischen Sexismus sehr kritisch gegenüber. Es ist ein Vorhaben, das mit den bisherigen Schwerpunktsetzungen auf Inklusion und Gleichheit mit Männern innerhalb des Kapitalismus bricht. Es gibt mehrere Elemente des Plans, die von anderen Staaten übernommen werden könnten und sollten, wie in einigen Fällen bereits geschehen. So wurden mit der Ausweitung des Sicherheitsnetzes und der Bekämpfung von Lohnkürzungen für Regierungsangestellte, zwei makroökonomisch unsinnigen Politiken entgegengesteuert. Ein zweites Schlüsselelement ist das Erreichen der vollständigen wirtschaftlichen Selbstversorgung von Frauen, unabhängig von ihrem Beschäftigungsstatus. Um dies zu erreichen, plädiert der Plan für ein universelles Grundeinkommen und einen Mindestlohn. Der sollte auf der Höhe festgelegt werden, die für eine alleinerziehende Mutter notwendig ist, um ihre Lebensbedürfnisse zu befriedigen.
Spezifisch für den hawaiianischen Kontext fordert der feministische Plan eine Neuausrichtung der Wirtschaft Hawaiis aus der Tourismusfalle heraus, in der Arbeitsplätze schlecht bezahlt sind und die Bedürfnisse der Tourist*innen an die Stelle derer der lokalen Bevölkerung treten. Hawaii ist auch, um lokale Arbeitsplätze und öffentliche Mittel zu sichern, übermäßig von Krieg und der außenpolitischen Strategie einer US-amerikanischen militärischen Dominanz abhängig. Für den Übergang schlägt der Plan den Aufbau von öffentlicher, allgemeiner und kostenloser Infrastruktur für die Betreuung von Kindern, älteren Menschen und Müttern vor. Der Plan fordert auch sorgfältig strukturierte Beschäftigungsprogramme, um die Beteiligung von Frauen zu fördern, denn viele Sektoren, die in Hawaii für eine Förderung in Aussicht genommen werden werden, sind traditionell männlich und behindern die Frauenbeteiligung. Der Plan fordert auch Ernährungssicherheit durch nachhaltige und auf hawaiianischen Praktiken fußende Landwirtschaft ein.
Die feministischen Konjunkturprogramme konzentrieren sich auch auf die Wiederherstellung und Heilung von indigenen Gemeinschaften. Der Plan fordert, dass 20% der Bundesgelder für den Wiederaufbau den indigenen Hawaiianer*innen für ihre eigene Entscheidungsfindung zugeteilt werden sollten. Ein letztes Schlüsselelement ist die Sicherheit für Frauen, sich weiblich identifizierende und nicht-binäre Menschen durch die Entwicklung eines Anti-Gewalt-Systems, das Polizei und Masseninhaftierung vermeidet. Transformative Justice hängt von einem neuen System der Rechenschaftspflicht ab.
COVID-19 stellt eine Herausforderung für den von Weißen angeführten Feminismus und eine Chance für die transnationale feministische Bewegung dar. Inmitten von Massenarbeitslosigkeit und zunehmender Automatisierung ist die Strategie des Mainstream-Feminismus von Arbeit und Arbeitsrechten als primärem Weg zur Befreiung der Frauen aussichtsloser denn je. Die Krise macht den Bedarf an Raum für visionäres transnationales feministisches Denken und Handeln in Regierung, Zivilgesellschaft und Basisbewegungen deutlich. Das feministische Konjunkturprogramm von COVID-19 stellt ein Modell für diese neue Bewegung dar, die von indigenen Werten geleitet wird.
Das feministische Konjunkturprogramm wird auf verschiedenen Ebenen der Regierung Hawaiis vorangebracht. Der County Council von Maui brachte am 19. Juni einen Beschlussvorschlag ein, der sich zum feministischen Konjunkturprogramm bekennt und den Bürgermeister dazu auffordert, eine ähnliche Verpflichtung einzugehen. Die Legislative des Bundesstaates wird am 22. Juni über die Zuweisung von Finanzmitteln für die im feministischen Konjunkturprogramm benannten Bedürfnisse entscheiden, wie z.B. 20% der bundesstaatlichen Hilfsfonds anteilig für indigene Hawaiianer*innen. Das Department of Labor and Industrial Relations und die Hawai‘i State Commission on the Status of Women führen ein Programm ein, um sicherzustellen, dass Frauen aktive Unterstützung und gleichberechtigten Zugang zum Baugewerbe, zum Handel und zu den geförderten Sektoren der erneuerbaren Energien erhalten. Außerhalb Hawaiis haben sich andere US-Bundesstaaten wie Louisiana und Iowa mit Plänen zur Nachahmung des Prozesses an die Kommission gewendet. Internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen setzen sich täglich mit der Hawai‘i State Commission on the Status of Women in Verbindung. Die Reaktion ist überwältigend und entwickelt sich zu einer globalen Bewegung, die feministische Visionen für eine radikale Rückkehr zu einer frauenzentrierten Welt bekräftigen will.
Khara Jabola-Carolus ist Executive Director der Hawai‘i State Commission on the Status of Women..