Januar 19, 2021

USA-China: eine fortschrittliche internationale Strategie unter Biden

Tobita Chow, Jake Werner

Dieser Beitrag ist Teil unserer Artikelreihe „Am Rande des Abgrunds: eine progressive Agenda für die Biden-Ära“.

Die neugewählte Biden-Administration steht am Scheideweg. In der einen Richtung liegen ein verschärfter Großmächtekonflikt mit weltwirtschaftlich festgefahrenen Wachstumsaussichten, ein giftiger werdender Nationalismus als politisches Legitimationsmittel und der wachsende Druck, Volksvermögen und Know-how mit militärischer Macht zu verknüpfen. In der anderen Richtung liegen eine egalitäre Weltwirtschaft mit Chancengleichheit, eine wirksame und ausgewogene Reaktion auf die Coronavirus-Pandemie, eine global gerechte Klimapolitik und eine neue internationale Friedensära, die nicht auf Nord-Süd-Ungleichheit, sondern auf Würde und Inklusion beruht.

Der ausschlaggebende Faktor für die Entscheidung, welchen Weg die Menschheit nehmen wird, ist das Verhältnis zwischen den USA und China: ob die beiden mächtigsten Länder der Erde ihre Anstrengungen einem destruktiven Wettbewerb um die Vorherrschaft widmen oder stattdessen bei der Neugestaltung und Erneuerung des globalen Systems zusammenarbeiten werden. Doch während Bidens außenpolitische Vertreter*innen die Wahl zwischen Großmachtkonflikt und multilateraler Zusammenarbeit prüfen, scheinen sie zu glauben, beide Wege gleichzeitig beschreiten zu können.

Die Biden-Administration stellt somit für Progressive ein schwieriges Terrain dar. Im Gegensatz zu den rechten Kräften werden zumindest einige Teile der Biden-Regierung viele unserer Ziele teilen. Die meisten dieser Leute sind jedoch entschlossen, mit China auf eine Weise zu „konkurrieren“, die die Bedingungen für einen progressiven Wandel willentlich untergräbt. Daher stellen das Verständnis für die Herausforderung und die Formulierung einer wirksamen Strategie dringende Aufgaben für eine progressive Politik dar.

Aufstieg und Fall des neoliberalen Friedens zwischen den USA und China

In den zwei Jahrzehnten vor der globalen Finanzkrise 2008 bauten die USA und China eine stabile, symbiotische Beziehung auf, die sich an neoliberalen Wachstums- und Legitimationsmustern orientierte. Die neoliberale Übereinkunft diente in beiden Ländern den wirtschaftlichen Interessen der Eliten: Chinesische Unternehmen erhielten Investitionen, Zugang zu hoch entwickelter Technologie und einen riesigen Exportmarkt, während amerikanische Unternehmen billige Fabrikarbeitskräfte ausbeuteten und Zugang zum am schnellsten wachsenden Markt der Welt bekamen. Profit und Korruption blühten, während lokales und transnationales Kapital zusammenarbeiteten, um die Macht der Arbeiterschaft in beiden Ländern zunichte zu machen.

Als frühe Ballungsgebiete der Produktion aufgegeben wurden, entstanden im Mittleren Westen der USA und im Nordosten Chinas ausgedehnte Rostgürtel. Die dort lebenden Arbeiter*innen fanden sich in der wirtschaftlichen Peripherie wieder und wurden sich selbst überlassen.[1] In beiden Ländern konzentrierte sich das Kapital auf große städtische Gebiete. Dort schuf es eine kleine Anzahl hochbezahlter professioneller Arbeitsplätze und eine große Anzahl geringbezahlter Dienstleistungsjobs, um den Bedürfnissen der Hochbezahlten gerecht zu werden. In China und den USA waren in diesen Niedriglohnjobs größtenteils prekarisierte Migrant*innen beschäftigt. Die Grundlage des Einklangs zwischen den USA und China war jedoch mehr als nur der finanzielle Gewinn der Mächtigen auf Kosten der Mehrheit. Die neoliberale Ideologie versprach mehr individuelle Freiheit, mehr und bessere Verbraucherentscheidungen, eine Vielzahl von Beschäftigungsmöglichkeiten, größere Achtung der Menschenrechte und der kulturellen Unterschiede sowie internationalen Frieden und kosmopolitische Verbundenheit. In dieser Zeit der Zusammenarbeit der USA und China schienen diese Verheißungen echte Fortschritte zu machen.

All dies änderte sich 2008. Beinahe über Nacht platzten die Schuldenblasen, die das Wachstum der USA, die chinesischen Exporte und das Gefühl der Amerikaner*innen beflügelt hatten, dass das Leben ohne Lohnerhöhungen besser würde. Obwohl Chinas enorme Konjunkturausgaben zur Rettung der Weltwirtschaft beitrugen, als die wohlhabenden Länder harte Sparmaßnahmen einführten, verdrängten sie auch viele US-Unternehmen vom chinesischen Markt und blähten riesige Schuldenblasen auf, die die chinesische Führung seitdem stark beunruhigen.[2]

Der chinesische Vizepräsident Xi Jinping begleitet den US-Vizepräsidenten Joe Biden beim Abschreiten der Ehrengarde während einer Begrüßungszeremonie in der Großen Halle des Volkes am 18. August 2011 in Peking, China. (Foto von Lintao Zhang / Getty Images)

Der Erfolg der chinesischen Industriepolitik zusammen mit den Konjunkturausgaben in der Krisenzeit und der Stagnation der Weltwirtschaft brachte enorme Produktionsüberkapazitäten in Sektoren wie Stahl, Zement und Schiffbau mit sich. Das führte weltweit zu einem beträchtlichen Deflationsdruck. Überkapazitäten sind ja sowohl auf eine unzureichende Nachfrage als auch auf ein Überangebot zurückzuführen. Schuld daran waren sowohl der Druck auf die Löhne und auf die Verbrauchernachfrage durch die neoliberale Weltwirtschaft als auch die anhaltend niedrigen Produktivitätswachstumsraten im marktorientierten Anlagesystem. Amerikanische Unternehmen und politische Entscheidungsträger*innen, die nicht in der Lage waren, über das Niedriglohnregime und die kurzfristigen Investitionsmuster hinauszublicken, machten China für das verantwortlich, was in Wirklichkeit Probleme des gesamten Systems waren.

Mit der Auflösung der wirtschaftlichen Logik, die China und die USA zusammengehalten hatte, brach auch die kulturelle und ideologische Unterstützung für die neoliberale Gesellschaft zusammen. Die Antipathie der Bevölkerung richtete sich gegen alles, vom Multikulturalismus bis zum Freihandel, von der Einwanderung bis zur wirtschaftlichen Ungleichheit, von kosmopolitischer Kultur bis zum egoistischen Individualismus, von sexueller Freiheit bis zu fragmentierter Politik. Populismus, Nationalismus und Egalitarismus tauchten plötzlich am linken und rechten Rande auf und begannen, der Mainstream-Politik Probleme zu bereiten.

Sowohl die Eliten in den USA als auch in China zeigten sich zutiefst erschüttert über den gleichzeitigen Verfall des Wirtschaftswachstums und der politischen Legitimität. Als sie sich an das neue Umfeld wirtschaftlicher Stagnation anpassen und ihre Autorität über die Unzufriedenheit im Inland wieder stärken wollten, stießen beide auf die Bemühungen des Gegenübers, unter den neuen Bedingungen zu überleben. In beiden Ländern wurde die Verleumdung des anderen immer attraktiver, um die öffentliche Wut in einen Nationalismus gegen eine ausländische Bedrohung zu lenken, in der Hoffnung, in der fragmentierten Bevölkerung Einheit zu stiften und die Nation für den Wettbewerb im neuen globalen Nullsummenspiel mobilisieren zu können. Daher gingen beide Seiten den Ursachen wirtschaftlicher und politischer Turbulenzen nicht auf den Grund. Stattdessen vertiefen sie aktuell die Krise noch weiter.

Widersprüche in der Biden-Regierung

Die neugewählte Biden-Regierung markiert einen deutlichen Bruch mit Trumps Ansatz gegenüber China. Aber eine Reihe gemeinsamer Annahmen bringt die beiden in Schlüsselfragen auf eine Linie. Die Kritik des Biden-Teams an Trump konzentrierte sich dabei auf drei Themen: den Schaden, der traditionellen Allianzen und Partnerschaften zugefügt worden war, die Problematik, trotz eines intensiven Handelskrieges keine Zugeständnisse bei wirtschaftlichen Missständen gewonnen zu haben, und die Abkehr von den „amerikanischen Werten“ Demokratie und Menschenrechte.

Mit anderen Worten: Das Biden-Team stimmt den Zielen von Trumps Konfrontation mit China weitgehend zu und ist in erster Linie besorgt über die unwirksame Taktik der Vorgängerregierung. Sogar das Thema „Werte“ lässt sich am besten als eine Frage der Wirksamkeit verstehen: US-Außenpolitikexpert*innen machen ihre Prinzipien selektiv geltend, um Gegner in die Defensive zu versetzen und Bündnisse mit den wohlhabendsten Ländern zu festigen.

Die Gefahr besteht darin, dass die Biden-Regierung erfolgreicher dafür sorgen wird, die US-amerikanische Gesellschaft und die Verbündeten der USA gegen China zu mobilisieren. Wenn sich die Konfrontation vertieft, würde die zunehmende Unsicherheit beiderseits zur Verhärtung führen. Das wiederum würde die Aufmerksamkeit immer weiter vom Grundproblem ablenken – dem festgefahrenen globalen System – und stattdessen die Bemühungen darauf konzentrieren, die andere Seite zu besiegen. Und daraus könnte eine weitaus destruktivere Konfrontation entstehen als durch Trumps unorganisiertes Getöse.

Geht man von Aussagen aus, die führende Persönlichkeiten wie der neue Außenminister Antony Blinken und der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan vor und nach der Wahl machten, können die frühen China-Initiativen der Regierung unterteilt werden in diejenigen, die die Spannungen kurzfristig verringern; diejenigen, die bestehende Widersprüche lautlos vertiefen und damit einen ernsthaften Bruch in den Beziehungen riskieren; und jenen, die die Möglichkeit einer grundlegend anderen Beziehung erarbeiten und in eine progressive Richtung weisen.

Unmittelbare Verbesserungen: Trumps Handelskrieg 2018–2019 mag die größte Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben, aber die regulatorischen und militärischen Maßnahmen der Regierung schadeten eher China. Solche Maßnahmen häuften sich 2020, als Trump verzweifelt nach einem Sündenbock suchte, um von seiner katastrophalen Coronavirus-Politik abzulenken. Damit verschaffte er den Falken in der Regierung die Möglichkeit, noch aggressiver zu reagieren: mit einer außerordentlich rücksichtslosen Rhetorik gegenüber China, mehreren gefährlichen militärischen Provokationen, einer angriffslustigen diplomatischen Offensive in Asien und immer schärferen Restriktionen für chinesische Unternehmen und Immigrant*innen.

Mit der wichtigen Ausnahme von Maßnahmen gegen chinesische Unternehmen wird Biden wahrscheinlich schnell handeln, um die provokativsten Maßnahmen zurückzunehmen. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit eines militärischen Konflikts um Taiwan oder das Südchinesische Meer abnehmen und den alarmierenden Anstieg des weit verbreiteten Nationalismus in beiden Ländern vorerst auch verlangsamen. Eine ruhigere diplomatische Haltung eröffnet somit Spielräume für eine fortschrittliche Alternative, die undenkbar war, als die Trump-Regierung die Beziehungen vergiftete und die chinesische Führung auf ihre Art reagierte. Das Zeitfenster ist jedoch nicht lange offen.   

Vertiefung des Antagonismus: Bidens Bestrebungen laufen Gefahr, von der chinesischen Führung sowohl im wirtschaftlichen als auch im militärischen Bereich als existenzielle Bedrohung angesehen zu werden. In einem Interview mit Thomas Friedman nach den Wahlen legte Biden seine Wirtschaftsagenda mit den Worten dar: „Handelspolitik zu betreiben, die China zur Abkehr von seinen missbräuchlichen Praktiken bringt – geistiges Eigentum zu stehlen, Produkte zu Dumpingpreisen zu verschleudern, Unternehmen illegal zu subventionieren“ und „Technologietransfers“ von US-amerikanischen zu chinesischen Unternehmen zu verlangen.[3]

Mit anderen Worten, Biden beabsichtigt, China unter Druck zu setzen, die Industriepolitik aufzugeben, die Hunderte von Millionen Menschen aus der Armut befreit und es dem Land ermöglicht hat, sich der ständigen Unterordnung in der Weltwirtschaft zu entziehen.[4] Er wird diese Forderungen stellen, auch wenn er selbst eine explizit nationalistische Industriepolitik zum Kernstück seiner eigenen Wirtschaftsagenda gemacht hat.[5] Wenn sich eine solche Herangehensweise im Umgang mit China durchsetzt, wird dies den Triumph des Konzernnationalismus über das Wohlergehen der Arbeiterklasse sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in China darstellen und die Aussichten auf demokratische Reformen in beiden Ländern sowie die Lösung der Klimakrise untergraben.[6]

Die chinesische Führung verfügt dabei über Spielräume. Nachdem China beispielsweise die Hightech-Lücke zu den wohlhabenden Ländern schließen konnte und seine Unternehmen eigene Innovationen produzieren, sind chinesische Entscheidungsträger zunehmend am Schutz geistigen Eigentums interessiert.[7] Unter den gegenwärtigen Bedingungen der Weltwirtschaft hängt das weitere Wachstum jedoch davon ab, in Bereiche wie künstliche Intelligenz oder Luftfahrtelektronik einzudringen, in denen die USA, Europa und Japan immer noch ein Monopol besitzen.

Aus Chinas Sicht sieht Bidens Ziel, mit einer Koalition reicher Länder, von denen die meisten ehemalige Kolonialmächte sind, das Monopol auf fortgeschrittene Produktion aufrechtzuerhalten, weniger nach „gleichen Wettbewerbsbedingungen“ oder einem „auf Regeln beruhenden System“ aus, sondern eher wie das Wiederaufleben imperialistischer Aggression, um China in Schach zu halten. Da die Dynamik der Wirtschaft Chinas nicht nur notwendig ist, um den Zusammenbruch seiner Finanzmärkte zu vermeiden, sondern auch um die soziale Stabilität und die Legitimität der Kommunistischen Partei beizubehalten, sieht die chinesische Führung den Druck der USA als zutiefst bedrohlich an.

Diese Bedrohungswahrnehmung wird durch Sicherheitskonflikte vertieft. Obwohl Biden kurzfristig die militärischen Spannungen abbauen dürfte, wird das US-amerikanisch-chinesische Ringen um Hegemonie im Süd- und Ostchinesischen Meer weitergehen und sich möglicherweise verschärfen. Die Situation sowohl in Nordkorea als auch in Taiwan ist fragil. Beide könnten zu den gefährlichsten Krisen nach dem Kalten Krieg werden, wenn eine der relevanten Parteien den Status quo ernsthaft in Frage stellen sollte. Die US-Führung wird – zu recht, wenn auch in scheinheiliger Absicht – weiterhin Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang und Hongkong anprangern, was die langjährigen Befürchtungen der chinesischen Führung in Bezug auf die territoriale Integrität des Landes verschärft.[8]

Am bedrohlichsten ist vielleicht, dass Eliten in den USA und in China den Erfolg des anderen Landes in nichtmilitärischen Bereichen zunehmend als militärische Bedrohung für das eigene Land ansehen. In einem gemeinsamen Artikel mit dem Neokonservativen Hal Brands bezeichnete Jake Sullivan Chinas Bemühungen, „die Regeln der Weltwirtschaft, Technologiestandards und politische Institutionen der Welt zu seinem Vorteil und nach seinen Vorstellungen“ zu gestalten als „Streben nach globaler Vorherrschaft“.[9]

Am Ende wird es keinen Sinn machen, die Führungen beider Länder nur dazu anzuhalten, nicht mehr paranoid zu sein, sondern an das Allgemeinwohl zu denken, Konflikte zu beseitigen und sich auf gemeinsame Interessen zu konzentrieren. Die regierenden Eliten der USA und Chinas sind aktuell in einem auf Wettbewerb fixierten Nullsummenspiel gefangen. Je weniger Spielraum die Weltwirtschaft den beiden lässt, desto größer ist das Risiko, dass sich dieser „Wettbewerb“ zu einer Spirale gegenseitiger Verunsicherung und nationalistischen Hasses hochschraubt.

Progressive Möglichkeiten: Noch ist nicht alles verloren. Trotz des Eintretens des Biden-Teams für Konzernnationalismus und US-Hegemonie wird diese Regierung auch ungewöhnlich offen sein für eine Reihe wichtiger fortschrittlicher außenpolitischer Ideen. Wenn progressive Kräfte in der Lage sind, diese Ideen zu verwirklichen und den durch Nationalismus und Hegemonie verursachten Schaden zu begrenzen, könnten die strukturellen Kräfte, die den Wettbewerb zwischen den Großmächten antreiben, transformiert und ein Weg zu einer weitaus egalitäreren, integrativeren und demokratischeren Welt beschritten werden.

Am wichtigsten ist, dass Biden John Kerry zum Sonderbeauftragten für die Koordinierung der US-Klimadiplomatie gemacht hat. Der Schritt hat innerhalb des außenpolitischen Establishments der USA zu einigem Händeringen geführt. Viele Mitglieder des sogenannten Blobs befürchten, dass Biden dem Kampf gegen die existenzielle Bedrohung der Menschheit Vorrang einräumt und ihrer Begeisterung für Großmachtkonflikte weniger Beachtung schenkt. Thomas Wright schrieb dazu:

„Laut drei Personen, die mit Kerrys Haltung vertraut sind, hält er die Zusammenarbeit mit China für entscheidend für Fortschritte in der Klimapolitik wie auch das Thema Klima als das wichtigste in den Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und China. […] Alles andere, einschließlich des geopolitischen Wettbewerbs mit China, ist angesichts dieser übergreifenden Bedrohung von untergeordneter Bedeutung.“[10]

Zusammen mit dem Umweltteam von Biden – dem stärksten Klimateam, das jemals ernannt wurde – und den überraschend klaren Aussagen zum Klima, die er im Wahlkampf machte, besteht Grund zu der Annahme, dass die Biden-Regierung besonders empfänglich für fortschrittliche Klimaschutzmaßnahmen sein wird.[11]

Die zweite wichtige progressive Öffnung ist eine tiefgreifende Veränderung des wirtschaftlichen Denkens in der Demokratischen Partei. Biden und seine Spitzenbeamt*innen lehnen den freien Markt als Motor für die Zuweisung von Ressourcen in der Wirtschaft ab. Jake Sullivan hat sogar den Neoliberalismus beim Namen genannt und mit Jennifer Harris argumentiert, dass die USA aus Gründen der nationalen Sicherheit sowie der Innenpolitik öffentliche Investitionen priorisieren, eine Industriepolitik zur Bekämpfung des Klimawandels verfolgen und nur Handelsabkommen schließen sollten, die „einen Laserfokus auf das beinhalten, was die Löhne verbessert und hochbezahlte Arbeitsplätze in den Vereinigten Staaten schafft, anstatt sich auf Investitionspolitik zugunsten von Unternehmen zu konzentrieren.“[12]

Die Priorisierung von Klima und Arbeit gegenüber dem freien Markt und der Macht der Unternehmen ist eine wesentliche Voraussetzung für eine progressive Globalisierung. Doch auch hier ist das Biden-Team hin- und hergerissen. Einerseits erkennt es an, dass die Kriege und Ungleichheiten der neoliberalen Globalisierungsära jegliche Unterstützung in der Bevölkerung verloren haben. So heißt es in einem Bericht, den Sullivan gemeinsam mit ehemaligen außenpolitischen Veteranen der Bush- und Obama-Regierung verfasst hat:

„Die Globalisierung hat den Spitzenverdiener*innen und multinationalen Unternehmen des Landes überproportional geholfen und die wirtschaftliche Ungleichheit im Inland verschärft. Dies hatte keinerlei nennenswerte Reallohnsteigerungen zur Folge. […] Es gibt keine Hinweise darauf, dass sich die amerikanische Mittelschicht hinter Bemühungen stellen wird, die US-Vormacht in einer unipolaren Welt wiederherzustellen, einen neuen Kalten Krieg mit China eskalieren zu lassen oder einen weltweiten Kampf zwischen den Demokratien der Welt und autoritären Regierungen zu führen.“ [13]

Andererseits haben Bidens außenpolitische Vertreter*innen keine Vorstellung von einem globalen System des Wirtschaftswachstums und der internationalen Beziehungen, das den langjährigen Rahmen des Konzernnationalismus und der US-Hegemonie ersetzen könnte. Ihre tiefsitzende Weltanschauung und der Wunsch nach Verabschiedung parteiübergreifender Gesetze werfen sie immer wieder zurück auf den Großmächte-Konflikt als dem scheinbar einzig gangbaren Weg.[14]

So begreift jemand wie Sullivan, dass der Neoliberalismus in einer Sackgasse angekommen ist. Aber nicht erkennen kann er, dass die Krise der Gegenwart eine Krise des gesamten globalen Systems ist, das China genauso belastet wie die USA und beide in die gleiche Richtung drängt – weg vom Individualismus des freien Marktes und der Ungleichheit hin zu reaktionärem Nationalismus. Die einzige Antwort ist die Zusammenarbeit der Großmächte zur Neugestaltung dieses Systems. Stattdessen scheint das Biden-Team bereit zu sein, den strukturellen Konflikt anzunehmen, den das kaputte globale System beiden Ländern auferlegt. Für Sullivan ist die Alternative zum Neoliberalismus keine bessere Welt für alle, sondern die Wiederherstellung der Vorherrschaft der USA:

„Ökonomie wird mindestens so sehr wie alles andere den Erfolg oder Misserfolg der Vereinigten Staaten in der Geopolitik bestimmen. Dies gilt insbesondere für den Umgang mit China. Der aufkommende Großmachtwettbewerb zwischen den Vereinigten Staaten und China wird letztendlich davon abhängen, wie effektiv jedes Land seine Volkswirtschaft steuert und die Weltwirtschaft prägt.“[15]

Eine progressive internationale Strategie unter Biden

Da der Konflikt zwischen den USA und China Ausdruck systemischer Probleme im neoliberalen Kapitalismus ist, erfordert die langfristige Lösung des Konflikts Strukturreformen des globalen Systems. Entscheidend ist, dass dieses neue globale System das Leben von Milliarden von Menschen im globalen Süden wesentlich wichtiger nehmen muss als derzeit. Zudem muss die Ungleichheit zwischen den Ländern angegangen werden – d.h. die rassistische Unterordnung des globalen Südens unter den globalen Norden.

Zu den Schlüsselbereichen einer globalen Strukturreform gehören:

  • Umsetzung eines globalen Regimes der Industriepolitik, das große, qualitativ hochwertige und langfristige Investitionen weltweit, insbesondere in den globalen Süden, kanalisiert. Dies würde das Versagen der neoliberalen Kapitalmärkte korrigieren, die die Länder des globalen Südens in Jahrzehnten des „Wettlaufs nach unten“ um niedrige kurzfristige Investitionen von geringer Qualität am Boden halten, was sowohl die wirtschaftliche Entwicklung verhindert als auch Fortschritte beim Klimawandel gebremst hat.
  • Reformen, die die Löhne anheben und die Macht der Arbeit gegenüber dem Kapital weltweit erhöhen. Diese Reformen können ein globales Mindestlohnsystem[16]und ein globales Regime für Arbeitsrechte umfassen, die rechtlich bindend sind und von wirksamen Mechanismen durchgesetzt werden.
  • Reformen des globalen Regimes für Rechte an geistigem Eigentum, das ein wichtiger Mechanismus für die Aufrechterhaltung der Unterordnung des globalen Südens war und die wirtschaftliche Entwicklung in diesen Ländern blockiert. Diese Reformen können die Schwächung der Beschränkungen des geistigen Eigentums, die Schaffung von Ausnahmen für Schlüsseltechnologien in Bereichen wie Medizin und erneuerbare Energie und (das ist eines der ehrgeizigsten Ziele) den Aufbau völlig neuer Mechanismen zur Sicherstellung der Finanzierung von Forschung und Entwicklung weltweit umfassen. [17]

Diese Strukturreformen würden nicht nur Probleme der globalen Ungerechtigkeit angehen, sondern auch die Funktionsstörungen des neoliberalen Status quo überwinden. Die Schaffung eines neuen Modells globalen Wachstums – fortschreitender Globalisierung –, bei dem Investitionen von höherer Qualität sowie steigende Löhne und wirtschaftliche Nachfrage die globalen Überkapazitäten beseitigen, würde den Druck des dem Konflikt zwischen den USA und China zugrunde liegenden Nullsummenwettbewerbs verringern. Die Umsetzung dieser Reformen erfordert eine stärkere globale Zusammenarbeit, auch zwischen den USA und China. Der Prozess zur Erreichung dieser Reformen würde also die Art der Zusammenarbeit verkörpern, die im neuen System unterstützt wird.

Diese Vision wird unter einer Biden-Regierung nicht vollständig verwirklicht werden. Aber wir können die progressiven Möglichkeiten unter Biden nutzen, um Macht für fortschrittliche internationale Alternativen aufzubauen und uns auf den Weg zu globalen Strukturreformen zu machen. Im Folgenden skizzieren wir einige progressive internationale Anstrengungen, die wir in den nächsten vier Jahren für praktikabel halten.

Kampf gegen COVID-19

In der COVID-19-Hilfe und im Wiederaufbau liegen Möglichkeiten für erste Schritte in Richtung einer progressiven Globalisierung. COVID-19 hat die Notwendigkeit von Strukturreformen des globalen Systems und die Gefahren der Vernachlässigung der Bedürfnisse des globalen Südens dramatisch aufgezeigt. Erstens stehen wir jetzt vor einer „Impfstoff-Apartheid“. Reichere Länder horten Impfstoffvorräte und lassen die viel größeren Bevölkerungsgruppen des globalen Südens Monate oder Jahre warten. Um die Gewinne von Pharmaunternehmen zu schützen, haben dieselben Länder die Forderungen des globalen Südens blockiert, auf Rechte an geistigem Eigentum an COVID-19-Impfstoffen zu verzichten, und Hersteller im globalen Süden daran gehindert, selbst Impfstoffe herzustellen.[18] Zweitens leiden viele Länder des globalen Südens unter existenziellen Krisen, die auf die Auswirkungen der Pandemie, die neoliberale Wirtschaftsentwicklung und das Versagen reicher Länder zurückzuführen sind, für ausreichende Hilfsleistungen zu sorgen. Diese Probleme untergraben auch die Bemühungen, die Krise im globalen Norden zu beenden. Lösungen erfordern eine Änderung der Politik der USA und anderer Länder des globalen Nordens sowie eine verstärkte Zusammenarbeit mit China.

Ein chinesischer Freiwilliger im Gesundheitswesen kümmert sich um einen Arbeitnehmer, nachdem der sich für den Erhalt eines COVID-19-Impfstoffs in einem Massenimpfzentrum für den Chaoyang-Bezirk am 15. Januar 2021 in Peking, China, registriert hat. (Foto von Kevin Frayer / Getty Images)

Eine Reihe von Mechanismen zur Verhinderung der Impfstoff-Apartheid sind vorgeschlagen worden. Am interessantesten ist vielleicht die Forderung Indiens und Südafrikas bei der Welthandelsorganisation (WTO), die Patentgesetze für COVID-19-Medikamente auszusetzen.[19] Die Umsetzung dieser Forderung könnte Progressiven als Präzedenzfall für weitere Reformen des globalen Regimes für Rechte an geistigem Eigentum dienen. Letztes Jahr hat Biden gegenüber dem Aktivisten Ady Barkan mündlich zugesagt, dass er sicherstellen werde, dass geistiges Eigentum andere Länder nicht am Zugriff auf COVID-19-Impfstoffe hindern werde.[20]

Handelspolitik

Wie bereits erwähnt, hat die Regierung Biden progressiven Veränderungen in der Handelspolitik und verbesserten internationalen Standards für Arbeitsrecht und Umwelt zugestimmt. Wir sollten sie beim Wort nehmen und sie in eine radikalere Richtung lenken. Ohne neue Formen der Investitionstätigkeit im globalen Süden dürfte sich die globale Ungleichheit zwischen den meist wohlhabenderen Ländern, die sich zu hohen Arbeits- und Umweltstandards verpflichten, und den Ländern mit größtenteils niedrigerem Einkommen, die sich von diesen Verpflichtungen verabschiedet haben, verfestigen. Es wäre für diese beiden Blöcke leicht, einem von den USA geführten Wirtschaftsblock und einem von China geführten Wirtschaftsblock zu entsprechen, was die Polarisierung der USA gegenüber China in der Weltwirtschaft fördern und wahrscheinlich in ein neues Zeitalter verheerender Stellvertreterkriege münden würde.

Gleichzeitig müssen wir uns, wie oben erörtert, den wichtigsten Forderungen der USA im Handelskrieg zwischen den USA und China zu Industriepolitik und geistigem Eigentum widersetzen und Versuchen einer Ausweitung des Handelskrieges entgegentreten, in dem US-Verbündete zu einer breiteren Anti-China-Front organisiert werden.

Klimawandel

Progressive Globalisierung ist für die Lösung der langfristigen globalen Herausforderung, die der Klimawandel darstellt, von entscheidender Bedeutung. Die oben diskutierten notwendigen Strukturreformen und Verschiebungen in der Handelspolitik würden idealerweise im Rahmen eines Global Green New Deal umgesetzt. Das würde eine kohlenstoffarme Industriepolitik und die Schaffung von Arbeitsplätzen in der gesamten Weltwirtschaft bedeuten. Ein globales Regime für umweltfreundliche Investitionen und Industriepolitik, das von den Zwängen der neoliberalen Kapitalmärkte befreit und von steigenden Löhnen unterstützt wird, würde den Ländern im globalen Süden die Möglichkeit geben, ihre Volkswirtschaften auf nachhaltige Weise zu entwickeln und das Dilemma zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Umweltverträglichkeit im globalen Süden zu überwinden.

Wir sollten fordern, dass die USA mit China und anderen Ländern zusammenarbeiten, um dies zu ermöglichen. Die Zusammenarbeit zwischen den USA und China ist von entscheidender Bedeutung, da die Länder jeweils ihre eigenen Stärken haben, die kombiniert und koordiniert werden müssen, um die CO2-Emissionen so schnell wie möglich zu reduzieren.[21] China ist weltweit führend in Industriekapazitäten in einer Vielzahl sauberer Technologieindustrien. Chinas sogenannte Seidenstraßeninitiative (Belt and Road Initiative) kann als die größte Investitions- und Finanzierungsquelle für Infrastruktur im globalen Süden angesehen werden. Die USA sind mittlerweile führend in Forschung und Entwicklung im Bereich sauberer Technologien und haben einen hervorragenden Zugang zu Finanzkapital und internationalen Bündnissen. Es gibt wichtige progressive Kritik an beiden Ländern, aber realistisch gesehen, bilden sie Schlüsselbausteine für einen Global Green New Deal.

Ein Global Green New Deal muss sich auch mit den Rechten des geistigen Eigentums an sauberer Energietechnologie befassen. Diese machen die Dekarbonisierung für die Länder des globalen Südens unnötig teuer und erschweren ihnen die Entwicklung einer eigenen heimischen sauberen Energieindustrie. In früheren Klimaverhandlungen wurden Forderungen nach einer Schwächung des Regimes der Rechte an geistigem Eigentum gestellt, diese wurden aber von den USA und anderen Ländern des globalen Nordens blockiert.[22] Wir sollten Forderungen zu diesem Thema formulieren, wobei wir anerkennen müssen, dass deren Umsetzung schwieriger sein wird. Denn es besteht die Gefahr, dass „grüne“ Kapitalist*innen verprellt werden. Aber die Biden-Regierung ist auf ihre Unterstützung für Fortschritte in der Klimapolitik angewiesen. Trotzdem wiegt dieses Argument schwer, weil begründet werden muss, weshalb der Schutz des Regimes der Rechte an geistigem Eigentum – eine weitere wichtige Quelle für Spannungen zwischen den USA und China – für die US-Regierung keine Priorität mehr haben sollte.

Auch im Inland müssen wir Bidens Ziele einer umweltfreundlichen Industrie- und Beschäftigungspolitik unterstützen und gleichzeitig auf ihre ambitionierteste Version pochen. Ein Erfolg an dieser nationalen Front würde eine progressive Herangehensweise an die Beziehungen zwischen den USA und China stärken. Erstens würden Fortschritte bei einem Programm für grüne Arbeitsplätze es einfacher machen, dem falschen nationalistischen Narrativ entgegenzuwirken, wonach der Angriff auf chinesische Unternehmen und chinesische Arbeitnehmer*innen der Schlüssel zur Schaffung amerikanischer Arbeitsplätze ist. Zweitens würden Fortschritte in Richtung Industriepolitik in den USA es einfacher machen, einer wichtigen Spannungsquelle zwischen den USA und China entgegenzuwirken, dem Argument nämlich, dass Chinas Einsatz von Industriepolitik „unfair“ sei und enden müsse. Stattdessen können wir die Notwendigkeit betonen, dass grüne Industriepolitik grenzüberschreitend auf ein neues globales System auszudehnen ist.

Anti-Militarismus

Das angespannte Sicherheitsverhältnis zwischen den USA und China steckt für progressive Politik voller Tücken. An Brennpunkten wie Taiwan und dem Südchinesischen Meer stellt eine zunehmend durchsetzungsfähige und nationalistische chinesische Regierung eine ernsthafte Bedrohung für Demokratie und Frieden in der Region dar. Kurzfristig hemmt die US-Hegemonie über den asiatisch-pazifischen Raum chinesische Militärinitiativen und stabilisiert das Sicherheitsumfeld. Dies ist besonders wichtig für eine progressive internationale Strategie zum Status Taiwans: Als ein Land „zwischen“ den USA und China, mit bedeutenden Verbindungen zu beiden und kultureller und sprachlicher Affinität zu China, hat Taiwan das Potenzial, als Schlüsselstandort für den Aufbau transnationaler Solidarität zu fungieren.

Da sich die Beziehungen zwischen den USA und China verschlechtern, verschärft die militärische Kontrolle der USA im asiatisch-pazifischen Raum auch die Unsicherheit Chinas und provoziert nationalistische Empörung. Das wahrscheinliche Ergebnis wird ein regionales Wettrüsten und eine erhöhte Instabilität in ganz Asien sein. Sich für die eine oder andere Seite zu entscheiden, ist hoffnungslos – Progressive müssen handeln, um die Struktur der Konfrontation so zu verändern, dass neue Möglichkeiten entstehen.

Im Gegensatz zu den Themen Investitionen, Arbeit oder Klima gibt es keine unmittelbaren progressiven Forderungen, die die Situation verbessern würden. Kurzfristig sollten progressive Kräfte auf ein Ende militärischer Lösungen drängen, indem sie dem wachsenden Druck für massive neue Ausgaben für Anti-China-Waffen entgegenwirken. Es wird hilfreich sein, dies mit dem Kampf um einen Global Green New Deal zu verbinden: Der militärisch-industrielle Komplex ist derzeit die etablierte Form der Industriepolitik und der Erwerbspolitik der Regierung – mit starker Unterstützung durch beide Parteien. Wir stehen vor der Wahl zwischen einer tödlichen militärischen Industriepolitik und einer Leben erhaltenden grünen Industriepolitik.

Anti-Militär-Kampagnen werden jedoch scheitern, wenn die zugrunde liegende Konfliktquelle nicht gelöst wird. Progressive sollten zunächst gemeinsam mit Progressiven aus Taiwan, Chinas Nachbarländern im Südchinesischen Meer und anderen vom Aufstieg der chinesischen Militärmacht bedrohten Ländern Alternativen entwickeln. Auch US-Progressive, die Mitglieder der Diaspora aus diesen Ländern sind, können hierbei eine wichtige Rolle spielen. Letztendlich hängt die Verringerung des Risikos internationaler Aggressionen und Kriege in Asien jedoch davon ab, dass der Nullsummenlogik des gegenwärtigen globalen Systems ein Ende bereitet wird.

Antirassismus

Die Biden-Regierung und die Demokratische Partei insgesamt sind sich des Problems bewusst, dass der Großmacht-Wettbewerb mit China den antichinesischen Rassismus verschärfen und eine Art Neo-McCarthyismus erzeugen kann, bei dem Menschen chinesischer Herkunft dem Verdacht mangelnder Loyalität gegenüber den USA ausgesetzt wären. Viele Liberale verurteilen diesbezüglich den Rassismus gerne und fordern im selben Atemzug, ein größerer Konflikt mit China dürfe nicht fremdenfeindlich sein. Aber wie alle früheren Fälle auswärtiger Konflikte in der US-Geschichte zeigen, handelt es sich dabei um eine Illusion. Denn ein eskalierender Konflikt mit China zieht unweigerlich einen eskalierenden Rassismus in den USA nach sich. Dieser Widerspruch bietet die Möglichkeit, die Themen Rassismus und Anti-China-Politik zu verknüpfen und antirassistische Politik gegen den Wettbewerb der Großmächte zu machen. 

Menschenrechte in China

Progressive müssen auch Menschenrechtsverletzungen in China aufgreifen. Das schließt die Angriffe auf Demokratie und Zivilgesellschaft in Hongkong sowie die Massenverhaftungen, Zwangsassimilation und Zwangsarbeit bei Uiguren und anderen Minderheiten mit ein. Viele Progressive sprachen diese Praktiken nur zögerlich an, weil sie zu recht Bedenken hatten, die antichinesischen Falken würden die Kritik an Menschenrechtsverletzungen in zynischer Weise instrumentalisieren. Diese Fragen auszuklammern, ist jedoch nicht nur eine Verletzung progressiver Prinzipien, sondern auch Zeichen fehlender Strategie: Sie macht uns von rechts angreifbar, kann die progressive Basis irritieren und trägt das Risiko in sich, wichtige Verbündete zu verprellen.

Zu den Schlüsselelementen eines progressiven Ansatzes für diese Problematik gehören:

  • Förderung von Kritik, die Missbrauch durch die chinesische Regierung in den Kontext allgemeiner Entwicklungen im globalen System stellt. Wachsender Nationalismus und Autoritarismus sind Trends nicht nur in China, sondern weltweit, einschließlich in den USA. Islamophobie ist die Quelle einiger der repressivsten Maßnahmen nicht nur in China, sondern auch in Indien, Myanmar, der EU und vielen anderen Ländern, gespeist vom US-geführten „Krieg gegen den Terror“.[23]
  • Vorschläge für Antworten im Kontext systemischer Lösungen. Beispielsweise sollte die Forderung nach einem Verbot der uigurischen Zwangsarbeit in den Kontext von Kampagnen für verbesserte Arbeitsnormen gestellt werden, die auf Verstöße in globalen Lieferketten abzielen, anstatt mit dem Finger nur auf China zu zeigen.
  • Hervorhebung anderer Formen der Unterdrückung, wie z. B. Razzien gegen Arbeitsaktivist*innen, Feminist*innen, progressive Anwält*innen und andere in Festland-China. Diese Formen der Unterdrückung ziehen in den USA weniger Aufmerksamkeit auf sich und weisen auf die Existenz progressiver Kräfte in China und das Potenzial, Solidarität mit ihnen aufzubauen.
  • Das Argument, dass der Wettbewerb der Großmächte kontraproduktiv ist. Die zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China werden den Status derjenigen, die von der chinesischen Regierung unterdrückt werden, nicht verbessern, sondern sie auf lange Sicht nur anfälliger machen, indem sie den chinesischen Nationalismus nähren und die Bereitschaft der chinesischen Regierung verringern, auf vom Westen aufgeworfene Fragen nach Menschenrechtsverletzungen zu reagieren.

Fazit

Eine progressive internationale Alternative zum eskalierenden Konflikt zwischen den USA und China bedarf der Transformation des globalen Systems als Ganzes. Um erfolgreich zu sein, müssen die progressiven Kräfte in den USA weiterhin politische Macht aufbauen. Aber wir müssen auch unser außenpolitisches Bewusstsein schärfen. Die internationalistische Dimension progressiver Politik ist nach wie vor besorgniserregend schwach. Was China angeht, konnte noch kein kohärenter Ansatz für die zahlreichen schwierigen Fragen entwickelt werden, mit denen selbst die meisten Internationalist*innen in den USA nicht vertraut sind.

Dies wird eine langfristige Auseinandersetzung sein, und selbst mit der bestmöglichen politischen Organisationsarbeit werden unter der Biden-Administration nur begrenzte Fortschritte erreicht werden können. Die Widersprüche innerhalb der Regierung zeigen jedoch, dass sich neben den gefährlichen Kräften des Nationalismus und des Großmachtkonflikts auch aus der Krise des neoliberalen Systems neue fortschrittliche Möglichkeiten ergeben haben – was vor fünf Jahren noch unvorstellbar war. Wenn wir diese Möglichkeiten nutzen, können wir die Grundlagen für ein neues globales System schaffen. In ihm können der Exklusion und der Ungleichheit ein Ende bereitet und die existenzbedrohenden Probleme der Welt gelöst werden.

Tobita Chow ist Leiterin von Justice Is Global, einem Sonderprojekt von Peoples Action zur Schaffung einer gerechteren und nachhaltigeren Weltwirtschaft und zur Bekämpfung des rechten Nationalismus.

Jake Werner arbeitet als Post-Doctoral Global China Research Fellow am Global Development Policy Center (GDP Center) der Boston University.


[1] Lee, Ching Kwan: Against the Law: Labor Protests in China’s Rustbelt and Sunbelt, University of California Press, Berkeley 2007.

[2] Hung, Ho-fung: The US–China Rivalry Is About Capitalist Competition, in: Jacobin, 11.07.2020, unter: https://www.jacobinmag.com/2020/07/us-china-competition-capitalism-rivalry; Wolf, Martin: China’s debt threat: time to rein in the lending boom, in: Financial Times, 24.07.2018, unter: https://www.ft.com/content/0c7ecae2-8cfb-11e8-bb8f-a6a2f7bca546.

[3] Friedman, Thomas L.: Biden Made Sure ‘Trump Is Not Going to Be President for Four More Years’, in: New York Times, 02.12.2020, unter: https://www.nytimes.com/2020/12/02/opinion/biden-interview-mcconnell-china-iran.html.

[4] Werner, Jake: China Is Cheating at a Rigged Game, in: Foreign Policy online, 08.08.2018, unter: https://foreignpolicy.com/2018/08/08/china-is-cheating-at-a-rigged-game.

[5] The Biden Plan to Ensure the Future Is ‘Made in All of America’ by All of America’s Workers, unter: https://joebiden.com/made-in-america.

[6] Wir haben die nationalistische Agenda der Unternehmen eingehender analysiert und kritisiert in: The US–China Trade War: A Progressive Internationalist Alternative, Rosa Luxemburg Stiftung, New York-Büro, Januar 2020, unter: https://rosalux.nyc/us-china-trade-war/.

[7] Huang, Yukon Huang/Smith, Jeremy: China’s Record on Intellectual Property Rights Is Getting Better and Better, in: Foreign Policy online, 16.10.2019, unter: https://foreignpolicy.com/2019/10/16/china-intellectual-property-theft-progression.

[8] Für eine Analyse, wie der Zerfall der neoliberalen Globalisierung zu einer wachsenden Repression in China geführt hat, siehe Werner, Jake: A Global Path through the Hong Kong Dilemma: Towards a New Internationalism, in: Made in China, Jg. 4, Nr. 2, April–Juni 2019, S. 27–34, unter: https://madeinchinajournal.com/2019/07/15/a-global-path-through-the-hong-kong-dilemma-towards-a-new-internationalism.

[9] Brands, Hal Brands/Sullivan, Jake: China Has Two Paths to Global Domination, in: Foreign Policy online, 22.05.2020, unter: https://foreignpolicy.com/2020/05/22/china-superpower-two-paths-global-domination-cold-war.

[10] Wright, Thomas: The Risk of John Kerry Following His Own China Policy, in: The Atlantic online, 22.12.2020, unter: https://www.theatlantic.com/ideas/archive/2020/12/risk-john-kerry-following-his-own-china-policy/617459.

[11] Krieg, Gregory: The Sunrise Movement is an early winner in the Biden transition. Now comes the hard part, in: CNN, 02.01.2021, unter: https://www.cnn.com/2021/01/02/politics/biden-administration-sunrise-movement-climate.

[12] Harris, Jennifer/Sullivan, Jake: America Needs a New Economic Philosophy. Foreign Policy Experts Can Help, in: Foreign Policy online, 07.02.2020, unter: https://foreignpolicy.com/2020/02/07/america-needs-a-new-economic-philosophy-foreign-policy-experts-can-help.

[13] Ahmed, Salman/Engel, Rozlyn (Hg.), Making U.S. Foreign Policy Work Better for the Middle Class, Carnegie Endowment for International Peace, Washington D.C. 2020, S. 2–3, unter: https://carnegieendowment.org/2020/09/23/making-u.s.-foreign-policy-work-better-for-middle-class-pub-82728.

[14] Der Druck auf die Biden-Regierung, die Anti-China-Politik als Mittel zur Herstellung eines überparteilichen Konsenses zu nutzen, „wird die Biden-Regierung tendenziell immer nach rechts ziehen“. Siehe Chow, Tobita: Post-Election Reflections on Sinophobia in U.S. Politics, in: Organizing Upgrade, 14.12.2020, unter: https://organizingupgrade.com/post-election-reflections-on-sinophobia-in-u-s-politics.

[15] Harris/Sullivan: America Needs a New Economic Philosophy. Foreign Policy Experts Can Help, siehe Fußnote 12.

[16] Galant, Michael: The Time Has Come for a Global Minimum Wage, in: Inequality.org, 17.06.2019, unter: https://inequality.org/research/ilo-global-minimum-wage.

[17] Mehr dazu, siehe Baker, Dean/Jayadev, Arjun/Stiglitz, Joseph: Innovation, Intellectual Property, and Development: A Better Set of Approaches for the 21st Century, AccessIBSA 2017, unter: https://cepr.net/images/stories/reports/baker-jayadev-stiglitz-innovation-ip-development-2017-07.pdf. Die Hoffnungen auf Fortschritte an dieser Front unter einer Biden-Regierung müssen möglicherweise bescheidener sein. Im Gegensatz zu den beiden vorhergehenden Themenbereichen gibt es bisher keine Unterstützung für Reformen im Bereich der Rechte geistigen Eigentums innerhalb der Biden-Administration oder anderswo im Establishment. Dies ist kein Zufall: Rechte an geistigem Eigentum und die damit verbundenen Renditengewinne sind entscheidend für das derzeitige Modell des US-Wirtschaftswachstums und den Platz der USA an der Spitze der globalen Wirtschaftshierarchie unter dem Neoliberalismus.

[18] Um ein ungeheuerliches Beispiel zu nennen: Indien ist einer der weltweit größten Pharmahersteller und produziert große Mengen an Impfstoffen für transnationale Pharmaunternehmen. Dennoch ist es „unwahrscheinlich, dass seine Bevölkerung vor 2024 vollständig geimpft wird“. Siehe Goodman, Peter S.: One Vaccine Side Effect: Global Economic Inequality, in: New York Times, 25.12.2020, unter: https://www.nytimes.com/2020/12/25/business/coronavirus-vaccines-global-economy.html.

[19] Thier, Hadas: Activists Demand Rich Countries Suspend Patent Laws and Share Vaccines Freely, in: In These Times, 09.12.2020, unter: https://inthesetimes.com/article/covid-public-health-global-justice-vaccine-distribution.

[20] Biden’s Commitment to Global Sharing of COVID-19 Vaccine Technology is a Step in the Right Direction, Must be Followed by Concrete Plans to Dismantle Dangerous Healthcare Nationalism, in: Health GAP, 09.07.2020, unter: https://healthgap.org/press/bidens-commitment-to-global-sharing-of-covid-19-vaccine-technology-is-a-step-in-the-right-direction-must-be-followed-by-concrete-plans-to-dismantle-dangerous-healthcare-nationalism.

[21] Helveston, John/Nahm, Jonas: China’s key role in scaling low-carbon energy technologies, in: Science, Nr. 6467, 15.11.2019, S. 794–796, unter: https://science.sciencemag.org/content/366/6467/794.

[22] Baker/Jayadev/Stiglitz: Innovation, Intellectual Property, and Development, siehe Fußnote 17.

[23] Brophy, David: Good and Bad Muslims in Xinjiang, in: Made in China, Jg. 4, Nr. 2, April–Juni 2019, S. 44–53, unter: https://madeinchinajournal.com/2019/07/09/good-and-bad-muslims-in-xinjiang.


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