April 24, 2020

Obdachlose in New York City praktizieren Social Distancing in Hotels, dank Hilfe von Spender*innen

Rosa Luxemburg Stiftung - New York

Das NYC Department of Homeless Services (DHS), das Amt für Obdachlosendienste, ist dabei, bis zu 2.500 Hotelzimmer als Isolationsräume für erkrankte oder ältere Bewohner*innen der städtischen Obdachlosenheime, wo Raum für ein angemessenes Social Distancing begrenzt ist, zur Verfügung zu stellen.

Der Künstler Lincoln Cyrus hat mit Hilfe von Spendengeldern der Homeless Can’t Stay Home Kampagne in einem Hotel in der Lower East Side übernachtet. (Foto: Ben Fractenberg/THE CITY)

Doch die meisten der 17.000 alleinstehenden erwachsenen Obdachlosenheim-Bewohner*innen und alle 3.500 bekannten Bewohner*innen der Straßen und U-Bahnen der Stadthaben keinen Raum, um sich zu isolieren.

Bis Sonntag waren mindestens 40 obdachlose New Yorker*innen am Coronavirus verstorben. Mehr als 600 wurden infiziert, die meisten davon in Heimen, aber 23 von ihnen lebten auf der Straße.

Einige Fürsprecher der Obdachlosen setzen sich nun verstärkt dafür ein, Hotelzimmer für einige Menschen, die von den städtisch finanzierten Initiativen ausgeschlossen sind, zur Verfügung zu stellen.

Die Kampagne „Homeless Can’t Stay Home“ hat laut Helen Strom vom Safety Net Projekt des Urban Justice Center, einer der Gruppen, die hinter der Kampagne stehen, durch Crowdfunding 46.000 Dollar gesammelt und 25 Menschen in Hotelzimmern untergebracht.

Das bisher gesammelte Geld wird für die derzeitigen Bewohner*innen für bis zu vier Wochen Unterbringung reichen. Die Organisator*innen der Kampagne fordern die New Yorker Stadtverwaltung auf, insgesamt 30.000 Zimmer zur Verfügung zu stellen.

„Das ist die Aufgabe der DHS. Wir erledigen das, was sie erledigen sollen.“, sagte Strom. „Wir machen das, um zu verdeutlichen, was die Stadt tun könnte, aber nicht tut. Und es ist sehr einfach: Wenn man jemandem drinnen einen sicheren, privaten Raum anbietet, werden sie reingehen, und sind sehr dankbar.“

Vier Obdachlose, die in den durch Crowdfunding finanzierten Hotelzimmern übernachteten, sprachen mit THE CITY. Hier sind ihre Geschichten, in ihren eigenen Worten.

Die Interviews wurden zur besseren Verständlichkeit leicht bearbeitet und gekürzt.

LINCOLN CYRUS

Cyrus, 59, ist bildender Künstler. Er wohnt in einem Hotel in der Lower East Side von Manhattan und ist seit 2005 obdachlos.

„Seit November schlafe ich unter dem Vordach vor einem Gebäude an der 45th und Lexington Avenue. Ein großes, schönes Gebäude. Nach drei Tagen sagte mir der Wachmann, ich müsse umziehen. Aber er sprach mit mir, und als er sah, dass ich sauber war, sagte er mir, dass ich dort schlafen könne, aber jeden Tag um 5 Uhr morgens gehen müsse. Er kümmerte sich um mich und gab mir sogar seine Nummer.

Ich habe jeden Tag in meinem Freizeitzentrum geduscht. Allein dafür habe ich eine Mitgliedschaft bezahlt. Ich duschte, nutzte das Fitnessstudio, nutzte den Pool. Ich mag es, meine Gesundheit zu erhalten, und ich mag es nicht zu stinken.

Der Künstler Lincoln Cyrus zeigt eines seiner Werke. (Foto: Ben Fractenberg/THE CITY)Photo: Ben Fractenberg/THE CITY)

Zum Hotel kam er durch eine Art Mundpropaganda. Ein Freund kannte einen Freund, der über das Urban Justice Center eine Sachbearbeiter*in hatte. Er bat darum, meine Informationen weiterzugeben, und Helen rief am Nachmittag an. Am selben Abend war ich in einem Hotel in der Bowery, nicht weit von meinem früheren Wohnort entfernt.

Aber mit dem Lockdown schloss alles. Ich hatte anderthalb Monate lang nicht mehr geduscht, bevor ich ins Hotel kam.

Obdachlos zu sein… es ist wie ein Dämon in dir. Es ist schrecklich, was es einem antut. Es ist wie ganz besonderes Pech. Wie ein Alptraum, der nicht endet. Egal, was du tust, wenn du alles richtig machst, kommst du nicht raus. Es verfolgt dich für den Rest deines Lebens.

Am ersten Abend im Hotel war ich so glücklich. Meine Gefühle haben mich überwältigt. Ich habe nicht geweint oder so. Aber ich war sehr emotional.

Ich duschte eine halbe Stunde lang. Ich kaufte mir Fußpeeling, um meine Füße zu schrubben. Ich nahm mir Zeit, um meinen Körper mit Wasser und Seife zu pflegen. Dann setzte ich mich hin, entspannte mich und schaute ein wenig TV. Ich fühlte mich sehr, sehr glücklich, nicht mehr auf der Straße zu sein.“

JEFF WOLFORD

Wolford ist ein 33-jähriger gebürtiger New Yorker. Er ist seit drei Jahren obdachlos und wohnt in einem Hotel in der Lower East Side von Manhattan.

„Ich arbeite für eine Polsterfirma und habe einen Nebenjob als Schuhputzer und Ähnliches.

Polsterarbeit bedeutet, man geht in fremde Wohnungen. Also muss man sich gut anziehen, sauber sein und duschen.

Die haben keine Ahnung, dass ich obdachlos bin.

Jeffrey Wolford bettelt in der West 23rd Street in Manhattan, 11. November 2019. (Foto: Ben Fractenberg/THE CITY)

Ich bin seit etwa drei Jahren immer wieder obdachlos. Es gab einen achtmonatigen Zeitraum, wo ich bei einem Familienmitglied lebte, während ich in Plattsburgh arbeitete, aber ich wurde rausgeworfen. Ich verbrachte auch einige Zeit im 30th Street Men’s Shelter, und das war schrecklich. Ich hielt es nicht lange aus, vielleicht ein oder zwei Monate. Seitdem habe ich in U-Bahn-Stationen gelebt.

Mein Zimmer ist schön: Es hat keinen Herd, nicht dass ich ein toller Koch wäre, aber es hat eine Mikrowelle, ein Bügelbrett und einen Schreibtisch, an den ich mich für meine Vorstellungsgespräche einrichten kann. Dafür mache ich mich schick. Ich bin im FedCap=Programmund sie helfen mir, einen besseren Job zu finden und mich fürs College zu bewerben. Ich möchte Tierarzt werden. Aber das Wichtigste ist, dass ich duschen kann.

Als ich hier ankam, hatte ich nur einen Sack mit Kleidung und einen Zwiebelsack mit Hygieneprodukten. Und das war’s auch schon. Ich glaube, in der ersten Nacht habe ich etwa 12 Stunden geschlafen. Es fühlte sich so gut an, in einem Bett zu schlafen. Ich glaube, so lange habe ich nicht mehr geschlafen, seit ich Teenager war.

Seit ich ins Hotel gekommen bin, habe ich gemerkt, dass sich meiner Laune verändert hat. Sie sagten mir, dass ich es mindestens einen Monat lang haben werde. Ich bin jetzt seit etwa einer Woche hier. Ich wache morgens auf und fühle keine Verzweiflung. Wenn etwas nicht klappt, fühle ich mich nicht mehr so verloren wie früher.“

ASHLEY BELCHER AND NUNU JEFFERSON

Sowohl Ashley Belcher, 27, als auch Wiaheed „Nunu“ Jefferson, 35, sind die meiste Zeit ihres Lebens obdachlos gewesen. Belcher ist gebürtig aus Carbondale, Pennsylvania und lebt seit drei Jahren auf den Straßen von New York. Jefferson kommt aus New York City. Das Paar teilt sich ein Hotelzimmer am Times Square.

Ashley Belcher und Nunu Jefferson haben mit Hilfe von Spendengeldern der Homeless Can’t Stay Home Kampagne in einem Hotel am Times Square übernachtet. (Foto: Ben Fractenberg/THE CITY)

Belcher

„Ich habe meinen Rucksack mit Seife, Lotion, meinem Nagelset und einigen Spielsachen. Ich bin eine Trinkerin. Aber die Spielsachen halten mich bei Verstand. Sie sind wie meine Babys. Auf der Straße schliefen wir in Schichten, damit wir aufeinander aufpassen und blieben unter uns.

Wir benutzten einen Waschsalon in der Nähe. Als wir eines Tages unsere Bekleidung und Schlafsäcke aus dem Trockner holen wollten, war er geschlossen. Wir waren gerade dort gewesen, um unsere Sachen abzugeben! Auf dem Schild stand, es sei wegen des Coronavirus. Eine aus der Nachbarschaft, eine Anwält*in, gab uns 20 Dollar. Sie kennen uns alle. Jemand anderes gab uns ihre Decke.

Seit drei Jahren sage ich den Betreuer*innen: „Ich gehe nicht [in eine Unterkunft], wenn mein Mann nicht geht“. Da wir nicht verheiratet sind, müsste man uns trennen, da wir nicht in eine Familieneinrichtung gehen können. Deshalb sind wir auf der Straße.

Als ich von dem Hotel hörte, dachte ich, es sei ein Witz.

Als jemand, der mit Reizdarmsyndrom, Colitis und Asthma lebt, kann ich endlich sagen, dass ich erleichtert bin, dass ich mich nicht selbst verletzen muss, indem ich meinen Darm bis zur Bowery Mission zurückhalte.

Vor der Pandemie konnte ich in einen McDonalds oder so, um auf die Toilette zu gehen. Aber jetzt ist alles geschlossen. Ich gehe nicht mehr gerne in die Anlaufstelle, weil sie so überfüllt und schmutzig ist. Ich habe seit Monaten nicht mehr geduscht.

Im Hotel, das erste, was ich getan hab: Ich duschte, schlief 10 Stunden und duschte noch etwas mehr. Eine Dusche ist ein großer Unterschied für jemanden, der sich selbst wertschätzt. Es fühlt sich gut an, am Ende des Tages einen Ort zu haben, an den man zurückkehren kann.

Das einzig Negative, was ich sehen kann, das sich möglicherweise daraus ergibt — wenn oder falls wir wieder dort draußen bleiben müssen und kein Hotel mehr haben, in das wir ‚zurücklaufen‘ können — ist zu erkennen, dass wir verletzlicher geworden sind als bevor wir die Straßen verließen.“

Ashley Belcher sammelt bunte Spielsachen, wenn das Paar genug Geld bekommen kann. |Ben Fractenberg/THE CITY

Jefferson

„Früher schliefen wir in der 16th Street, zwischen 6th und 7th Avenue. Wir hatten Schlafsäcke, die wir als Bett auf den Boden legten. Es war direkt vor einem Gebäude, da sind die Gehwege breiter. Wir hatten Platz. Es sah vielleicht nicht nach viel aus, aber es war ein Zuhause. Es war unser Zuhause.

Jeden Tag, bevor wir ins Hotel kamen, liefen wir, sobald wir aufwachten, den ganzen Weg zur Second Avenue, zur Bowery Mission, nur um das Bad zu benutzen. Wir haben dies nur einmal am Tag getan. Den Rest der Zeit waren wir wieder zu Hause. Wir können nicht unterwegs sein. Ich will nicht, dass sie krank wird.

In der ersten Nacht im Hotel habe ich, glaube ich, geduscht, oh Gott, es muss eine Stunde gewesen sein. Ich dusche jetzt dreimal am Tag. Es ist, als wäre ich immer noch im ‚Überlebensmodus‘, ich verhalte mich weiterhin so, als ob ich nicht wüsste, wann ich meine nächste Dusche nehmen kann.

Jeden Tag versuche ich, sie zu beschützen. Ich gehe in die Apotheke, versuche, ihre Medikamente zu besorgen, und sage den Leuten, sie sollen sechs Fuß Abstand halten. Ich hole das Essen in der Suppenküche oder in den Schulen ab. Ich will nicht, dass sie krank wird. Sie ist mein Kryptonit. Ich wüsste nicht, was ich ohne sie tun würde.

Ich bin jetzt glücklich, ein richtiges Bett zum Schlafen zu haben, einen Platz zum Ausruhen. Ich fühle mich stabil.

Ich versuche, einen Job zu finden. Ich bin auf Sozialhilfe angewiesen, aber wenn ich einen Job bekäme, könnte ich endlich wieder auf die Beine kommen. Ich kümmere mich um die Dinge hier, bringe den Müll raus und so, räume die Flure auf. Vielleicht stellen sie mich ja ein.“

Dieser Beitrag wurde ursprünglich von THE CITYveröffentlicht, einer unabhängigen, gemeinnützigen Nachrichtenorganisation, die sich der kritischen Berichterstattung im Dienste der New Yorker*innen verschrieben hat.


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